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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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stecks, alle einzeln ausgestellt und ganz schauerlich anzusehen; in den untern Fächern
steht meine allerdings sehr bescheidene Bibliothek. An den Wänden hängen vier
große colorirte Kupferstiche, blutige Operationen darstellend, bei deren Verfertigung
der Künstler die rothe Farbe nicht gespart hat, um ihnen ein furchtbares Ansehn
zu geben. An der Thür meines Geschäftszimmers prangen zwei Schilder, auf
welchen mit goldenen Buchstaben im azurblauen Felde Doctor H...... Arzt,
Wundarzt und Geburtshelfer, in deutscher und englischer Sprache zu lesen ist.
Außer oben erwähnter Kanzelverkündigung ließ ich Karten in beiden Sprachen
drucken, dieselben, in allen Kaufläden unserer und der Nachbarstädte vertheilen,
bestach außerdem mehrere Hausirer, I'eääler hier genannt, durch einige Dollars,
meine Karten nicht nnr weit und breit im Lande zu, vertheilen, sondern zugleich
von den nie früher gesehenen Curen Zeugniß zu geben, durch welche der junge
Doctor H..... bereits Weltruhm erlangt habe; diese Hausirer siud durch ver¬
sprochene, vierteljährlich zu wiederholende Prämien, wenn sie mit Erfolg arbeiten,
an meine Fahne gefesselt. Die Karte liest sich wie folgt.

Warum wolltet ihr sterben?

Der Unterzeichnete hat sich in M.... permanent niedergelassen und bietet,
da er beide Sprachen fließend spricht, seine Dienste in jedem Fache der Arznei¬
wissenschaft dem englischen und deutschen Publicum der Stadt und Umgegend an.
Auf den ersten Universitäten Europa's und Amerika's gebildet, kehrte er erst vor
zwei Jahren nach Amerika zurück, nachdem er die ausgezeichneten Gelegenheiten,
welche Paris der medizinischen Allsbildung darbietet, benutzt hatte. Eine glänzende
Praxis wurde ihm bald in New-Uork und Philadelphia zu Theil, doch seine Ge-
sundheit zwang ihn zu dem großen Bedauern aller Einwohner dieser Städte, sich
einen ländlichen Aufenthalt zu wählen; er warf seine Augen ans Michigan und
gedenkt den Staat zu seiner zweiten Heimath zu machen. Er kann, ohne zu
übertreiben, sagen, daß die Fälle unerhört sind, wo er nicht geholfen hat, und
Menschen in seiner Nähe sind nnr gestorben, wenn sie ihn gar nicht oder zu spät
rufen ließen. Ihr Blinden, ihr Lahmen, ihr Tauben, ihr Gebrechlichen aller Art,
kommt zu ihm, wenn eure frühern Aerzte auch tausendmal das Uebel für un-
curirbar erklärten; er hat Hülfe, wo sie keine hatten.

H....., Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer.

Am ersten Tage meiner Praxis verdiente ich 25 Cents; ein stämmiger Far¬
mersjunge erschien und wollte einen Zahn ausgezogen haben. In Cincinnati ist
dies das Departement der Zahnärzte; ich hatte daher in dieser Kunst gar keine
Praxis und meine Erfahrung beschränkte sich aus die Experimente, die ich mit
einem Kalbskopfe angestellt hatte. Ich ließ meinen Patienten niedersetzen, schnitt
nach Vorschrift das Zahnfleisch, setzte die Zange an, wackelte und zog, doch ver¬
gebens, zwei Versuche dieser Art blieben erfolglos; jetzt nahm ich meine Zuflucht
zu dem Schlüssel und brach glücklich den Zahn heraus; ein ziemliches Stück der


stecks, alle einzeln ausgestellt und ganz schauerlich anzusehen; in den untern Fächern
steht meine allerdings sehr bescheidene Bibliothek. An den Wänden hängen vier
große colorirte Kupferstiche, blutige Operationen darstellend, bei deren Verfertigung
der Künstler die rothe Farbe nicht gespart hat, um ihnen ein furchtbares Ansehn
zu geben. An der Thür meines Geschäftszimmers prangen zwei Schilder, auf
welchen mit goldenen Buchstaben im azurblauen Felde Doctor H...... Arzt,
Wundarzt und Geburtshelfer, in deutscher und englischer Sprache zu lesen ist.
Außer oben erwähnter Kanzelverkündigung ließ ich Karten in beiden Sprachen
drucken, dieselben, in allen Kaufläden unserer und der Nachbarstädte vertheilen,
bestach außerdem mehrere Hausirer, I'eääler hier genannt, durch einige Dollars,
meine Karten nicht nnr weit und breit im Lande zu, vertheilen, sondern zugleich
von den nie früher gesehenen Curen Zeugniß zu geben, durch welche der junge
Doctor H..... bereits Weltruhm erlangt habe; diese Hausirer siud durch ver¬
sprochene, vierteljährlich zu wiederholende Prämien, wenn sie mit Erfolg arbeiten,
an meine Fahne gefesselt. Die Karte liest sich wie folgt.

Warum wolltet ihr sterben?

Der Unterzeichnete hat sich in M.... permanent niedergelassen und bietet,
da er beide Sprachen fließend spricht, seine Dienste in jedem Fache der Arznei¬
wissenschaft dem englischen und deutschen Publicum der Stadt und Umgegend an.
Auf den ersten Universitäten Europa's und Amerika's gebildet, kehrte er erst vor
zwei Jahren nach Amerika zurück, nachdem er die ausgezeichneten Gelegenheiten,
welche Paris der medizinischen Allsbildung darbietet, benutzt hatte. Eine glänzende
Praxis wurde ihm bald in New-Uork und Philadelphia zu Theil, doch seine Ge-
sundheit zwang ihn zu dem großen Bedauern aller Einwohner dieser Städte, sich
einen ländlichen Aufenthalt zu wählen; er warf seine Augen ans Michigan und
gedenkt den Staat zu seiner zweiten Heimath zu machen. Er kann, ohne zu
übertreiben, sagen, daß die Fälle unerhört sind, wo er nicht geholfen hat, und
Menschen in seiner Nähe sind nnr gestorben, wenn sie ihn gar nicht oder zu spät
rufen ließen. Ihr Blinden, ihr Lahmen, ihr Tauben, ihr Gebrechlichen aller Art,
kommt zu ihm, wenn eure frühern Aerzte auch tausendmal das Uebel für un-
curirbar erklärten; er hat Hülfe, wo sie keine hatten.

H....., Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer.

Am ersten Tage meiner Praxis verdiente ich 25 Cents; ein stämmiger Far¬
mersjunge erschien und wollte einen Zahn ausgezogen haben. In Cincinnati ist
dies das Departement der Zahnärzte; ich hatte daher in dieser Kunst gar keine
Praxis und meine Erfahrung beschränkte sich aus die Experimente, die ich mit
einem Kalbskopfe angestellt hatte. Ich ließ meinen Patienten niedersetzen, schnitt
nach Vorschrift das Zahnfleisch, setzte die Zange an, wackelte und zog, doch ver¬
gebens, zwei Versuche dieser Art blieben erfolglos; jetzt nahm ich meine Zuflucht
zu dem Schlüssel und brach glücklich den Zahn heraus; ein ziemliches Stück der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/66>, abgerufen am 24.07.2024.