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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Die Aerzte in Amerika *).

In Amerika wird jedes Geschäft mit einer gewissen Charlatanerie betrieben,
und auch dem eingewanderten Arzte ist, anzurathen, so viel von diesem Wesen
anzunehmen, als mit dem Ehrgefühle, der Rechtlichkeit und einem guten Gewissen
vereinbar ist. Um dem Leser einen deutlichen Begriff von dem Leben und Treiben
einer großen Zahl unserer Aerzte in den noch weniger angesiedelten westlichen
Staaten zu geben, theile ich einen Brief mit, den ich vor vier Jahren von einem
jungen Deutschen erhielt, welcher im Vaterlande Theologie studirt hatte, sich in
Cincinnati während eines Zeitraums vou zwei Jahren der Mediziuwisseuschaft
widmete, dann uach Michigan ging und dort zu pratticiren anfing.

"M... H. . . ., County Michigan, den 4. October 1846.

Im Mai dieses Jahres kam ich hier an und faud in diesem County eine
ziemlich dünne, halb englische und halb deutsche Bevölkerung. Der Sitz der Cen-
tralverwaltnng M... ist noch klein und zählt nicht über 4W Einwohner, dennoch
fand,ich schon einen amerikanische und einen deutscheu Arzt. Wir Alle siud in
der Hoffnung, daß die Bevölkerung rasch steigen wird; drei Aerzte erschienen Meh¬
reren, mit welchen ich darüber sprach, nicht zu viel, und ich ließ mich in der Stadt
nieder. Meine erste Sorge war, dem lutherischen Geistlichen, welcher hier wohnt,
meine Aufwartung zu machen. Derselbe wird Ihnen nicht unbekannt sein, da er
in Columbus das Predigerseminarinm besuchte; er ist eine gute Seele, aber ein
unbegrenzter Heuochse. Er ermangelte nicht, nach der Predigt seine treue Heerde
mit meiner Ankunft bekannt zu machen, rühmte von der Kanzel meine außeror¬
dentliche Geschicklichkeit und meinen frommen Sinn und machte sie darauf auf¬
merksam, daß es ihr eigener Vorcheil und ihre Pflicht sei, mich zu nnterstüjzen.
Meine ganze Sorgfalt verwendete ich nun ans die Ausschmückung meiner Officin
Alle Menschenknochen, deren ich in Cincinnati hatte habhaft werden können, hatte
ich mitgenommen; hier ist ihnen, in wunderbarer Ordnung aufgestellt, ein ganzer
Glasschrank gewidmet, während man in einem zweiten mehrere Fötnsse, zwei dnrch
Maschinerie abgerissene Finger, die ich in Cincinnati erhielt, Schlangen, Schild¬
kröten, Frösche und Insecten in mit Spiritus gefüllten Flaschen sieht. In dem
größten und dritten Glaswandschranke stehen in den obern Fächern die porzella¬
nenen und gläsernen Medizingefäße und Flaschen, symmetrisch geordnet; in den
mittleren Fächern die medizinischen Waagen, das Schröpfzeug mit seinem Dutzend
gläsernen Schröpfkopfen, drei Mortiere, die Znstrumente zum Zahuauszieheu, das
Stethoskop, mehrere Apothekersiebe und die chirurgischen Instrumente meines Be-




*) Nach dem vortrefflichen Buch: Skizzen aus den Vereinigten Staaten von O. Zirkel.
**) Geschäftszimmer.
Die Aerzte in Amerika *).

In Amerika wird jedes Geschäft mit einer gewissen Charlatanerie betrieben,
und auch dem eingewanderten Arzte ist, anzurathen, so viel von diesem Wesen
anzunehmen, als mit dem Ehrgefühle, der Rechtlichkeit und einem guten Gewissen
vereinbar ist. Um dem Leser einen deutlichen Begriff von dem Leben und Treiben
einer großen Zahl unserer Aerzte in den noch weniger angesiedelten westlichen
Staaten zu geben, theile ich einen Brief mit, den ich vor vier Jahren von einem
jungen Deutschen erhielt, welcher im Vaterlande Theologie studirt hatte, sich in
Cincinnati während eines Zeitraums vou zwei Jahren der Mediziuwisseuschaft
widmete, dann uach Michigan ging und dort zu pratticiren anfing.

„M... H. . . ., County Michigan, den 4. October 1846.

Im Mai dieses Jahres kam ich hier an und faud in diesem County eine
ziemlich dünne, halb englische und halb deutsche Bevölkerung. Der Sitz der Cen-
tralverwaltnng M... ist noch klein und zählt nicht über 4W Einwohner, dennoch
fand,ich schon einen amerikanische und einen deutscheu Arzt. Wir Alle siud in
der Hoffnung, daß die Bevölkerung rasch steigen wird; drei Aerzte erschienen Meh¬
reren, mit welchen ich darüber sprach, nicht zu viel, und ich ließ mich in der Stadt
nieder. Meine erste Sorge war, dem lutherischen Geistlichen, welcher hier wohnt,
meine Aufwartung zu machen. Derselbe wird Ihnen nicht unbekannt sein, da er
in Columbus das Predigerseminarinm besuchte; er ist eine gute Seele, aber ein
unbegrenzter Heuochse. Er ermangelte nicht, nach der Predigt seine treue Heerde
mit meiner Ankunft bekannt zu machen, rühmte von der Kanzel meine außeror¬
dentliche Geschicklichkeit und meinen frommen Sinn und machte sie darauf auf¬
merksam, daß es ihr eigener Vorcheil und ihre Pflicht sei, mich zu nnterstüjzen.
Meine ganze Sorgfalt verwendete ich nun ans die Ausschmückung meiner Officin
Alle Menschenknochen, deren ich in Cincinnati hatte habhaft werden können, hatte
ich mitgenommen; hier ist ihnen, in wunderbarer Ordnung aufgestellt, ein ganzer
Glasschrank gewidmet, während man in einem zweiten mehrere Fötnsse, zwei dnrch
Maschinerie abgerissene Finger, die ich in Cincinnati erhielt, Schlangen, Schild¬
kröten, Frösche und Insecten in mit Spiritus gefüllten Flaschen sieht. In dem
größten und dritten Glaswandschranke stehen in den obern Fächern die porzella¬
nenen und gläsernen Medizingefäße und Flaschen, symmetrisch geordnet; in den
mittleren Fächern die medizinischen Waagen, das Schröpfzeug mit seinem Dutzend
gläsernen Schröpfkopfen, drei Mortiere, die Znstrumente zum Zahuauszieheu, das
Stethoskop, mehrere Apothekersiebe und die chirurgischen Instrumente meines Be-




*) Nach dem vortrefflichen Buch: Skizzen aus den Vereinigten Staaten von O. Zirkel.
**) Geschäftszimmer.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/65>, abgerufen am 27.06.2024.