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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Der Tscherkeffenproceß in Bromberg.

Am 20. Januar d. I. wurde vor dem Schwurgerichte zu Bromberg der
Proceß gegen sechs bei Inowraclaw als russische Militärflüchtlinge gefangen ge¬
nommene Tscherkessen verhandelt; ein Proceß, ebenso interessant durch seine
Veranlassung als eigenthümlich durch die Erscheinungen, die sich in seinem Ver¬
laufe darstellten; denn -- ganz abgesehen von der fremdartigen Persönlichkeit der
Angeklagten -- dürfte es nicht oft vorkommen, beiß wir einen Vertheidiger im
Interesse seiner Clienten für Anerkennung des höchsten Strafmaßes plaidiren,
daß wir einen Gerichtshof in seinem Urtheil gegen Deserteure ausdrücklich von
deren "ehrenwerther und anständiger Führung" sprechen, und daß wir Angeklagte
nach Publication ihres Urtheils erklären hören, sie hätten nichts so sehr gefürchtet,
als eine Freisprechung.

Die Geschichte der Angeklagten, soweit sie mit diesem Proceß in Verbindung
steht, ist ihrer Zeit in allen deutscheu Zeitungen so vielfach mitgetheilt worden,
daß sie hier nur kurz erwähnt werden darf.

Zehn Soldaten eines tscherkessischen Regiments verlassen mit Pferd und
Waffen ihre Garnison Skierniewice, Lowiczer Kreises, um dem König von
Preußen ihre Dienste anzubieten. Sie passiren am 1. Oct. 1850 bei Kruschwitz
die preußische Grenze und lassen sich von dem dort stationirten Gensd'arm zum
Landrath nach Inowraclaw führen, um von diesem Pässe nach Berlin zu erhalten.
Dieser eröffnet ihnen, sie müßten nach der bestehenden Cartellconoention vom
20. Mai 1844 ausgeliefert werden, um so mehr, als bereits eine Requisition
von dem Commandeur der kaukasischen berittenen Division ans Skierniewice ein¬
gelaufen sei; er fordert sie durch einen polnischen Dolmetscher auf nach der Dra¬
gonerkaserne zu reiten um dort ihre Waffen und Pferde abzuliefern, gleichzeitig
setzt er den Rittmeister der Dragonerschwadron davon in Kenntniß mit dem Be¬
merken, es werde schwer werden die Leute zur Ablegung der Waffen zu bewegen.
Der Rittmeister ersucht den Landrath, "die Tscherkessen so lange hinzuhalten, bis
die nothwendigen Anordnungen zum gewaltsamen Einschreiten getroffen wären"
und nach 2/4 Stunden erklärt er sich zum Empfange derselben bereit. Die Tscher¬
kessen reiten zur Kaserne; während man vor derselben Parlamentär, da sie die
Ablegung der Waffen verweigern, reiten 35 Dragoner mit gezogenen Säbeln
vor und neben ihnen postiren sich 12 unberittene Dragoner mit scharfgeladenen
Karabinern. Hierauf setzen sich die Tscherkessen in Bereitschaft zur Vertheidigung
und beginnen so den Rückzug anzutreten; die 12 Karabinerschützen, ausdrücklich
instruirt ordentlich auf die Tscherkessen zu halten, geben eine wirkungslose Salve,
ein Tscherkesse antwortet mit seiner Büchse, ebenfalls ohne Erfolg. Die Tscher-


Der Tscherkeffenproceß in Bromberg.

Am 20. Januar d. I. wurde vor dem Schwurgerichte zu Bromberg der
Proceß gegen sechs bei Inowraclaw als russische Militärflüchtlinge gefangen ge¬
nommene Tscherkessen verhandelt; ein Proceß, ebenso interessant durch seine
Veranlassung als eigenthümlich durch die Erscheinungen, die sich in seinem Ver¬
laufe darstellten; denn — ganz abgesehen von der fremdartigen Persönlichkeit der
Angeklagten — dürfte es nicht oft vorkommen, beiß wir einen Vertheidiger im
Interesse seiner Clienten für Anerkennung des höchsten Strafmaßes plaidiren,
daß wir einen Gerichtshof in seinem Urtheil gegen Deserteure ausdrücklich von
deren „ehrenwerther und anständiger Führung" sprechen, und daß wir Angeklagte
nach Publication ihres Urtheils erklären hören, sie hätten nichts so sehr gefürchtet,
als eine Freisprechung.

Die Geschichte der Angeklagten, soweit sie mit diesem Proceß in Verbindung
steht, ist ihrer Zeit in allen deutscheu Zeitungen so vielfach mitgetheilt worden,
daß sie hier nur kurz erwähnt werden darf.

Zehn Soldaten eines tscherkessischen Regiments verlassen mit Pferd und
Waffen ihre Garnison Skierniewice, Lowiczer Kreises, um dem König von
Preußen ihre Dienste anzubieten. Sie passiren am 1. Oct. 1850 bei Kruschwitz
die preußische Grenze und lassen sich von dem dort stationirten Gensd'arm zum
Landrath nach Inowraclaw führen, um von diesem Pässe nach Berlin zu erhalten.
Dieser eröffnet ihnen, sie müßten nach der bestehenden Cartellconoention vom
20. Mai 1844 ausgeliefert werden, um so mehr, als bereits eine Requisition
von dem Commandeur der kaukasischen berittenen Division ans Skierniewice ein¬
gelaufen sei; er fordert sie durch einen polnischen Dolmetscher auf nach der Dra¬
gonerkaserne zu reiten um dort ihre Waffen und Pferde abzuliefern, gleichzeitig
setzt er den Rittmeister der Dragonerschwadron davon in Kenntniß mit dem Be¬
merken, es werde schwer werden die Leute zur Ablegung der Waffen zu bewegen.
Der Rittmeister ersucht den Landrath, „die Tscherkessen so lange hinzuhalten, bis
die nothwendigen Anordnungen zum gewaltsamen Einschreiten getroffen wären"
und nach 2/4 Stunden erklärt er sich zum Empfange derselben bereit. Die Tscher¬
kessen reiten zur Kaserne; während man vor derselben Parlamentär, da sie die
Ablegung der Waffen verweigern, reiten 35 Dragoner mit gezogenen Säbeln
vor und neben ihnen postiren sich 12 unberittene Dragoner mit scharfgeladenen
Karabinern. Hierauf setzen sich die Tscherkessen in Bereitschaft zur Vertheidigung
und beginnen so den Rückzug anzutreten; die 12 Karabinerschützen, ausdrücklich
instruirt ordentlich auf die Tscherkessen zu halten, geben eine wirkungslose Salve,
ein Tscherkesse antwortet mit seiner Büchse, ebenfalls ohne Erfolg. Die Tscher-


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[0362] Der Tscherkeffenproceß in Bromberg. Am 20. Januar d. I. wurde vor dem Schwurgerichte zu Bromberg der Proceß gegen sechs bei Inowraclaw als russische Militärflüchtlinge gefangen ge¬ nommene Tscherkessen verhandelt; ein Proceß, ebenso interessant durch seine Veranlassung als eigenthümlich durch die Erscheinungen, die sich in seinem Ver¬ laufe darstellten; denn — ganz abgesehen von der fremdartigen Persönlichkeit der Angeklagten — dürfte es nicht oft vorkommen, beiß wir einen Vertheidiger im Interesse seiner Clienten für Anerkennung des höchsten Strafmaßes plaidiren, daß wir einen Gerichtshof in seinem Urtheil gegen Deserteure ausdrücklich von deren „ehrenwerther und anständiger Führung" sprechen, und daß wir Angeklagte nach Publication ihres Urtheils erklären hören, sie hätten nichts so sehr gefürchtet, als eine Freisprechung. Die Geschichte der Angeklagten, soweit sie mit diesem Proceß in Verbindung steht, ist ihrer Zeit in allen deutscheu Zeitungen so vielfach mitgetheilt worden, daß sie hier nur kurz erwähnt werden darf. Zehn Soldaten eines tscherkessischen Regiments verlassen mit Pferd und Waffen ihre Garnison Skierniewice, Lowiczer Kreises, um dem König von Preußen ihre Dienste anzubieten. Sie passiren am 1. Oct. 1850 bei Kruschwitz die preußische Grenze und lassen sich von dem dort stationirten Gensd'arm zum Landrath nach Inowraclaw führen, um von diesem Pässe nach Berlin zu erhalten. Dieser eröffnet ihnen, sie müßten nach der bestehenden Cartellconoention vom 20. Mai 1844 ausgeliefert werden, um so mehr, als bereits eine Requisition von dem Commandeur der kaukasischen berittenen Division ans Skierniewice ein¬ gelaufen sei; er fordert sie durch einen polnischen Dolmetscher auf nach der Dra¬ gonerkaserne zu reiten um dort ihre Waffen und Pferde abzuliefern, gleichzeitig setzt er den Rittmeister der Dragonerschwadron davon in Kenntniß mit dem Be¬ merken, es werde schwer werden die Leute zur Ablegung der Waffen zu bewegen. Der Rittmeister ersucht den Landrath, „die Tscherkessen so lange hinzuhalten, bis die nothwendigen Anordnungen zum gewaltsamen Einschreiten getroffen wären" und nach 2/4 Stunden erklärt er sich zum Empfange derselben bereit. Die Tscher¬ kessen reiten zur Kaserne; während man vor derselben Parlamentär, da sie die Ablegung der Waffen verweigern, reiten 35 Dragoner mit gezogenen Säbeln vor und neben ihnen postiren sich 12 unberittene Dragoner mit scharfgeladenen Karabinern. Hierauf setzen sich die Tscherkessen in Bereitschaft zur Vertheidigung und beginnen so den Rückzug anzutreten; die 12 Karabinerschützen, ausdrücklich instruirt ordentlich auf die Tscherkessen zu halten, geben eine wirkungslose Salve, ein Tscherkesse antwortet mit seiner Büchse, ebenfalls ohne Erfolg. Die Tscher-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/362>, abgerufen am 27.06.2024.