Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.der geltend macht, volksthümliche Balladen, der Geschichte und den Sagen ent¬ Wir knüpfen an diese Mittheilung eine allgemeinere Betrachtung. Die all¬ Maria S t u a r t. Unter allen Vorstellungen, in denen wir die Rachel auf dem deutschen 2*
der geltend macht, volksthümliche Balladen, der Geschichte und den Sagen ent¬ Wir knüpfen an diese Mittheilung eine allgemeinere Betrachtung. Die all¬ Maria S t u a r t. Unter allen Vorstellungen, in denen wir die Rachel auf dem deutschen 2*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91216"/> <p xml:id="ID_28" prev="#ID_27"> der geltend macht, volksthümliche Balladen, der Geschichte und den Sagen ent¬<lb/> nommen und in der gemäßigten Romantik der schottischen Schule wiedergegeben.<lb/> Sonderbarer Weise verrathen seine Dramen nichts von der siberspanntcn Phan¬<lb/> tasie, die seine Lyrik bewegt. Sie heißen: „Oolmnbs's Zu-lKcla^", „I^rria",<lb/> Kelarri ok tds Orusss" und Live, on ddo Soutedson", und sind Jntrignen-<lb/> stücke in der kalten Calderon'sehen Manier; die Situationen sind sehr geschickt<lb/> combimrt, aber mit Personen ohne Fleisch und Blut, nichts als Requisite fürs<lb/> Theater. — Gleichzeitig mit seinen eignen Gedichten hat Browning auch die sei¬<lb/> ner Gemahlin herausgegeben, welche schon früher dem Publicum als Miß Eli¬<lb/> sabeth Barrett bekannt war. Auch diese bewegen sich meistens in der über¬<lb/> irdischen Welt, und ihre beiden größten Gedichte, ,,Idcz Drama ok IZxilv" und<lb/> SsraMm", erinnern lebhast an Bailey. Doch zeigt sie namentlich in den<lb/> kleinern Sonetten ein Talent sür Rhythmus und Musik, welches zu besseren Hoff¬<lb/> nungen berechtigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_29"> Wir knüpfen an diese Mittheilung eine allgemeinere Betrachtung. Die all¬<lb/> gemeine Verbreitung, welche die anarchistischen Ideen der Poesie in ganz Europa<lb/> gefunden haben, bezeugt zweierlei: einmal, daß sie wenigstens verhältnißmäßig<lb/> berechtigt sein muß, denn ohne Grund tritt eine so weit ausgedehnte Erscheinung<lb/> nicht in die Welt; sodann die Nothwendigkeit, mit Ernst und Consequenz gegen<lb/> eine Krankheit anzukämpfen, die immer mehr Ausdehnung gewinnt. Uns scheint,<lb/> daß diese Pflicht vornehmlich uns Deutschen zukommt, denn von nus ist das<lb/> Uebel ausgegangen; wir haben diese gestaltlose Metaphysik und die zügellose<lb/> Phantasie in die Welt eingeführt. Uns kommt es zu, den Weg zur Ordnung<lb/> und zum Gesetz wieder zu finden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maria S t u a r t.</head><lb/> <p xml:id="ID_30" next="#ID_31"> Unter allen Vorstellungen, in denen wir die Rachel auf dem deutschen<lb/> Theater gesehen haben, hat die der Maria Stuart den geringsten Eindruck ge¬<lb/> macht. Bei den französischen Stücken ließen wir uns die Manier der berühmten<lb/> Künstlerin, so fremdartig sie uns vorkommen mußte, gefallen, bei einem Werke<lb/> unsers Schiller aber brachten wir die heimischen Vorstellungen und Ideen mit,<lb/> und wurden durch eine wesentliche Veränderung des gewohnten und uns lieb ge¬<lb/> wordenen Charakters unangenehm berührt. Unsere Schauspielerinnen haben uus<lb/> die Maria immer als das leidende Weib gezeigt, in der Verklärung des Marty¬<lb/> riums und mit jenem Anstrich von Sentimentalität, zu welchem wenigstens die<lb/> Sprache des Stücks mehrfache Veranlassung gibt; es mußte uns daher seltsam</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 2*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
der geltend macht, volksthümliche Balladen, der Geschichte und den Sagen ent¬
nommen und in der gemäßigten Romantik der schottischen Schule wiedergegeben.
Sonderbarer Weise verrathen seine Dramen nichts von der siberspanntcn Phan¬
tasie, die seine Lyrik bewegt. Sie heißen: „Oolmnbs's Zu-lKcla^", „I^rria",
Kelarri ok tds Orusss" und Live, on ddo Soutedson", und sind Jntrignen-
stücke in der kalten Calderon'sehen Manier; die Situationen sind sehr geschickt
combimrt, aber mit Personen ohne Fleisch und Blut, nichts als Requisite fürs
Theater. — Gleichzeitig mit seinen eignen Gedichten hat Browning auch die sei¬
ner Gemahlin herausgegeben, welche schon früher dem Publicum als Miß Eli¬
sabeth Barrett bekannt war. Auch diese bewegen sich meistens in der über¬
irdischen Welt, und ihre beiden größten Gedichte, ,,Idcz Drama ok IZxilv" und
SsraMm", erinnern lebhast an Bailey. Doch zeigt sie namentlich in den
kleinern Sonetten ein Talent sür Rhythmus und Musik, welches zu besseren Hoff¬
nungen berechtigt.
Wir knüpfen an diese Mittheilung eine allgemeinere Betrachtung. Die all¬
gemeine Verbreitung, welche die anarchistischen Ideen der Poesie in ganz Europa
gefunden haben, bezeugt zweierlei: einmal, daß sie wenigstens verhältnißmäßig
berechtigt sein muß, denn ohne Grund tritt eine so weit ausgedehnte Erscheinung
nicht in die Welt; sodann die Nothwendigkeit, mit Ernst und Consequenz gegen
eine Krankheit anzukämpfen, die immer mehr Ausdehnung gewinnt. Uns scheint,
daß diese Pflicht vornehmlich uns Deutschen zukommt, denn von nus ist das
Uebel ausgegangen; wir haben diese gestaltlose Metaphysik und die zügellose
Phantasie in die Welt eingeführt. Uns kommt es zu, den Weg zur Ordnung
und zum Gesetz wieder zu finden.
Maria S t u a r t.
Unter allen Vorstellungen, in denen wir die Rachel auf dem deutschen
Theater gesehen haben, hat die der Maria Stuart den geringsten Eindruck ge¬
macht. Bei den französischen Stücken ließen wir uns die Manier der berühmten
Künstlerin, so fremdartig sie uns vorkommen mußte, gefallen, bei einem Werke
unsers Schiller aber brachten wir die heimischen Vorstellungen und Ideen mit,
und wurden durch eine wesentliche Veränderung des gewohnten und uns lieb ge¬
wordenen Charakters unangenehm berührt. Unsere Schauspielerinnen haben uus
die Maria immer als das leidende Weib gezeigt, in der Verklärung des Marty¬
riums und mit jenem Anstrich von Sentimentalität, zu welchem wenigstens die
Sprache des Stücks mehrfache Veranlassung gibt; es mußte uns daher seltsam
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