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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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ren, aber folgende Geschichte dürfte noch nicht ganz bekannt sein, obgleich auch sie wie
die Februarrevolution mit einem Pistolenschüsse lärmend in die Welt getreten. Und
diesmal müssen wir in eisernem Wahrhcitsgesühlc gestehen, daß Ihr Botschafter nur zum
gläubigen Nachredner anderer Allwissenheiten sich hergebe. Der Park von Se. Cloud ist für
Frauen vor Jahren ein Lieblingsaufenthalt gewesen, und wenn erst besondere Gastfreund¬
schaft den reizenden Lustsitz noch reizender zu machen bereit ist, läßt sich die Unwidersteh-
lichkeit von Ludwig's XIV. Residenz noch besser begreisen. Eine Dame, deren Gemahl
neugebacken in der Ehe wie als Großwürdenträger ist, machte begeistert von diesem
Aufenthalt, und zwar ohne Wissen ihres Gemahls, Gebrauch. Dieser erfuhr durch einen
andern Großwürdenträger die so lebhast declariren Leidenschaft von Madame für
Se. Cloud. Der Mann, der von Moliere anticipirend besungen wurde, klei¬
dete sich schnell in seine ncugestickte Uniform, holte zwei ebenfalls neuuniformirte
Freunde ab und begab sich an Ort und Stelle. Die Consigne der Franzosen kennt selbst
keine Achtung vor Uniformen, und "<in pssss x"s, moins si vous öl-ion le xetit
vsxoral" ist schon dagewesen. Man passirte nicht und der historische Pistolenschuß ging
los zum zweiten Male, aber nicht mit gleichem Effecte. Man wußte, wer da sei, und
ließ ruhig schießen. Erst am Morgen in Begleitung des humoristisch lächelnden und
leuchtenden Vertrauten fuhr aus den Thoren des Parkes.... Und Sie wollen, ich
soll Ihnen über Literatur und Theater sprechen? Die Politik läßt uns eben so wenig
Ferien, als Mlle. Violette dem gelangweilten Pandolphc in Georg Sand's langweili¬
gem Stücke. Die Boulevards bringen neue Spectakelstücke in Menge. Aber welches
gleicht der Wirklichkeit?




Der Umschwung in Bremen.

Der Sieg der Reaction in Deutschland ist vollendet. Nachdem der letzte unbequeme
Widerstand in Hannnover durch den günstigen Zufall eines Thronwechsels beseitigt, der
letzte größere deutsche Staat damit unter die unbedingte Herrschaft der rcstcmrativen
Tendenzen zurückgefallen war, ließ sich eigentlich ein irgend erfolgreicher Kampf gegen
diese Gewalt auf einem einzelnen Punkt nicht mehr denken. Dem ganzen Deutschland
gegenüber, das nach so manchen heftigen Regungen und offenen Ausbrüchen der Unge¬
duld dennoch wieder zu den Füßen der heiligen europäischen Allianz lag, konnte sich
die völlig vereinzelte Demokratie in Bremen nicht halten; so wie unter ähnlichen Um¬
ständen auch die Alpenburg der schweizerischen Eidgenossen fallen wird.

Lange genug in der That ist es den bremischen Republikanern vergönnt gewesen,
den siegenden Waffen der Reaction zum Trotz ihr Wesen zu treiben, und um so gellender
ihre lästerliche Stimme ertönen zu lassen, je stiller es im übrigen Vaterland rings um
ward. Aber wie sich nun zeigt, verstand diese Gattung ideologischer Politiker dort
wie überall besser zu sprechen und gemüthlich zu wühlen, als verständiges Maß zu hal¬
ten. In einem uralten Freistaat wie Bremen, den Handel und Seeverkehr und selbst
das friesische Blut seiner Bewohner von jeher auf die freiesten'Formen des öffentlichen


ren, aber folgende Geschichte dürfte noch nicht ganz bekannt sein, obgleich auch sie wie
die Februarrevolution mit einem Pistolenschüsse lärmend in die Welt getreten. Und
diesmal müssen wir in eisernem Wahrhcitsgesühlc gestehen, daß Ihr Botschafter nur zum
gläubigen Nachredner anderer Allwissenheiten sich hergebe. Der Park von Se. Cloud ist für
Frauen vor Jahren ein Lieblingsaufenthalt gewesen, und wenn erst besondere Gastfreund¬
schaft den reizenden Lustsitz noch reizender zu machen bereit ist, läßt sich die Unwidersteh-
lichkeit von Ludwig's XIV. Residenz noch besser begreisen. Eine Dame, deren Gemahl
neugebacken in der Ehe wie als Großwürdenträger ist, machte begeistert von diesem
Aufenthalt, und zwar ohne Wissen ihres Gemahls, Gebrauch. Dieser erfuhr durch einen
andern Großwürdenträger die so lebhast declariren Leidenschaft von Madame für
Se. Cloud. Der Mann, der von Moliere anticipirend besungen wurde, klei¬
dete sich schnell in seine ncugestickte Uniform, holte zwei ebenfalls neuuniformirte
Freunde ab und begab sich an Ort und Stelle. Die Consigne der Franzosen kennt selbst
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vsxoral" ist schon dagewesen. Man passirte nicht und der historische Pistolenschuß ging
los zum zweiten Male, aber nicht mit gleichem Effecte. Man wußte, wer da sei, und
ließ ruhig schießen. Erst am Morgen in Begleitung des humoristisch lächelnden und
leuchtenden Vertrauten fuhr aus den Thoren des Parkes.... Und Sie wollen, ich
soll Ihnen über Literatur und Theater sprechen? Die Politik läßt uns eben so wenig
Ferien, als Mlle. Violette dem gelangweilten Pandolphc in Georg Sand's langweili¬
gem Stücke. Die Boulevards bringen neue Spectakelstücke in Menge. Aber welches
gleicht der Wirklichkeit?




Der Umschwung in Bremen.

Der Sieg der Reaction in Deutschland ist vollendet. Nachdem der letzte unbequeme
Widerstand in Hannnover durch den günstigen Zufall eines Thronwechsels beseitigt, der
letzte größere deutsche Staat damit unter die unbedingte Herrschaft der rcstcmrativen
Tendenzen zurückgefallen war, ließ sich eigentlich ein irgend erfolgreicher Kampf gegen
diese Gewalt auf einem einzelnen Punkt nicht mehr denken. Dem ganzen Deutschland
gegenüber, das nach so manchen heftigen Regungen und offenen Ausbrüchen der Unge¬
duld dennoch wieder zu den Füßen der heiligen europäischen Allianz lag, konnte sich
die völlig vereinzelte Demokratie in Bremen nicht halten; so wie unter ähnlichen Um¬
ständen auch die Alpenburg der schweizerischen Eidgenossen fallen wird.

Lange genug in der That ist es den bremischen Republikanern vergönnt gewesen,
den siegenden Waffen der Reaction zum Trotz ihr Wesen zu treiben, und um so gellender
ihre lästerliche Stimme ertönen zu lassen, je stiller es im übrigen Vaterland rings um
ward. Aber wie sich nun zeigt, verstand diese Gattung ideologischer Politiker dort
wie überall besser zu sprechen und gemüthlich zu wühlen, als verständiges Maß zu hal¬
ten. In einem uralten Freistaat wie Bremen, den Handel und Seeverkehr und selbst
das friesische Blut seiner Bewohner von jeher auf die freiesten'Formen des öffentlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/86>, abgerufen am 04.07.2024.