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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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deutende Erfolg, den sie an dem Doctor und Apotheker und den Dorfsängcrinncn ge¬
habt hat, könnte sie belehren, daß sie nach dieser Seite hin ihren Schwerpunkt legen
sollte. Es giebt uoch Vieles von Paesiello, Cimarosa, FioravaMi, Mehul,
Gretry u. A., das schon aus historischem Interesse viel gehört werden würde. --

In diesem Augenblick gastirt Roger an der königl. Oper. Der Enthusias¬
mus, den seine Leistungen hervorrufen, ist, obschon er auch in Berlin Gegner
seiner Richtung hat, noch im Steigen begriffen. Uebrigens aber hat sich Roger
dem deutschen Geschmack etwas assimilirt und hält seine Rollen in der Gruudanlcige
gemäßigter, als früher. ' Zu dem durchaus edeln und vornehmen Wesen, das
ihm im Spiel und Gesang eigen ist, und der von Niemandem sonst erreichten
Fähigkeit individuellen Ausdruckes kommt uun noch die immer mehr sich ausbrei¬
tende Feinheit und Sicherheit der Zeichnung. Trotzdem kann man an Einzelnheiten
mäkeln; aber in der Hauptsache ist mir noch nie das Wesen des dramatischen
Gesangs lebendiger und bestimmter hervorgetreten. Allerdings malt Roger mit
stärkeren Farben, als Tambnrini., Aber es hängt dies mit dem charakteristischen Un¬
terschied italienischer und französisch-deutscher Musik zusammen. Selbst Boieldieu's
weiße Dame ist sehr weit entfernt von dem Gleichmaß Rossini's; und wenn wir also
auch immer bei^ Roger nicht ganz passiv hören dürfen, wenn wir befriedigt sein wollen,
so werdeu wir dafür bei aufmerksamem Eindringen in Wort, Situation und Musik durch
die treffendste Wahrheit und, was noch wichtiger ist, durch die ungewöhnliche Feinheit
der Ausführung entschädigt. Das Schönste leistet Roger weder in der Darstellung,
galanter Liebe und Lebenslust, wie als George Brown, noch in düsteren
Charakterrollen, wie als Prophet und Eleazar; denn es liegt ein angeborner
Adel und eine Bildung in seiner Natur, die es ihm unmöglich macht, in Cha¬
raktere der letzten Art ganz aufzugehen; und wiederum Rollen, wie der Georg Brown,
geben ihm nicht Gelegenheit, die ernste Innerlichkeit und die Leidenschaft, deren
er fähig ist, zur Geltung zu bringen. Mir ist das Höchste, was ich von ihm
gehört habe, das Duett im vierten Act der Hugenotten, und dies etwas so
Vollendetes, daß ich uicht weiß, ob ich deu Schauspieler oder deu Säuger mehr
bewundern soll.




Woche ub erlebt.
Pariser Botschaft.

-- Wer den bekannten Artikel im Mormng ciirovivlo,
in welchem ein angebliches Maibündniß zwischen Nußland, Oestreich und Preußen ge¬
gen das französische Kaiserthum mitgetheilt wurde, aufmerksam geprüft hat, konnte
nicht daran zweifeln, daß hier wenigstens ein Mißverständnis;, wo nicht eine absicht¬
liche Entstellung obwalten müßte. Denn man möge das Aussichtsrccht der Großmächte
über die inneren Angelegenheiten eines großen Staats so weit ausdehnen, als man
will -- und wir gehören keineswegs zu den Anhängern des unbedingten Nichtintcrvcn-
tionsprincips: -- so viel ist wol klar, daß eine Forderung, wie sie hier an den


deutende Erfolg, den sie an dem Doctor und Apotheker und den Dorfsängcrinncn ge¬
habt hat, könnte sie belehren, daß sie nach dieser Seite hin ihren Schwerpunkt legen
sollte. Es giebt uoch Vieles von Paesiello, Cimarosa, FioravaMi, Mehul,
Gretry u. A., das schon aus historischem Interesse viel gehört werden würde. —

In diesem Augenblick gastirt Roger an der königl. Oper. Der Enthusias¬
mus, den seine Leistungen hervorrufen, ist, obschon er auch in Berlin Gegner
seiner Richtung hat, noch im Steigen begriffen. Uebrigens aber hat sich Roger
dem deutschen Geschmack etwas assimilirt und hält seine Rollen in der Gruudanlcige
gemäßigter, als früher. ' Zu dem durchaus edeln und vornehmen Wesen, das
ihm im Spiel und Gesang eigen ist, und der von Niemandem sonst erreichten
Fähigkeit individuellen Ausdruckes kommt uun noch die immer mehr sich ausbrei¬
tende Feinheit und Sicherheit der Zeichnung. Trotzdem kann man an Einzelnheiten
mäkeln; aber in der Hauptsache ist mir noch nie das Wesen des dramatischen
Gesangs lebendiger und bestimmter hervorgetreten. Allerdings malt Roger mit
stärkeren Farben, als Tambnrini., Aber es hängt dies mit dem charakteristischen Un¬
terschied italienischer und französisch-deutscher Musik zusammen. Selbst Boieldieu's
weiße Dame ist sehr weit entfernt von dem Gleichmaß Rossini's; und wenn wir also
auch immer bei^ Roger nicht ganz passiv hören dürfen, wenn wir befriedigt sein wollen,
so werdeu wir dafür bei aufmerksamem Eindringen in Wort, Situation und Musik durch
die treffendste Wahrheit und, was noch wichtiger ist, durch die ungewöhnliche Feinheit
der Ausführung entschädigt. Das Schönste leistet Roger weder in der Darstellung,
galanter Liebe und Lebenslust, wie als George Brown, noch in düsteren
Charakterrollen, wie als Prophet und Eleazar; denn es liegt ein angeborner
Adel und eine Bildung in seiner Natur, die es ihm unmöglich macht, in Cha¬
raktere der letzten Art ganz aufzugehen; und wiederum Rollen, wie der Georg Brown,
geben ihm nicht Gelegenheit, die ernste Innerlichkeit und die Leidenschaft, deren
er fähig ist, zur Geltung zu bringen. Mir ist das Höchste, was ich von ihm
gehört habe, das Duett im vierten Act der Hugenotten, und dies etwas so
Vollendetes, daß ich uicht weiß, ob ich deu Schauspieler oder deu Säuger mehr
bewundern soll.




Woche ub erlebt.
Pariser Botschaft.

— Wer den bekannten Artikel im Mormng ciirovivlo,
in welchem ein angebliches Maibündniß zwischen Nußland, Oestreich und Preußen ge¬
gen das französische Kaiserthum mitgetheilt wurde, aufmerksam geprüft hat, konnte
nicht daran zweifeln, daß hier wenigstens ein Mißverständnis;, wo nicht eine absicht¬
liche Entstellung obwalten müßte. Denn man möge das Aussichtsrccht der Großmächte
über die inneren Angelegenheiten eines großen Staats so weit ausdehnen, als man
will — und wir gehören keineswegs zu den Anhängern des unbedingten Nichtintcrvcn-
tionsprincips: — so viel ist wol klar, daß eine Forderung, wie sie hier an den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/328>, abgerufen am 21.12.2024.