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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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weinselig, halb verschlafen, einem Hansen Nachtmotten gleich, vor unsre Thür
gezogen, um ihren theuren Reisegefährte" abzuholen. Auf einem großen offenen
Frachtwagen wurden wir und die Effecten der Bande ohne große Förmlichkeit
aufgeladen. Trotz dem Rasseln der Kisten und den Stößen des Karrens waren
meine Reisegefährten um mich herum bald eingeschlafen, und lagen gleich schlecht
zusammengewickelten Bündeln alter Kleider in den Zwischenräumen der Kisten und
Koffer im Stroh, wo sich irgend ein Winkel zur Nachtruhe fand, kalt blies der
Nachtwind von den Bergen, und jagte mir Schauer über den Leib, bis die
aufgehende Sonne die Stadt Philippeville und dahinter das schöne, blaue Meer
erkennen ließ. Bei wolkenlosem Himmel und heißem Sonnenstrahl bestieg ich den
Dämpfer, und sah noch lange vom Verdeck auf die Höhen der afrikanischen Küste
zum Abschiede auf Nimmerwiedersehen. Und als ich meine Augen vom Lande
ab auf meine Umgebung im Dämpfer wandte, sah ich mich auf dem Verdeck mitten
in einer Gruppe meiner Kuustmotteu stehen, der Director bot mir eine Prise,'
der Bnsso schlich um meinen Rockschoß, ihn zu küssen, weil er ein Glas Wein
wünschte, und die jüngere Schwester lächelte mich artig und höchst vertrauensvoll
an. In dieser Situation erblickte ich die Küste des alten Europa wieder.




Ein polnisches Charakterbild.

In der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts hatten sich bereits die
Nachbarn ans Norden und Westen in die inneren Angelegenheiten Polens gemischt,
die Rechte der Dissidenten zu den ihrigen gemacht, und dem widerspenstigen
krakaner Bischöfe Soltyk den russischen Gesandten, Fürsten Repnin, ans den Nacken
gesetzt. Der gute König Stanislaus August, verlangte vor Allem Ruhe und Frieden,
trat demzufolge auf die Seite der Dissidenten und erregte dadurch allgemeine Unzufrie¬
denheit. Den Mächten trat er nicht energisch genug auf, das katholische Land
schalt ihn, daß er die Interessen der Kirche nicht besser wahrnehme. Die Dissi¬
denten schlössen unterdessen unter deu Auspicien von Rußland und Preußen
das Bündniß zu Thor", dem 1767 das von .Raton und dann die Huldi¬
gung zu Warschau folgte. Die unruhigen Köpfe, Soltyk und Konsorten,
nahm Rußland einstweilen unter Verschluß, schürte aber durch diesen Act der
Gewalt das Feuer erst recht an, denn die Konföderation zu Barse wurde dadurch
in's Leben gerufen. An ihrer Spitze stand Joseph Pulawski, der Worckzker Starost;
es entstanden zahlreiche Zweigverbindungen, und die Sache nahm, da die Nicht-
katholiken die erste Ursache waren, bald den Charakter eines Religionskrieges a",
der unter andern im kicwschen Kreise das sogenannte Slumaner Blutbad im Ge-


weinselig, halb verschlafen, einem Hansen Nachtmotten gleich, vor unsre Thür
gezogen, um ihren theuren Reisegefährte» abzuholen. Auf einem großen offenen
Frachtwagen wurden wir und die Effecten der Bande ohne große Förmlichkeit
aufgeladen. Trotz dem Rasseln der Kisten und den Stößen des Karrens waren
meine Reisegefährten um mich herum bald eingeschlafen, und lagen gleich schlecht
zusammengewickelten Bündeln alter Kleider in den Zwischenräumen der Kisten und
Koffer im Stroh, wo sich irgend ein Winkel zur Nachtruhe fand, kalt blies der
Nachtwind von den Bergen, und jagte mir Schauer über den Leib, bis die
aufgehende Sonne die Stadt Philippeville und dahinter das schöne, blaue Meer
erkennen ließ. Bei wolkenlosem Himmel und heißem Sonnenstrahl bestieg ich den
Dämpfer, und sah noch lange vom Verdeck auf die Höhen der afrikanischen Küste
zum Abschiede auf Nimmerwiedersehen. Und als ich meine Augen vom Lande
ab auf meine Umgebung im Dämpfer wandte, sah ich mich auf dem Verdeck mitten
in einer Gruppe meiner Kuustmotteu stehen, der Director bot mir eine Prise,'
der Bnsso schlich um meinen Rockschoß, ihn zu küssen, weil er ein Glas Wein
wünschte, und die jüngere Schwester lächelte mich artig und höchst vertrauensvoll
an. In dieser Situation erblickte ich die Küste des alten Europa wieder.




Ein polnisches Charakterbild.

In der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts hatten sich bereits die
Nachbarn ans Norden und Westen in die inneren Angelegenheiten Polens gemischt,
die Rechte der Dissidenten zu den ihrigen gemacht, und dem widerspenstigen
krakaner Bischöfe Soltyk den russischen Gesandten, Fürsten Repnin, ans den Nacken
gesetzt. Der gute König Stanislaus August, verlangte vor Allem Ruhe und Frieden,
trat demzufolge auf die Seite der Dissidenten und erregte dadurch allgemeine Unzufrie¬
denheit. Den Mächten trat er nicht energisch genug auf, das katholische Land
schalt ihn, daß er die Interessen der Kirche nicht besser wahrnehme. Die Dissi¬
denten schlössen unterdessen unter deu Auspicien von Rußland und Preußen
das Bündniß zu Thor», dem 1767 das von .Raton und dann die Huldi¬
gung zu Warschau folgte. Die unruhigen Köpfe, Soltyk und Konsorten,
nahm Rußland einstweilen unter Verschluß, schürte aber durch diesen Act der
Gewalt das Feuer erst recht an, denn die Konföderation zu Barse wurde dadurch
in's Leben gerufen. An ihrer Spitze stand Joseph Pulawski, der Worckzker Starost;
es entstanden zahlreiche Zweigverbindungen, und die Sache nahm, da die Nicht-
katholiken die erste Ursache waren, bald den Charakter eines Religionskrieges a»,
der unter andern im kicwschen Kreise das sogenannte Slumaner Blutbad im Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/342>, abgerufen am 21.12.2024.