Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.Jeder Privatmann, der unter den deutschen Nachbarn oder in der Fremde lebt Wochenschau. Alls -- Sie haben getanzt den langen Carneval hindurch, und haben Ohne, Zweifel haben die Adelsdamen sich bereits das Maß nehmen lassen zu den Ist auch im Mittelstände hin und wieder mehr praktischer Sinn, oder gar einige Jeder Privatmann, der unter den deutschen Nachbarn oder in der Fremde lebt Wochenschau. Alls — Sie haben getanzt den langen Carneval hindurch, und haben Ohne, Zweifel haben die Adelsdamen sich bereits das Maß nehmen lassen zu den Ist auch im Mittelstände hin und wieder mehr praktischer Sinn, oder gar einige <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92220"/> <p xml:id="ID_1485" prev="#ID_1484"> Jeder Privatmann, der unter den deutschen Nachbarn oder in der Fremde lebt<lb/> der möge sich in seinem Kreise tüchtig, und fest zeigen, und sich auch nicht das<lb/> kleinste Unrecht gefallen lassen; denn die Ehre Preußens liegt jetzt in der Ehre<lb/> seiner einzelnen Bürger. Der Journalist, der Preußen aus Gefühl oder Ueber¬<lb/> zeugung in der Presse vertritt, vergesse jetzt nie, den Staat von seiner Regierung<lb/> zu unterscheiden, und der preußische Staatsmann, welcher als Volksvertreter oder<lb/> als Diplomat die Wahrheit laut zu sagen Gelegenheit hat, der lasse die Gelegen¬<lb/> heit nicht vorübergehen, die volle Wahrheit zu sagen. Es ist jetzt nicht mehr<lb/> Zeit zu trausigireu.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Wochenschau.</head><lb/> <div n="2"> <head> Alls </head> <p xml:id="ID_1486"> — Sie haben getanzt den langen Carneval hindurch, und haben<lb/> sich redlich bemühet, der Negierung zu beweisen, daß sie gemüthliche Leute seien, die<lb/> . wieder Geschmack finden' an der Fidel, an der Polka und Franyaise. Das Alles aber<lb/> war vergebens, die ermüdeten Tänzer ruhen aus in den ernsten Fasten, und sind bewachet<lb/> und belagert nach wie vor, vielleicht werden sie sich nun auf frequenten Kirchenbesuch<lb/> verlegen, um aus diesem Wege zu Gnaden zu gelangen. Uebrigens hat der vorüber¬<lb/> gegangene Carneval uns bewiesen, wie rasch wir uns deu beglückenden hindostanischen<lb/> Kastenzuständen nähern, welche durch das Schachtelnngswesen der Gemeinde- und Lan¬<lb/> desverfassungen angebahnt, sich auch in den socialen Verhältnissen breit machen. Der<lb/> Adel schied und sonderte sich diesmal streng und sorglich von dem Bürger, jeder tanzte<lb/> für sich und mied den Andern, wie Feuer und Wasser sich meidet. In früheren Jahren<lb/> pflegte der von den Rcchtsbeflissenen der Universität arrangirte Ball die ganze Gesellschaft<lb/> Prags zu vereinen; dies Jahr jedoch blieb der Adel in ovi'pors voll dein Balle aus,<lb/> weil an den Nechtsbeflissenen doch hin und wieder ewiger Barricadenstaub des Jahres<lb/> 1848 haften konnte. Man bedachte nicht, daß die Barricadenleiter der Studentenschaft<lb/> des Jahres 1848 längst in nnisormirte Vaterlandsvertheidiger oder in Festungsarrestanten<lb/> metamorphosirt seien, und fürchtete immerhin traditionellen Barricadensympathicn in<lb/> den Tänzern zu begegnen. Ueberhaupt wird die gesuchte Absichtlichkeit, mit welcher<lb/> der böhmische Adel sich abschließt, immer auffallender; mau will deu Verdacht jener<lb/> Liberalität, die mau im Jahre 1847 affectirte, als die Ständeschaft eine Art Privat¬<lb/> opposition gebildet hatte, möglichst vergessen machen, und will den Verdacht von<lb/> sich ablehnen, als habe man den Nevolutionsreigen eröffnet, man macht jetzt Vorstudien<lb/> und Vorexercitien für die künftige Pairie, in welche man nächstens mit vollen Segeln<lb/> einzulaufen gedenkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1487"> Ohne, Zweifel haben die Adelsdamen sich bereits das Maß nehmen lassen zu den<lb/> Peereßroben, in welchen sie bei künftigen Lcvers zu erscheinen gedenken. In den<lb/> Weibern überhaupt findet die Reaction ihre kräftigsten Stützen. Während in Pole»,<lb/> in Ungarn und Italien die Frauen die steten und unbezwingbaren Träger und Förderer<lb/> der nationalen Frciheitsrichtung sind, ist in dem übrigen eigentlichsten Oestreich gerade<lb/> das Gegentheil der Fall.</p><lb/> <p xml:id="ID_1488" next="#ID_1489"> Ist auch im Mittelstände hin und wieder mehr praktischer Sinn, oder gar einige<lb/> Spur von wissenschaftlichem Interesse zu finden, so ist doch die allgemeine banale haus¬<lb/> backene Prosa der Urtypus dieser Classe, und jedem Norddeutschen, der das seltene</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
Jeder Privatmann, der unter den deutschen Nachbarn oder in der Fremde lebt
der möge sich in seinem Kreise tüchtig, und fest zeigen, und sich auch nicht das
kleinste Unrecht gefallen lassen; denn die Ehre Preußens liegt jetzt in der Ehre
seiner einzelnen Bürger. Der Journalist, der Preußen aus Gefühl oder Ueber¬
zeugung in der Presse vertritt, vergesse jetzt nie, den Staat von seiner Regierung
zu unterscheiden, und der preußische Staatsmann, welcher als Volksvertreter oder
als Diplomat die Wahrheit laut zu sagen Gelegenheit hat, der lasse die Gelegen¬
heit nicht vorübergehen, die volle Wahrheit zu sagen. Es ist jetzt nicht mehr
Zeit zu trausigireu.
Wochenschau.
Alls — Sie haben getanzt den langen Carneval hindurch, und haben
sich redlich bemühet, der Negierung zu beweisen, daß sie gemüthliche Leute seien, die
. wieder Geschmack finden' an der Fidel, an der Polka und Franyaise. Das Alles aber
war vergebens, die ermüdeten Tänzer ruhen aus in den ernsten Fasten, und sind bewachet
und belagert nach wie vor, vielleicht werden sie sich nun auf frequenten Kirchenbesuch
verlegen, um aus diesem Wege zu Gnaden zu gelangen. Uebrigens hat der vorüber¬
gegangene Carneval uns bewiesen, wie rasch wir uns deu beglückenden hindostanischen
Kastenzuständen nähern, welche durch das Schachtelnngswesen der Gemeinde- und Lan¬
desverfassungen angebahnt, sich auch in den socialen Verhältnissen breit machen. Der
Adel schied und sonderte sich diesmal streng und sorglich von dem Bürger, jeder tanzte
für sich und mied den Andern, wie Feuer und Wasser sich meidet. In früheren Jahren
pflegte der von den Rcchtsbeflissenen der Universität arrangirte Ball die ganze Gesellschaft
Prags zu vereinen; dies Jahr jedoch blieb der Adel in ovi'pors voll dein Balle aus,
weil an den Nechtsbeflissenen doch hin und wieder ewiger Barricadenstaub des Jahres
1848 haften konnte. Man bedachte nicht, daß die Barricadenleiter der Studentenschaft
des Jahres 1848 längst in nnisormirte Vaterlandsvertheidiger oder in Festungsarrestanten
metamorphosirt seien, und fürchtete immerhin traditionellen Barricadensympathicn in
den Tänzern zu begegnen. Ueberhaupt wird die gesuchte Absichtlichkeit, mit welcher
der böhmische Adel sich abschließt, immer auffallender; mau will deu Verdacht jener
Liberalität, die mau im Jahre 1847 affectirte, als die Ständeschaft eine Art Privat¬
opposition gebildet hatte, möglichst vergessen machen, und will den Verdacht von
sich ablehnen, als habe man den Nevolutionsreigen eröffnet, man macht jetzt Vorstudien
und Vorexercitien für die künftige Pairie, in welche man nächstens mit vollen Segeln
einzulaufen gedenkt.
Ohne, Zweifel haben die Adelsdamen sich bereits das Maß nehmen lassen zu den
Peereßroben, in welchen sie bei künftigen Lcvers zu erscheinen gedenken. In den
Weibern überhaupt findet die Reaction ihre kräftigsten Stützen. Während in Pole»,
in Ungarn und Italien die Frauen die steten und unbezwingbaren Träger und Förderer
der nationalen Frciheitsrichtung sind, ist in dem übrigen eigentlichsten Oestreich gerade
das Gegentheil der Fall.
Ist auch im Mittelstände hin und wieder mehr praktischer Sinn, oder gar einige
Spur von wissenschaftlichem Interesse zu finden, so ist doch die allgemeine banale haus¬
backene Prosa der Urtypus dieser Classe, und jedem Norddeutschen, der das seltene
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