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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Charaktere der deutschen Nestaurationsliteratur.
Joseph Görres.
Geboren -1776, gestorben

Bei dem Mißverhältniß, welches in Deutschland seit der Restauration zwischen
den Wünschen der Regierten und den Neigungen der Regierenden bestand, hatte
man sich daran gewohnt, Alles, was dem bestehenden Staatsleben feindlich war,
mit einem gewissen Wohlwollen zu betrachten, und nicht viel darnach zu fragen,
ob auch der Inhalt dieser Opposition mit den vernünftigen Begriffen vom Staat
übereinstimmte. Da man lediglich die Phantasie zum Maßstabe der Politik machte,
so war die Phantasie des einen Propheten eben so tolerant gegen die Phantasie
des andern, wenn sie auch nicht mit ihr übereinstimmte, wie intolerant gegen die
Prosa der Wirklichkeit, deren abstracte Logik dem Gemüth keine Beschäftigung
gab. Wie fehlerhaft ein solches Zusammenwerfen aller Nuancen ist, kann uns
Görres' Beispiel um deutlichsten zeigen. Görres war zuerst kosmopolitischer
Revolutionär- und suchte in der französischen Republik die Erlösung der Mensch¬
heit, dann wurde er Deutschthümler, und forderte einen constitutionellen germani¬
schen Staat, bis er sich schließlich mit dem Particularismus der Fürstcnpolitik
vollständig einverstanden fühlte, wenn nur über dieses Gemisch von kleinen Local-
intcressen die Palme der alleinseligmachenden Kirche schützend ihre Blätter breitete.
Seine religiösen Ueberzeugungen gingen mit diesen politischen Wandelungen Hand
in Hand. Zuerst ein bitterer Pauthcist, warf er dann in phantastisch-doctrinairem
Spiel die sämmtlichen Religionen durch einander, bis er als fanatischer Katholik
endete. Das sieht nun zwar sehr widersprechend aus, im Gründe ist aber sein
Katholicismus von seinem Pantheismus so wenig verschieden, wie seine Deutsch-
thümelei vou seiner französischen Begeisterung. ' Er, hatte eine sehr erregbare
Phantasie, der aber alles Maß und damit zugleich die Fähigkeit abging, wirkliche
Gestalten hervorzubringen,, oder auch nnr lebendig anzuschauen; einen Vorrath
von Kenntnissen, in dem keine Spur von Ordnung und Gesetz zu finden war;
eine Kühnheit, die vor keinem äußerlichen Hindernisse zurückschreckte, der aber das


Grenzboten, II, -I8L2. Ü6
Charaktere der deutschen Nestaurationsliteratur.
Joseph Görres.
Geboren -1776, gestorben

Bei dem Mißverhältniß, welches in Deutschland seit der Restauration zwischen
den Wünschen der Regierten und den Neigungen der Regierenden bestand, hatte
man sich daran gewohnt, Alles, was dem bestehenden Staatsleben feindlich war,
mit einem gewissen Wohlwollen zu betrachten, und nicht viel darnach zu fragen,
ob auch der Inhalt dieser Opposition mit den vernünftigen Begriffen vom Staat
übereinstimmte. Da man lediglich die Phantasie zum Maßstabe der Politik machte,
so war die Phantasie des einen Propheten eben so tolerant gegen die Phantasie
des andern, wenn sie auch nicht mit ihr übereinstimmte, wie intolerant gegen die
Prosa der Wirklichkeit, deren abstracte Logik dem Gemüth keine Beschäftigung
gab. Wie fehlerhaft ein solches Zusammenwerfen aller Nuancen ist, kann uns
Görres' Beispiel um deutlichsten zeigen. Görres war zuerst kosmopolitischer
Revolutionär- und suchte in der französischen Republik die Erlösung der Mensch¬
heit, dann wurde er Deutschthümler, und forderte einen constitutionellen germani¬
schen Staat, bis er sich schließlich mit dem Particularismus der Fürstcnpolitik
vollständig einverstanden fühlte, wenn nur über dieses Gemisch von kleinen Local-
intcressen die Palme der alleinseligmachenden Kirche schützend ihre Blätter breitete.
Seine religiösen Ueberzeugungen gingen mit diesen politischen Wandelungen Hand
in Hand. Zuerst ein bitterer Pauthcist, warf er dann in phantastisch-doctrinairem
Spiel die sämmtlichen Religionen durch einander, bis er als fanatischer Katholik
endete. Das sieht nun zwar sehr widersprechend aus, im Gründe ist aber sein
Katholicismus von seinem Pantheismus so wenig verschieden, wie seine Deutsch-
thümelei vou seiner französischen Begeisterung. ' Er, hatte eine sehr erregbare
Phantasie, der aber alles Maß und damit zugleich die Fähigkeit abging, wirkliche
Gestalten hervorzubringen,, oder auch nnr lebendig anzuschauen; einen Vorrath
von Kenntnissen, in dem keine Spur von Ordnung und Gesetz zu finden war;
eine Kühnheit, die vor keinem äußerlichen Hindernisse zurückschreckte, der aber das


Grenzboten, II, -I8L2. Ü6
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[0453] Charaktere der deutschen Nestaurationsliteratur. Joseph Görres. Geboren -1776, gestorben Bei dem Mißverhältniß, welches in Deutschland seit der Restauration zwischen den Wünschen der Regierten und den Neigungen der Regierenden bestand, hatte man sich daran gewohnt, Alles, was dem bestehenden Staatsleben feindlich war, mit einem gewissen Wohlwollen zu betrachten, und nicht viel darnach zu fragen, ob auch der Inhalt dieser Opposition mit den vernünftigen Begriffen vom Staat übereinstimmte. Da man lediglich die Phantasie zum Maßstabe der Politik machte, so war die Phantasie des einen Propheten eben so tolerant gegen die Phantasie des andern, wenn sie auch nicht mit ihr übereinstimmte, wie intolerant gegen die Prosa der Wirklichkeit, deren abstracte Logik dem Gemüth keine Beschäftigung gab. Wie fehlerhaft ein solches Zusammenwerfen aller Nuancen ist, kann uns Görres' Beispiel um deutlichsten zeigen. Görres war zuerst kosmopolitischer Revolutionär- und suchte in der französischen Republik die Erlösung der Mensch¬ heit, dann wurde er Deutschthümler, und forderte einen constitutionellen germani¬ schen Staat, bis er sich schließlich mit dem Particularismus der Fürstcnpolitik vollständig einverstanden fühlte, wenn nur über dieses Gemisch von kleinen Local- intcressen die Palme der alleinseligmachenden Kirche schützend ihre Blätter breitete. Seine religiösen Ueberzeugungen gingen mit diesen politischen Wandelungen Hand in Hand. Zuerst ein bitterer Pauthcist, warf er dann in phantastisch-doctrinairem Spiel die sämmtlichen Religionen durch einander, bis er als fanatischer Katholik endete. Das sieht nun zwar sehr widersprechend aus, im Gründe ist aber sein Katholicismus von seinem Pantheismus so wenig verschieden, wie seine Deutsch- thümelei vou seiner französischen Begeisterung. ' Er, hatte eine sehr erregbare Phantasie, der aber alles Maß und damit zugleich die Fähigkeit abging, wirkliche Gestalten hervorzubringen,, oder auch nnr lebendig anzuschauen; einen Vorrath von Kenntnissen, in dem keine Spur von Ordnung und Gesetz zu finden war; eine Kühnheit, die vor keinem äußerlichen Hindernisse zurückschreckte, der aber das Grenzboten, II, -I8L2. Ü6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/453>, abgerufen am 05.12.2024.