Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.Humanität und den nivcllirenden Liberalismus des 18. Jahrhunderts, geht in Humanität und den nivcllirenden Liberalismus des 18. Jahrhunderts, geht in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91215"/> <p xml:id="ID_27" prev="#ID_26" next="#ID_28"> Humanität und den nivcllirenden Liberalismus des 18. Jahrhunderts, geht in<lb/> den Neuerungen seines Denkens und seiner Sprache noch weiter, als Shelley.<lb/> Es ist in seiner Prosa ein so wüstes Durcheinander von sinnlichen Bildern, ab-<lb/> stracter Metaphysik, gelehrten Reminiscenzen und dergleichen, daß man sich mit¬<lb/> unter versucht fühlt, zu Hippel, Haman, Jean Paul, Arnim, Bettina u. s. w.<lb/> zu flüchten, wie jener preußische Officier von den Spontinischen Opern zu dem<lb/> Zapfenstreich. Es ist das eine merkwürdige Erscheinung, daß es auch bei dem<lb/> besonnensten Volk der Erde einmal dahin kommen sollte, daß man die Begriffe<lb/> geistreich und genial" mit „unklar und verworren" identificirte. — Von den<lb/> übrigen Dichtern, die dieser Richtung angehören, ist Philipp Bailey der be¬<lb/> deutendste. Sein „Festus" geht über den Faust hinaus, und seine „Engelwelt"<lb/> läßt Shelley's Phantasien weit zurück, um von Byron's Mysterien nicht zu<lb/> reden. — Robert Browning gehört in der Sprache wie in der Denk- und Em-<lb/> pfindungsweise der nämlichen Richtung an. Die erste trotzt nicht nur fort¬<lb/> während den Regeln der Gewohnheit und des guten Tons, sondern nicht selten<lb/> auch der Grammatik; seine Bilder sind gewagt, an eine Einheit der Stimmung<lb/> ist nicht zu denken, sie springt ans dem Tragischen ins Lustige ungefähr in der<lb/> burlesken Art Heine's über, aber ohne die Grazie, welche diesen Dichter doch<lb/> nur selten verläßt. Zuweilen wird man geradezu an Karl Beck und Titus Ul¬<lb/> rich erinnert. Es ist für die Unparteilichkeit der englischen Kritik höchst aner¬<lb/> kennenswert!), daß sie trotz dieser Verirrungen das große Talent des Dichters<lb/> noch immer gelten läßt. — Browning begann seine poetische Lanfbcchn mit dem<lb/> „Sordello", 1840, einem Gedicht, in welchem der Gegensatz des Genius gegen<lb/> die prosaische Welt behandelt wurde; ein leidiges Thema, welches anch bei<lb/> uns über Gebühr variirt worden ist. — Ein ganz ähnlicher Gegenstand ist in dem<lb/> zweiten Gedicht „Paracelsus"; der alte Naturphilosoph und Charlatan wird durch<lb/> die Anerkennung seiner genialen Conceptionen in den Augen der gebildeten Welt<lb/> über Gebühr rehabilitirt, wenn anch wegen seiner titanischen Selbstüberschätzung ge¬<lb/> demüthigt. Er stirbt im Hospital zu Salzburg und bekennt zuletzt die Allmacht<lb/> Gottes und seine strafende Gerechtigkeit. In dem Ton dieses Gedichts ist ein<lb/> wesentlicher Unterschied von „Sordello". In diesem ist die Sprache übertrieben,<lb/> schwülstig, leidenschaftlich, bewegt und abgerissen; sie schmeckt nach dem Schwefel,<lb/> wie die Engländer sich ausdrücken; dagegen.herrscht im Paracelsus eine gewisse<lb/> Monotonie und ein zuweilen schläfriger Ernst. Die spätern Gedichte, „?ipM<lb/> ?assss" und ,,'t'd«z sont's IraK'ca^", leiden ebenso an einer unbestimmten und<lb/> zu skizzenhaften Zeichnung; „der Weihnachtsabend" ist in seiner Mischung des<lb/> Tragischen und Burlesken schon vollständig Manier geworden. Unter den andern<lb/> zahlreichen kleinern Gedichten finden sich nnter vielen, in denen die Seele von<lb/> Land zu Laud, von Himmel zu Himmel streift, um der Qual ihres Selbst¬<lb/> bewußtseins zu entgehen, doch manche, in denen der alte brittische Geist sich wie-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Humanität und den nivcllirenden Liberalismus des 18. Jahrhunderts, geht in
den Neuerungen seines Denkens und seiner Sprache noch weiter, als Shelley.
Es ist in seiner Prosa ein so wüstes Durcheinander von sinnlichen Bildern, ab-
stracter Metaphysik, gelehrten Reminiscenzen und dergleichen, daß man sich mit¬
unter versucht fühlt, zu Hippel, Haman, Jean Paul, Arnim, Bettina u. s. w.
zu flüchten, wie jener preußische Officier von den Spontinischen Opern zu dem
Zapfenstreich. Es ist das eine merkwürdige Erscheinung, daß es auch bei dem
besonnensten Volk der Erde einmal dahin kommen sollte, daß man die Begriffe
geistreich und genial" mit „unklar und verworren" identificirte. — Von den
übrigen Dichtern, die dieser Richtung angehören, ist Philipp Bailey der be¬
deutendste. Sein „Festus" geht über den Faust hinaus, und seine „Engelwelt"
läßt Shelley's Phantasien weit zurück, um von Byron's Mysterien nicht zu
reden. — Robert Browning gehört in der Sprache wie in der Denk- und Em-
pfindungsweise der nämlichen Richtung an. Die erste trotzt nicht nur fort¬
während den Regeln der Gewohnheit und des guten Tons, sondern nicht selten
auch der Grammatik; seine Bilder sind gewagt, an eine Einheit der Stimmung
ist nicht zu denken, sie springt ans dem Tragischen ins Lustige ungefähr in der
burlesken Art Heine's über, aber ohne die Grazie, welche diesen Dichter doch
nur selten verläßt. Zuweilen wird man geradezu an Karl Beck und Titus Ul¬
rich erinnert. Es ist für die Unparteilichkeit der englischen Kritik höchst aner¬
kennenswert!), daß sie trotz dieser Verirrungen das große Talent des Dichters
noch immer gelten läßt. — Browning begann seine poetische Lanfbcchn mit dem
„Sordello", 1840, einem Gedicht, in welchem der Gegensatz des Genius gegen
die prosaische Welt behandelt wurde; ein leidiges Thema, welches anch bei
uns über Gebühr variirt worden ist. — Ein ganz ähnlicher Gegenstand ist in dem
zweiten Gedicht „Paracelsus"; der alte Naturphilosoph und Charlatan wird durch
die Anerkennung seiner genialen Conceptionen in den Augen der gebildeten Welt
über Gebühr rehabilitirt, wenn anch wegen seiner titanischen Selbstüberschätzung ge¬
demüthigt. Er stirbt im Hospital zu Salzburg und bekennt zuletzt die Allmacht
Gottes und seine strafende Gerechtigkeit. In dem Ton dieses Gedichts ist ein
wesentlicher Unterschied von „Sordello". In diesem ist die Sprache übertrieben,
schwülstig, leidenschaftlich, bewegt und abgerissen; sie schmeckt nach dem Schwefel,
wie die Engländer sich ausdrücken; dagegen.herrscht im Paracelsus eine gewisse
Monotonie und ein zuweilen schläfriger Ernst. Die spätern Gedichte, „?ipM
?assss" und ,,'t'd«z sont's IraK'ca^", leiden ebenso an einer unbestimmten und
zu skizzenhaften Zeichnung; „der Weihnachtsabend" ist in seiner Mischung des
Tragischen und Burlesken schon vollständig Manier geworden. Unter den andern
zahlreichen kleinern Gedichten finden sich nnter vielen, in denen die Seele von
Land zu Laud, von Himmel zu Himmel streift, um der Qual ihres Selbst¬
bewußtseins zu entgehen, doch manche, in denen der alte brittische Geist sich wie-
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