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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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theilen. -- Das wäre zwar ein sehr nnkünftlerischer Zweck, aber vom moralischen
Standpunkt könnte man nichts dagegen einwenden, wenn er mehr als eine bloße
Redensart wäre. Eigentlich ist die handgreifliche Moral aller dieser Stücke: der
Reichthum ist das höchste, das einzige Gut, und der Neid des Armen ist voll¬
kommen berechtigt. -- Entweder ergibt sich schließlich, daß Paillasse der Schwieger¬
sohn eines Herzogs ist, und er kommt alsdann selber zu großem Glück, oder es
entsteht eine allgemeine Schlächterei. -- Es wird uns nicht allein die nackte Prosa
des Lebens vorgeführt, in plumpen Strichen, in unwahre Verhältnisse zusam¬
mengedrängt; sondern diese Prosa wird anch durch die absichtliche Lüge über¬
firnißt. - Unstreitig ist anch der herumziehende Gaukler, dessen tägliche Be¬
schäftigung darin besteht, dem Pöbel Späße vorzumachen, die dann doch in der
Regel etwas Obscönes haben müssen, wenn sie wirken sollen, starker und an¬
greifender Empfindungen sähig, wie jeder andere Mensch; aber gewiß nicht
zarter und raffinirter Empfindungen. Wenn dieser Paillasse dreizehn Jahre lang
mit einer übrigens recht braven Fran verheirathet ist, von der es sich nachher
ergibt, daß sie eigentlich die Tochter eines Herzogs ist, so ist das eine Situation,
die man nicht anders nennen kann, als abgeschmackt. Mögen sich die Betheiligten
daraus ziehen, so gut es gehen will, etwas Kluges kann daraus nie werden. --
Aber freilich wird dem überreizten Geschmack dnrch gesteigerten Kitzel geschmeichelt,
I. S. und das ist am Ende der höchste Zweck eines solchen Rührspiels.




Wochenschau"
Der Covsar.

Oper von Julius Nietz. Die Oper hat nicht die Theilnahme
im Publicum gesunden, die sie mit Recht beanspruchen durfte, sowohl wenn man die per¬
sönlichen Verdienste des Componisten, als ausübenden Musikers, als den aufgewandten
Fleiß, die Gründlichkeit und die gediegene musikalische Bildung, die sich in derselben aus¬
sprach, in Betracht zog. Der Componist hat, wie dies in Deutschland in neuerer Zeit
fast immer der Fall gewesen, die Sünden des Dichters mit auf seine Schultern laden
müssen. Die Musik der Oper kann man als einen Pendant zu Schumann'S Genoveva
betrachten, wenn sonst auch gerade diese beiden Tondichter die entgegengesetzten Richtungen
eingeschlagen haben. Hier, wie dort, das Streben nach der äußersten Solidität, die
größte Gewissenhaftigkeit, und, soll ich offen reden, die grämliche, ernste Miene eines
gründlichen, deutschen Musikers, fast nirgends ein freundliches Gesicht und ein fröhlicher Sprung.

Es ist für den geschulten Musiker schon schwer, viele Stunden lang den gelehrten
Jrrgängen eines solchen Werks zu folgen. Die deutsche Tonkunst macht jetzt ein eben
so grämliches Gesicht, wie das ganze Volk selbst. Man wird bald bei uns ausrufen:
ein Königreich für eine gute Melodie, für eine Melodie voll Schwung und Kraft, die
aus dem Herzen kommt und wieder zum Herzen geht. Diese Melodien können nie ersetzt
werden durch kunstreiche und gelehrte Machinationen. Wozu ferner die Versuche, neue
Formen und Constructionen einzuführen, während doch die althergebrachten sich praktisch


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theilen. — Das wäre zwar ein sehr nnkünftlerischer Zweck, aber vom moralischen
Standpunkt könnte man nichts dagegen einwenden, wenn er mehr als eine bloße
Redensart wäre. Eigentlich ist die handgreifliche Moral aller dieser Stücke: der
Reichthum ist das höchste, das einzige Gut, und der Neid des Armen ist voll¬
kommen berechtigt. — Entweder ergibt sich schließlich, daß Paillasse der Schwieger¬
sohn eines Herzogs ist, und er kommt alsdann selber zu großem Glück, oder es
entsteht eine allgemeine Schlächterei. — Es wird uns nicht allein die nackte Prosa
des Lebens vorgeführt, in plumpen Strichen, in unwahre Verhältnisse zusam¬
mengedrängt; sondern diese Prosa wird anch durch die absichtliche Lüge über¬
firnißt. - Unstreitig ist anch der herumziehende Gaukler, dessen tägliche Be¬
schäftigung darin besteht, dem Pöbel Späße vorzumachen, die dann doch in der
Regel etwas Obscönes haben müssen, wenn sie wirken sollen, starker und an¬
greifender Empfindungen sähig, wie jeder andere Mensch; aber gewiß nicht
zarter und raffinirter Empfindungen. Wenn dieser Paillasse dreizehn Jahre lang
mit einer übrigens recht braven Fran verheirathet ist, von der es sich nachher
ergibt, daß sie eigentlich die Tochter eines Herzogs ist, so ist das eine Situation,
die man nicht anders nennen kann, als abgeschmackt. Mögen sich die Betheiligten
daraus ziehen, so gut es gehen will, etwas Kluges kann daraus nie werden. —
Aber freilich wird dem überreizten Geschmack dnrch gesteigerten Kitzel geschmeichelt,
I. S. und das ist am Ende der höchste Zweck eines solchen Rührspiels.




Wochenschau»
Der Covsar.

Oper von Julius Nietz. Die Oper hat nicht die Theilnahme
im Publicum gesunden, die sie mit Recht beanspruchen durfte, sowohl wenn man die per¬
sönlichen Verdienste des Componisten, als ausübenden Musikers, als den aufgewandten
Fleiß, die Gründlichkeit und die gediegene musikalische Bildung, die sich in derselben aus¬
sprach, in Betracht zog. Der Componist hat, wie dies in Deutschland in neuerer Zeit
fast immer der Fall gewesen, die Sünden des Dichters mit auf seine Schultern laden
müssen. Die Musik der Oper kann man als einen Pendant zu Schumann'S Genoveva
betrachten, wenn sonst auch gerade diese beiden Tondichter die entgegengesetzten Richtungen
eingeschlagen haben. Hier, wie dort, das Streben nach der äußersten Solidität, die
größte Gewissenhaftigkeit, und, soll ich offen reden, die grämliche, ernste Miene eines
gründlichen, deutschen Musikers, fast nirgends ein freundliches Gesicht und ein fröhlicher Sprung.

Es ist für den geschulten Musiker schon schwer, viele Stunden lang den gelehrten
Jrrgängen eines solchen Werks zu folgen. Die deutsche Tonkunst macht jetzt ein eben
so grämliches Gesicht, wie das ganze Volk selbst. Man wird bald bei uns ausrufen:
ein Königreich für eine gute Melodie, für eine Melodie voll Schwung und Kraft, die
aus dem Herzen kommt und wieder zum Herzen geht. Diese Melodien können nie ersetzt
werden durch kunstreiche und gelehrte Machinationen. Wozu ferner die Versuche, neue
Formen und Constructionen einzuführen, während doch die althergebrachten sich praktisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/250>, abgerufen am 27.06.2024.