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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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lesser flüchten und werden von den berittenen Dragonern auf die Chaussee ver¬
folgt, dort finden eine Reihe von Angriffen statt, in welchem 1 Dragoner und
2 Tscherkessen getödtet, 2 Dragoner erheblich verwundet und 3 Tscherkessen ge¬
fangen wurden und welches damit endete, daß die 5 übrigen Tscherkessen sich in
das Eiuliegerhaus eines nahe bei Inowraclaw gelegenen Vorwerks warfen. Die
Vorwerksgebände wurden jetzt auf Befehl des Rittmeisters niedergebrannt, bis ans
eines, welches die Flüchtlinge vertheidigten. Eine Nacht verging darüber; des
andern Morgens erschien auf Requisition eine Compagnie Infanterie, welche mit
Verlust von 2 Mann das letzte Gebände stürmt, wobei anch dies in Brand
geräth und 3 Tscherkessen, einer schwer verwundet, gefangen genommen werden;
die beideu andern fand man todt.

In dem öffentlichen Verfahren vor den Assissen von Bromberg wurde durch
die Aussage" der Inculpaten und Zeugen, worunter Schwerverwundete preußische
Soldaten, festgestellt, daß die Tödtungen und Verwundungen der Dragoner dnrch
die vier gebliebenen Tscherkessen verursacht worden waren. Offenbar waren Zeu¬
ge", Staatsanwalt und Untersuchungsrichter um die Wette bemüht, das Schicksal
der Ueberlebenden so leicht als möglich zu macheu. Durch die Geschwornen
wurden! die Tscherkessen für schuldig erklärt, der bewaffneten Macht, als einer
Abgeordneten der Obrigkeit, sich gewaltsam widersetzt zu haben; und auf Antrag
der Staatsanwaltschaft, welcher sich der Vertheidiger anschloß, mit dem höchsten
Strafmaß, 2 Jahre Festnngsarrest, vom Gerichtshofe belegt. Publicum und
Verurtheilte'vernahmen deu Spruch unter lauter Ausbrüchen der Freude.

Die Anklage und Einleitung der Untersuchung gegen die sechs Gefangenen
war durch das Gesetz geboten und kann hier einer weitern Beurtheilung nicht
unterliegen; ebenso ist das Resultat des gerichtlichen Verfahrens als ein ganz
folgerichtiges und den Forderungen der Humanität entsprechendes höchlich anzu-
erkennen; denn eine zweijährige Festnngsstrafe erscheint dem Loose gegenüber,
welches die Deserteure in Rußland erwartet, eine Wohlthat, und am Ende ist
es jetzt sehr zweifelhaft, ob die armen Burschen überhaupt ausgeliefert werden;
bis die zwei Jahre vergangen siud, kann sich Manches für sie günstiger gestaltet
haben.

Die Behandlung der Gefangenen während ihrer Untersuchungshaft und beim
öffentlichen Verfahren war höchst wohlwollend, ja zuvorkommend, und eS ist von
dieser Seite Alles geschehen, was Menschenliebe und zartes Mitleid mit den
seltsamen Unglücklichen thun konnte. Auch in hohen Kreisen ist das Interesse
für sie rege geworden, und sogar der Kaiser von Rußland hat den Vorfall "tief
beklagt". Die Gefangenen werden auf der Festung gewiß human behandelt werden,
und deutsche Gutherzigkeit wird wenigstens an ihnen die Fehler gutzumachen
suchen, die bei ihrer Gefangennahme vorgekommen sind. Haben ihnen die
Bromberger Damen doch bereits, wie erzählt wird, neue Uniformen machen lassen,


lesser flüchten und werden von den berittenen Dragonern auf die Chaussee ver¬
folgt, dort finden eine Reihe von Angriffen statt, in welchem 1 Dragoner und
2 Tscherkessen getödtet, 2 Dragoner erheblich verwundet und 3 Tscherkessen ge¬
fangen wurden und welches damit endete, daß die 5 übrigen Tscherkessen sich in
das Eiuliegerhaus eines nahe bei Inowraclaw gelegenen Vorwerks warfen. Die
Vorwerksgebände wurden jetzt auf Befehl des Rittmeisters niedergebrannt, bis ans
eines, welches die Flüchtlinge vertheidigten. Eine Nacht verging darüber; des
andern Morgens erschien auf Requisition eine Compagnie Infanterie, welche mit
Verlust von 2 Mann das letzte Gebände stürmt, wobei anch dies in Brand
geräth und 3 Tscherkessen, einer schwer verwundet, gefangen genommen werden;
die beideu andern fand man todt.

In dem öffentlichen Verfahren vor den Assissen von Bromberg wurde durch
die Aussage« der Inculpaten und Zeugen, worunter Schwerverwundete preußische
Soldaten, festgestellt, daß die Tödtungen und Verwundungen der Dragoner dnrch
die vier gebliebenen Tscherkessen verursacht worden waren. Offenbar waren Zeu¬
ge», Staatsanwalt und Untersuchungsrichter um die Wette bemüht, das Schicksal
der Ueberlebenden so leicht als möglich zu macheu. Durch die Geschwornen
wurden! die Tscherkessen für schuldig erklärt, der bewaffneten Macht, als einer
Abgeordneten der Obrigkeit, sich gewaltsam widersetzt zu haben; und auf Antrag
der Staatsanwaltschaft, welcher sich der Vertheidiger anschloß, mit dem höchsten
Strafmaß, 2 Jahre Festnngsarrest, vom Gerichtshofe belegt. Publicum und
Verurtheilte'vernahmen deu Spruch unter lauter Ausbrüchen der Freude.

Die Anklage und Einleitung der Untersuchung gegen die sechs Gefangenen
war durch das Gesetz geboten und kann hier einer weitern Beurtheilung nicht
unterliegen; ebenso ist das Resultat des gerichtlichen Verfahrens als ein ganz
folgerichtiges und den Forderungen der Humanität entsprechendes höchlich anzu-
erkennen; denn eine zweijährige Festnngsstrafe erscheint dem Loose gegenüber,
welches die Deserteure in Rußland erwartet, eine Wohlthat, und am Ende ist
es jetzt sehr zweifelhaft, ob die armen Burschen überhaupt ausgeliefert werden;
bis die zwei Jahre vergangen siud, kann sich Manches für sie günstiger gestaltet
haben.

Die Behandlung der Gefangenen während ihrer Untersuchungshaft und beim
öffentlichen Verfahren war höchst wohlwollend, ja zuvorkommend, und eS ist von
dieser Seite Alles geschehen, was Menschenliebe und zartes Mitleid mit den
seltsamen Unglücklichen thun konnte. Auch in hohen Kreisen ist das Interesse
für sie rege geworden, und sogar der Kaiser von Rußland hat den Vorfall „tief
beklagt". Die Gefangenen werden auf der Festung gewiß human behandelt werden,
und deutsche Gutherzigkeit wird wenigstens an ihnen die Fehler gutzumachen
suchen, die bei ihrer Gefangennahme vorgekommen sind. Haben ihnen die
Bromberger Damen doch bereits, wie erzählt wird, neue Uniformen machen lassen,


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[0363] lesser flüchten und werden von den berittenen Dragonern auf die Chaussee ver¬ folgt, dort finden eine Reihe von Angriffen statt, in welchem 1 Dragoner und 2 Tscherkessen getödtet, 2 Dragoner erheblich verwundet und 3 Tscherkessen ge¬ fangen wurden und welches damit endete, daß die 5 übrigen Tscherkessen sich in das Eiuliegerhaus eines nahe bei Inowraclaw gelegenen Vorwerks warfen. Die Vorwerksgebände wurden jetzt auf Befehl des Rittmeisters niedergebrannt, bis ans eines, welches die Flüchtlinge vertheidigten. Eine Nacht verging darüber; des andern Morgens erschien auf Requisition eine Compagnie Infanterie, welche mit Verlust von 2 Mann das letzte Gebände stürmt, wobei anch dies in Brand geräth und 3 Tscherkessen, einer schwer verwundet, gefangen genommen werden; die beideu andern fand man todt. In dem öffentlichen Verfahren vor den Assissen von Bromberg wurde durch die Aussage« der Inculpaten und Zeugen, worunter Schwerverwundete preußische Soldaten, festgestellt, daß die Tödtungen und Verwundungen der Dragoner dnrch die vier gebliebenen Tscherkessen verursacht worden waren. Offenbar waren Zeu¬ ge», Staatsanwalt und Untersuchungsrichter um die Wette bemüht, das Schicksal der Ueberlebenden so leicht als möglich zu macheu. Durch die Geschwornen wurden! die Tscherkessen für schuldig erklärt, der bewaffneten Macht, als einer Abgeordneten der Obrigkeit, sich gewaltsam widersetzt zu haben; und auf Antrag der Staatsanwaltschaft, welcher sich der Vertheidiger anschloß, mit dem höchsten Strafmaß, 2 Jahre Festnngsarrest, vom Gerichtshofe belegt. Publicum und Verurtheilte'vernahmen deu Spruch unter lauter Ausbrüchen der Freude. Die Anklage und Einleitung der Untersuchung gegen die sechs Gefangenen war durch das Gesetz geboten und kann hier einer weitern Beurtheilung nicht unterliegen; ebenso ist das Resultat des gerichtlichen Verfahrens als ein ganz folgerichtiges und den Forderungen der Humanität entsprechendes höchlich anzu- erkennen; denn eine zweijährige Festnngsstrafe erscheint dem Loose gegenüber, welches die Deserteure in Rußland erwartet, eine Wohlthat, und am Ende ist es jetzt sehr zweifelhaft, ob die armen Burschen überhaupt ausgeliefert werden; bis die zwei Jahre vergangen siud, kann sich Manches für sie günstiger gestaltet haben. Die Behandlung der Gefangenen während ihrer Untersuchungshaft und beim öffentlichen Verfahren war höchst wohlwollend, ja zuvorkommend, und eS ist von dieser Seite Alles geschehen, was Menschenliebe und zartes Mitleid mit den seltsamen Unglücklichen thun konnte. Auch in hohen Kreisen ist das Interesse für sie rege geworden, und sogar der Kaiser von Rußland hat den Vorfall „tief beklagt". Die Gefangenen werden auf der Festung gewiß human behandelt werden, und deutsche Gutherzigkeit wird wenigstens an ihnen die Fehler gutzumachen suchen, die bei ihrer Gefangennahme vorgekommen sind. Haben ihnen die Bromberger Damen doch bereits, wie erzählt wird, neue Uniformen machen lassen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/363>, abgerufen am 28.06.2024.