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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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werden sollte, jene brutale Excommunication habe Smetana's.Andenken nicht
ausgetilgt in dem Herzen seiner Freunde, sondern der Freunde viele geworben.
Viele, welche den Zug in deu übrigen Straßen erwartet, um sich ihm anzu¬
schließen, harrten vergebens.

Es klang kein Glöcklein, es erscholl kein Leichengesang, sechs Freunde trugen den
Sarg aus dem Hause an den Leichenwagen, von welchem, auf hohe Anordnung,
sogar das Crucifix abgeschraubt wordeu war. Bei dem Anblick des Sarges entblö߬
ten die dicht gedrängt Versammelten das Haupt, und eine alte Frau aus dem Volke
rief begeistert aus: "Diesen hat Gott nicht mehr zu richten, haben ihn doch die
Vielen, die sich hier versammelt, schon gerichtet, und kein Fehl an ihm gefunden,
und des Volkes Stimme ist Gottes Stimme!" Diese Worte, czechisch gesprochen,
machten Eindruck auf die Umstehenden, welche den Leichenzug eröffneten, der sich
als ein dichter Volksstrom aus dem Thore bewegte, und die Stadt in weiten
Bogen umziehend, den Leichenhof mit gedrängten Massen erfüllte. Der Sarg
ward ohne Sang, ohne Grabrede in die Erde gesenkt, die Mutter des Todten
weinte still. Die versammelte Meuge umstand das Grab in lautloser Stille, ohne
Aufforderung, ohne gegebenes Zeichen das Haupt entblößend.

Mau sah Thränen der Rührung, ja und auch der Erbitterung über deu
tyrannischen Zwang, welchen die Behörde sich erlaubte, in den Augen gereifter
Männer. Nicht vergebens sind diese Thränen geweint. -- Er aber ruhe in
Johannes. Frieden!




Das sogenannte Volksdrama.

Unter diesem Titel werden bei uus vou Zeit zu Zeit aus dem Französischen
Stücke eingeführt, die nicht aus das Volk, soudern auf den Pöbel berechnet sind.
Wenn man all die Menge vortrefflich ausgearbeiteter französischer Lustspiele denkt,
die unbenutzt liegeu bleiben, währeud Man keinen Augenblick ansteht, die wüstesten
Ausgeburten der celtischen Phantasie augenblicklich unserm Publicum aufzutischen,
so wird man dadurch eben nicht zu eiuer großen Ehrerbietung vor dem Geschmack
desselben verleitet. Doch liegt der Hauptgrund an der vollständigen Verwilderung
unserer Schallspieler. Trotz mancher einzelnen anerkennenswerther Kräfte liegt die
Kunst völlig darnieder; ein Ensemble hervorzubringen, ist fast nirgend mehr mög¬
lich -- allenfalls die Wiener Burg und Dresden altsgenommen; und die Fein¬
heiten eines Stücks gehen nothwendig verloren, wo einerseits der Schauspieler
sich so gerirt, als ob er ganz allein auf der Bühne wäre, und wo andrerseits von den
einfachsten Elementen der Kunst -- dazu gehören das richtige Allssprechen, das an¬
ständige Stehen, das zweckmäßige Bewegen -- anch keine Spur zu finden ist. Goethe


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werden sollte, jene brutale Excommunication habe Smetana's.Andenken nicht
ausgetilgt in dem Herzen seiner Freunde, sondern der Freunde viele geworben.
Viele, welche den Zug in deu übrigen Straßen erwartet, um sich ihm anzu¬
schließen, harrten vergebens.

Es klang kein Glöcklein, es erscholl kein Leichengesang, sechs Freunde trugen den
Sarg aus dem Hause an den Leichenwagen, von welchem, auf hohe Anordnung,
sogar das Crucifix abgeschraubt wordeu war. Bei dem Anblick des Sarges entblö߬
ten die dicht gedrängt Versammelten das Haupt, und eine alte Frau aus dem Volke
rief begeistert aus: „Diesen hat Gott nicht mehr zu richten, haben ihn doch die
Vielen, die sich hier versammelt, schon gerichtet, und kein Fehl an ihm gefunden,
und des Volkes Stimme ist Gottes Stimme!" Diese Worte, czechisch gesprochen,
machten Eindruck auf die Umstehenden, welche den Leichenzug eröffneten, der sich
als ein dichter Volksstrom aus dem Thore bewegte, und die Stadt in weiten
Bogen umziehend, den Leichenhof mit gedrängten Massen erfüllte. Der Sarg
ward ohne Sang, ohne Grabrede in die Erde gesenkt, die Mutter des Todten
weinte still. Die versammelte Meuge umstand das Grab in lautloser Stille, ohne
Aufforderung, ohne gegebenes Zeichen das Haupt entblößend.

Mau sah Thränen der Rührung, ja und auch der Erbitterung über deu
tyrannischen Zwang, welchen die Behörde sich erlaubte, in den Augen gereifter
Männer. Nicht vergebens sind diese Thränen geweint. — Er aber ruhe in
Johannes. Frieden!




Das sogenannte Volksdrama.

Unter diesem Titel werden bei uus vou Zeit zu Zeit aus dem Französischen
Stücke eingeführt, die nicht aus das Volk, soudern auf den Pöbel berechnet sind.
Wenn man all die Menge vortrefflich ausgearbeiteter französischer Lustspiele denkt,
die unbenutzt liegeu bleiben, währeud Man keinen Augenblick ansteht, die wüstesten
Ausgeburten der celtischen Phantasie augenblicklich unserm Publicum aufzutischen,
so wird man dadurch eben nicht zu eiuer großen Ehrerbietung vor dem Geschmack
desselben verleitet. Doch liegt der Hauptgrund an der vollständigen Verwilderung
unserer Schallspieler. Trotz mancher einzelnen anerkennenswerther Kräfte liegt die
Kunst völlig darnieder; ein Ensemble hervorzubringen, ist fast nirgend mehr mög¬
lich — allenfalls die Wiener Burg und Dresden altsgenommen; und die Fein¬
heiten eines Stücks gehen nothwendig verloren, wo einerseits der Schauspieler
sich so gerirt, als ob er ganz allein auf der Bühne wäre, und wo andrerseits von den
einfachsten Elementen der Kunst — dazu gehören das richtige Allssprechen, das an¬
ständige Stehen, das zweckmäßige Bewegen — anch keine Spur zu finden ist. Goethe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/247>, abgerufen am 27.06.2024.