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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Präsidenten der französischen Republik gestellt sein sollte, einer argen Beschimpfung
gegen die französische Nation gleichgekommen wäre. Man konnte die Errichtung des
Kaiserthums überhaupt, wenn man die Kraft dazu fühlte, als einen oasus belli be¬
zeichnen, aber wenn man das Kaiserthum zugab, an das Oberhaupt einer mächtigen
Nation die Anforderung zu stellen, daß er den Gedanken einer legitimen Nachkommen¬
schaft ausgebe, das war ein so unerhörtes Factum in den Annalen der Diplomatie, daß
man wol mehr als zweifeln mußte. Die. betreffende Erklärung der Regierungen hat
auch nicht auf sich warten lassen, und zwar erfolgte sie zuerst in einem nichts weniger
als officiellen Blatte. Es scheint unzweifelhaft, daß die Provocation einer solchen Er¬
klärung der eigentliche Zweck des genannten Artikels war. Erfolgte der Widerspruch
nicht, so mußte sich der ganzen französischen Nation ein solches Gefühl der beleidigten
Ehre bemächtigen, daß Louis Napoleon sür seine Absichten freiern Spielraum bekam;
erfolgte er aber, so hatte er sich nach der andern Seite hin den Rücken gedeckt, und
alle Anzeichen lassen vermuthen, daß wenigstens vorläufig der letztere Weg ihm als
der bequemere erscheint, daß er, die Möglichkeit vorausgesetzt, in Bezug aus sein Ver¬
hältniß zu dem Auslande in die Fußtapfen Louis Philipp's treten möchte. Daß sich
überhaupt die Zeit nähert, in welcher er die letzte Hand an sein Werk zu legen ge¬
denkt, ist nach den öffentlichen Demonstrationen mit den gedruckten Petitionszetteln n.s. w.
nicht länger in Abrede zu stellen. Mißlicher würde es sein, einen bestimmten Zeitraum
anzugeben. Louis Napoleon hat die allgemeinen Erwartungen darin so oft getäuscht,
und es kommen dabei so viel geheime Fäden in Betracht, daß man sich wol hüten
Muß, hier den Propheten zu spielen. An der Ueberzeugung aber halten wir fest, daß,
wenn es einmal so weit gekommen ist, das Verhängnis; den unternehmenden Mann
weiter treiben wird, und daß wir hier immer noch den Punkt finden werden, von
welchem aus in die unhaltbaren Zustände des alten Europa' eine neue Bewegung
eintreten wird.

Vorläufig hat der zukünftige Cäsar durch eine auf die Pariser berechnete Schau¬
stellung seinem großen Vorbild nachgeeifert. Er hat einer Zahl verbannter Orleanisten
— darunter Thiers — und gemäßigter Republikaner den Eingang zu Frankreich wieder
geöffnet, und zur Feier dieses Acts der Gnade, werden am 15. August, dem Geburtstag
des Kaisers, dessen Feier auch in Wien mit officieller Genehmigung begangen wird, dem
schaulustigen PUblicum die Theater ausgeschlossen werden, und man wird ihm unter anderen
anmuthigen und dem Zweck entsprechenden Schauspielen die Scene aufführen, wo Au-
gustus dem zu Boden geworfenen Verräther Cinna die gnädige Hand hinstreckt und ihn
mit den Worten aufrichtet: 8070us suis, Ur. Iluers!

Daß die Provocation des Grafen von Chambord eine Annäherung zwischen den
Orleanisten und dem gegenwärtigen Regiment begünstigt, und daß sich Viele darunter
finden werden, die sich selbst über den Verkauf der Güter ihres Fürstenhauses „aus
höher» Gründen" hinwegzusetzen im Stande sind, mag man wol zugeben; aber jeden¬
falls wäre die Demonstration wirksamer, wenn statt Thiers Changarnicr, statt Michel
de Bourges Lamoriciöre zurückberufen wären. Daß bei der gegenwärtigen Sachlage
ein geschickter, geistvoller Redner und Schriftsteller die bestehende Herrschaft nicht um¬
werfen wird, darüber Hat sich wol Niemand Illusionen gemacht; die Frage ist nur die,
ob mau schon so viel Muth hat, um die Gunst der Armee eine freie Concurrciiz ein¬
treten zu lassen. .DaS scheint doch nicht der Fall zu sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/329>, abgerufen am 07.01.2025.