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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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um sich Vortheile aller Art zu verschaffen, so hat es der verdienteste Veteran
des Berliner Hoftheaters vielleicht unbemerkt im Schooße seiner Familie gefeiert.


A. G.


Ferdinand Freiligrath. *)

Bei jeder neuen Sammlung von Gedichten, welche Freiligrath herausgiebt,
überkommt uns ein unangenehmes Gefühl, daß so viel poetisches Talent durch
eine verkehrte Richtung schmählich zu Grunde geht. Daß Freiligrath noch immer
das alte Talent besitzt, zeigt sich in den Uebersetzungen, die auch diesmal so ziem¬
lich die Hälfte der Sammlung ausmachen. Man findet in denselben keine Spur
von jenem steifen, gezwungenen Wesen, welches in der Regel lyrische Ueber-
tragungen charakterisirt. Sie klingen genau wie Originalgedichte, und dabei ist
nicht nnr der Sinn, sondern anch der Ton und die Stimmung der Gedichte ans
das Getreueste wiedergegeben. In den eigenen dagegen, wenn sie nicht rein
formeller Natur sind, und eigentlich ohne allen Inhalt und ohne Pointe, z. B.
das Gedicht "Nach England", empört uus nicht nur der Gegenstand, sondern
auch der Ton. Nicht ungestraft ergeht sich die Muse in sansculortischen Em¬
pfindungen, die Rohheit der Empfindung geht auch aus die Sprache über. Wäh¬
rend Freiligrath früher die Salbung und das Pathos seiner Sprache etwas über
die Gebühr steifte, hält er es jetzt für seine Pflicht, in dem cynischen Ton eines
verwilderten Trunkenboldes zu reden. ,,Schwerenoth, verdammt, vermaledeit" und
ähnliche Flüche quelle" nicht naturwüchsig aus seinen Anschauungen, sie bilden
die Würze, welche das Gericht für das demokratische Publicum genießbar machen
soll. Bis zu welcher Geschmacklosigkeit sich ein Dichter aus diesem Wege verirren
kaun, dafür ist das beste Zeugniß das Gedicht "Kalifornien", von dem wir hier
die erste Strophe anführen:

Und in diesem Tone geht es durch zehn Strophen fort, abwechselnd mit
Zeitnngsanspielungen und eben so unklaren als schmuzigen Bildern. -- Noch



*) Neuere sociale und politische Gedichte. Zweites Heft. Düsseldorf, Selbstverlag

um sich Vortheile aller Art zu verschaffen, so hat es der verdienteste Veteran
des Berliner Hoftheaters vielleicht unbemerkt im Schooße seiner Familie gefeiert.


A. G.


Ferdinand Freiligrath. *)

Bei jeder neuen Sammlung von Gedichten, welche Freiligrath herausgiebt,
überkommt uns ein unangenehmes Gefühl, daß so viel poetisches Talent durch
eine verkehrte Richtung schmählich zu Grunde geht. Daß Freiligrath noch immer
das alte Talent besitzt, zeigt sich in den Uebersetzungen, die auch diesmal so ziem¬
lich die Hälfte der Sammlung ausmachen. Man findet in denselben keine Spur
von jenem steifen, gezwungenen Wesen, welches in der Regel lyrische Ueber-
tragungen charakterisirt. Sie klingen genau wie Originalgedichte, und dabei ist
nicht nnr der Sinn, sondern anch der Ton und die Stimmung der Gedichte ans
das Getreueste wiedergegeben. In den eigenen dagegen, wenn sie nicht rein
formeller Natur sind, und eigentlich ohne allen Inhalt und ohne Pointe, z. B.
das Gedicht „Nach England", empört uus nicht nur der Gegenstand, sondern
auch der Ton. Nicht ungestraft ergeht sich die Muse in sansculortischen Em¬
pfindungen, die Rohheit der Empfindung geht auch aus die Sprache über. Wäh¬
rend Freiligrath früher die Salbung und das Pathos seiner Sprache etwas über
die Gebühr steifte, hält er es jetzt für seine Pflicht, in dem cynischen Ton eines
verwilderten Trunkenboldes zu reden. ,,Schwerenoth, verdammt, vermaledeit" und
ähnliche Flüche quelle» nicht naturwüchsig aus seinen Anschauungen, sie bilden
die Würze, welche das Gericht für das demokratische Publicum genießbar machen
soll. Bis zu welcher Geschmacklosigkeit sich ein Dichter aus diesem Wege verirren
kaun, dafür ist das beste Zeugniß das Gedicht „Kalifornien", von dem wir hier
die erste Strophe anführen:

Und in diesem Tone geht es durch zehn Strophen fort, abwechselnd mit
Zeitnngsanspielungen und eben so unklaren als schmuzigen Bildern. — Noch



*) Neuere sociale und politische Gedichte. Zweites Heft. Düsseldorf, Selbstverlag
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[0062] um sich Vortheile aller Art zu verschaffen, so hat es der verdienteste Veteran des Berliner Hoftheaters vielleicht unbemerkt im Schooße seiner Familie gefeiert. A. G. Ferdinand Freiligrath. *) Bei jeder neuen Sammlung von Gedichten, welche Freiligrath herausgiebt, überkommt uns ein unangenehmes Gefühl, daß so viel poetisches Talent durch eine verkehrte Richtung schmählich zu Grunde geht. Daß Freiligrath noch immer das alte Talent besitzt, zeigt sich in den Uebersetzungen, die auch diesmal so ziem¬ lich die Hälfte der Sammlung ausmachen. Man findet in denselben keine Spur von jenem steifen, gezwungenen Wesen, welches in der Regel lyrische Ueber- tragungen charakterisirt. Sie klingen genau wie Originalgedichte, und dabei ist nicht nnr der Sinn, sondern anch der Ton und die Stimmung der Gedichte ans das Getreueste wiedergegeben. In den eigenen dagegen, wenn sie nicht rein formeller Natur sind, und eigentlich ohne allen Inhalt und ohne Pointe, z. B. das Gedicht „Nach England", empört uus nicht nur der Gegenstand, sondern auch der Ton. Nicht ungestraft ergeht sich die Muse in sansculortischen Em¬ pfindungen, die Rohheit der Empfindung geht auch aus die Sprache über. Wäh¬ rend Freiligrath früher die Salbung und das Pathos seiner Sprache etwas über die Gebühr steifte, hält er es jetzt für seine Pflicht, in dem cynischen Ton eines verwilderten Trunkenboldes zu reden. ,,Schwerenoth, verdammt, vermaledeit" und ähnliche Flüche quelle» nicht naturwüchsig aus seinen Anschauungen, sie bilden die Würze, welche das Gericht für das demokratische Publicum genießbar machen soll. Bis zu welcher Geschmacklosigkeit sich ein Dichter aus diesem Wege verirren kaun, dafür ist das beste Zeugniß das Gedicht „Kalifornien", von dem wir hier die erste Strophe anführen: Und in diesem Tone geht es durch zehn Strophen fort, abwechselnd mit Zeitnngsanspielungen und eben so unklaren als schmuzigen Bildern. — Noch *) Neuere sociale und politische Gedichte. Zweites Heft. Düsseldorf, Selbstverlag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/62>, abgerufen am 27.06.2024.