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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Charakterbilder aus der deutschen Reftanrations-
literatur.
Ludwig Achin von Arnim, - .
geb, 178-1, 'geht, 1831.

Arnim könnte schon wegen seiner poetischen Gaben Interesse genug erregen,
um zum Gegenstand einer psychologischen und ästhetischen Studie gemacht zu
werden; er wird aber für uns noch ungleich wichtiger dadurch, daß wir an ihm
das charakteristische Bild einer nicht blos literarischen, sondern sich über alle
Zweige des Lebens verbreitenden Richtung des Geistes beobachten können. Er
hat zu seiner Zeit, wo viel untergeordnetere Talente eine glänzende Stellung
einnahmen, im Ganzen sehr wenig Erfolg gehabt, hauptsächlich weil er mit seinen
Absichten und Tendenzen nicht deutlich hervortrat, während die anderen Dichter
und Philosophen so lant als möglich ihre Ansichten und Sympathien verkündeten,
und wenn es thuen auch an Gestaltungskraft fehlte, was sie wollten, wirklich in's
Leben zu rufen, doch wenigstens sehr, vernehmlich sagten, was sie wollten. Arnim's
Dichtungen aber sind recht dazu geeignet, jeden Leser, welcher Tendenz und
welcher Bildungsstufe er auch augehören möge, in Verwirrung zu setzen. Ab-
geiehen von dem seltenen Talent zur Darstellung, das an sehr vielen Stellen
hervortritt, werden wir bei ihm auch von Zeit zu Zeit durch eine zugleich tiefe
und universelle Bildung überrascht; dann aber kommt unvermittelt eine Reihe
von Absurditäten, die so übermenschlich sind, und so vollkommen jede Möglichkeit
abschneide", einen Faden zu dem sonstigen Gedankenkreis des Dichters zu finden,
daß wir alle Fassung verlieren. Und doch ist es uns unmöglich, diese Verwirrung
aus einer subjectiven Krankheit des Gemüths herzuleiten. Wenn wir auch uicht
historisch wüßten, daß Arnim ein rwlleudeter Gentleman, eine stattliche und zu¬
gleich liebenswürdige Persönlichkeit war, so würden wir es aus vielen Stellen
seiner Dichtungen heraus empfinden. Auch bei seinen allertollsten Einfällen wird
es uns klar, daß es nicht blos zufällige Eingebungen und Launen-siud, sondern
daß der Dichter mit eiuer bestimmten, bewußten Absicht und Reflexion an's Werk


Grenzboten. IU. 1862. , 31
'
Charakterbilder aus der deutschen Reftanrations-
literatur.
Ludwig Achin von Arnim, - .
geb, 178-1, 'geht, 1831.

Arnim könnte schon wegen seiner poetischen Gaben Interesse genug erregen,
um zum Gegenstand einer psychologischen und ästhetischen Studie gemacht zu
werden; er wird aber für uns noch ungleich wichtiger dadurch, daß wir an ihm
das charakteristische Bild einer nicht blos literarischen, sondern sich über alle
Zweige des Lebens verbreitenden Richtung des Geistes beobachten können. Er
hat zu seiner Zeit, wo viel untergeordnetere Talente eine glänzende Stellung
einnahmen, im Ganzen sehr wenig Erfolg gehabt, hauptsächlich weil er mit seinen
Absichten und Tendenzen nicht deutlich hervortrat, während die anderen Dichter
und Philosophen so lant als möglich ihre Ansichten und Sympathien verkündeten,
und wenn es thuen auch an Gestaltungskraft fehlte, was sie wollten, wirklich in's
Leben zu rufen, doch wenigstens sehr, vernehmlich sagten, was sie wollten. Arnim's
Dichtungen aber sind recht dazu geeignet, jeden Leser, welcher Tendenz und
welcher Bildungsstufe er auch augehören möge, in Verwirrung zu setzen. Ab-
geiehen von dem seltenen Talent zur Darstellung, das an sehr vielen Stellen
hervortritt, werden wir bei ihm auch von Zeit zu Zeit durch eine zugleich tiefe
und universelle Bildung überrascht; dann aber kommt unvermittelt eine Reihe
von Absurditäten, die so übermenschlich sind, und so vollkommen jede Möglichkeit
abschneide», einen Faden zu dem sonstigen Gedankenkreis des Dichters zu finden,
daß wir alle Fassung verlieren. Und doch ist es uns unmöglich, diese Verwirrung
aus einer subjectiven Krankheit des Gemüths herzuleiten. Wenn wir auch uicht
historisch wüßten, daß Arnim ein rwlleudeter Gentleman, eine stattliche und zu¬
gleich liebenswürdige Persönlichkeit war, so würden wir es aus vielen Stellen
seiner Dichtungen heraus empfinden. Auch bei seinen allertollsten Einfällen wird
es uns klar, daß es nicht blos zufällige Eingebungen und Launen-siud, sondern
daß der Dichter mit eiuer bestimmten, bewußten Absicht und Reflexion an's Werk


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[0253] Charakterbilder aus der deutschen Reftanrations- literatur. Ludwig Achin von Arnim, - . geb, 178-1, 'geht, 1831. Arnim könnte schon wegen seiner poetischen Gaben Interesse genug erregen, um zum Gegenstand einer psychologischen und ästhetischen Studie gemacht zu werden; er wird aber für uns noch ungleich wichtiger dadurch, daß wir an ihm das charakteristische Bild einer nicht blos literarischen, sondern sich über alle Zweige des Lebens verbreitenden Richtung des Geistes beobachten können. Er hat zu seiner Zeit, wo viel untergeordnetere Talente eine glänzende Stellung einnahmen, im Ganzen sehr wenig Erfolg gehabt, hauptsächlich weil er mit seinen Absichten und Tendenzen nicht deutlich hervortrat, während die anderen Dichter und Philosophen so lant als möglich ihre Ansichten und Sympathien verkündeten, und wenn es thuen auch an Gestaltungskraft fehlte, was sie wollten, wirklich in's Leben zu rufen, doch wenigstens sehr, vernehmlich sagten, was sie wollten. Arnim's Dichtungen aber sind recht dazu geeignet, jeden Leser, welcher Tendenz und welcher Bildungsstufe er auch augehören möge, in Verwirrung zu setzen. Ab- geiehen von dem seltenen Talent zur Darstellung, das an sehr vielen Stellen hervortritt, werden wir bei ihm auch von Zeit zu Zeit durch eine zugleich tiefe und universelle Bildung überrascht; dann aber kommt unvermittelt eine Reihe von Absurditäten, die so übermenschlich sind, und so vollkommen jede Möglichkeit abschneide», einen Faden zu dem sonstigen Gedankenkreis des Dichters zu finden, daß wir alle Fassung verlieren. Und doch ist es uns unmöglich, diese Verwirrung aus einer subjectiven Krankheit des Gemüths herzuleiten. Wenn wir auch uicht historisch wüßten, daß Arnim ein rwlleudeter Gentleman, eine stattliche und zu¬ gleich liebenswürdige Persönlichkeit war, so würden wir es aus vielen Stellen seiner Dichtungen heraus empfinden. Auch bei seinen allertollsten Einfällen wird es uns klar, daß es nicht blos zufällige Eingebungen und Launen-siud, sondern daß der Dichter mit eiuer bestimmten, bewußten Absicht und Reflexion an's Werk Grenzboten. IU. 1862. , 31 '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/253>, abgerufen am 21.12.2024.