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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Englische Novellisten.*)
Fenimore Cooper.

Cooper hat zwar noch bis zum letzten Jahre einen Roman ans den andern
folgen lassen, allein sein Publicum hat sich von ihm abgewendet; die neuern
Novellisten haben durch ihre pikanten Charakterbilder aus dem wirklichen Leben
seine sentimentalen Schilderungen der Urzustande verdrängt, und außerdem ist er
in seinem eigenen Genre überboten worden. Für seine Zeit aber behauptet er in
der populairen Weltliteratur eine Stellung, die sich in ihrer Art mit Walter
Scott messen kann. Ueberhaupt wechseln die Sympathien des Publicums für
dergleichen Erzeugnisse, wie die Moden des Tages. Als Cooper in Deutschland
verbreitet wurde, bemerkte ein in diesem Fach sehr bewanderter Commis, Walter
Scott sei ein Hund gegen Cooper, und dann war wieder Cooper ein Hund ge¬
gen Bulwer, und Bulwer ein Hund gegen Marryat, und endlich Marryat ein
Hund gegen Boz. Wenn wir Cooper's wirklich poetischen Gehalt mit dem seines
großen Vorgängers vergleichen, so erscheint er wie der Bettler Jrus dem König
Krösus gegenüber; dennoch hat er sowol dnrch seine Stoffe, als durch die eigen¬
thümliche Art seiner Behandlung sich in der Geschichte der Literatur eine gewisse
Bedeutung erworben.

Die Sehnsucht der an ihrem eigenen Wesen verzweifelnden Cultur nach natür¬
lichen Zuständen, um ans ihnen das Bild eines ganzen in sich zusammenhängen¬
den Lebens zu schöpfen, und die Last der unklaren Voraussetzungen, deuen sie nicht
mehr durch den Glauben angehörte, und denen sie sich doch durch die Kritik zu
entziehen zu schwach war, wie in einem angenehmen Traume von sich abzuschütteln,
geht durch das ganze vorige Jahrhundert. Es ist die sentimentale Reaction ge¬
gen die Abstraction der Aufklärung, die aber in manchen Beziehungen, wenig¬
stens in ihrer Polemik gegen das Zeitalter, mit dieser Hand in Hand ging. Die



*) Vergl. Walter Scott. ->8L>>. II. pag-> i-I. Bulwer xax. iz-i. Dickens I. p->s. <S1.
Grenzboten. Ul. 6
Englische Novellisten.*)
Fenimore Cooper.

Cooper hat zwar noch bis zum letzten Jahre einen Roman ans den andern
folgen lassen, allein sein Publicum hat sich von ihm abgewendet; die neuern
Novellisten haben durch ihre pikanten Charakterbilder aus dem wirklichen Leben
seine sentimentalen Schilderungen der Urzustande verdrängt, und außerdem ist er
in seinem eigenen Genre überboten worden. Für seine Zeit aber behauptet er in
der populairen Weltliteratur eine Stellung, die sich in ihrer Art mit Walter
Scott messen kann. Ueberhaupt wechseln die Sympathien des Publicums für
dergleichen Erzeugnisse, wie die Moden des Tages. Als Cooper in Deutschland
verbreitet wurde, bemerkte ein in diesem Fach sehr bewanderter Commis, Walter
Scott sei ein Hund gegen Cooper, und dann war wieder Cooper ein Hund ge¬
gen Bulwer, und Bulwer ein Hund gegen Marryat, und endlich Marryat ein
Hund gegen Boz. Wenn wir Cooper's wirklich poetischen Gehalt mit dem seines
großen Vorgängers vergleichen, so erscheint er wie der Bettler Jrus dem König
Krösus gegenüber; dennoch hat er sowol dnrch seine Stoffe, als durch die eigen¬
thümliche Art seiner Behandlung sich in der Geschichte der Literatur eine gewisse
Bedeutung erworben.

Die Sehnsucht der an ihrem eigenen Wesen verzweifelnden Cultur nach natür¬
lichen Zuständen, um ans ihnen das Bild eines ganzen in sich zusammenhängen¬
den Lebens zu schöpfen, und die Last der unklaren Voraussetzungen, deuen sie nicht
mehr durch den Glauben angehörte, und denen sie sich doch durch die Kritik zu
entziehen zu schwach war, wie in einem angenehmen Traume von sich abzuschütteln,
geht durch das ganze vorige Jahrhundert. Es ist die sentimentale Reaction ge¬
gen die Abstraction der Aufklärung, die aber in manchen Beziehungen, wenig¬
stens in ihrer Polemik gegen das Zeitalter, mit dieser Hand in Hand ging. Die



*) Vergl. Walter Scott. ->8L>>. II. pag-> i-I. Bulwer xax. iz-i. Dickens I. p->s. <S1.
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[0049] Englische Novellisten.*) Fenimore Cooper. Cooper hat zwar noch bis zum letzten Jahre einen Roman ans den andern folgen lassen, allein sein Publicum hat sich von ihm abgewendet; die neuern Novellisten haben durch ihre pikanten Charakterbilder aus dem wirklichen Leben seine sentimentalen Schilderungen der Urzustande verdrängt, und außerdem ist er in seinem eigenen Genre überboten worden. Für seine Zeit aber behauptet er in der populairen Weltliteratur eine Stellung, die sich in ihrer Art mit Walter Scott messen kann. Ueberhaupt wechseln die Sympathien des Publicums für dergleichen Erzeugnisse, wie die Moden des Tages. Als Cooper in Deutschland verbreitet wurde, bemerkte ein in diesem Fach sehr bewanderter Commis, Walter Scott sei ein Hund gegen Cooper, und dann war wieder Cooper ein Hund ge¬ gen Bulwer, und Bulwer ein Hund gegen Marryat, und endlich Marryat ein Hund gegen Boz. Wenn wir Cooper's wirklich poetischen Gehalt mit dem seines großen Vorgängers vergleichen, so erscheint er wie der Bettler Jrus dem König Krösus gegenüber; dennoch hat er sowol dnrch seine Stoffe, als durch die eigen¬ thümliche Art seiner Behandlung sich in der Geschichte der Literatur eine gewisse Bedeutung erworben. Die Sehnsucht der an ihrem eigenen Wesen verzweifelnden Cultur nach natür¬ lichen Zuständen, um ans ihnen das Bild eines ganzen in sich zusammenhängen¬ den Lebens zu schöpfen, und die Last der unklaren Voraussetzungen, deuen sie nicht mehr durch den Glauben angehörte, und denen sie sich doch durch die Kritik zu entziehen zu schwach war, wie in einem angenehmen Traume von sich abzuschütteln, geht durch das ganze vorige Jahrhundert. Es ist die sentimentale Reaction ge¬ gen die Abstraction der Aufklärung, die aber in manchen Beziehungen, wenig¬ stens in ihrer Polemik gegen das Zeitalter, mit dieser Hand in Hand ging. Die *) Vergl. Walter Scott. ->8L>>. II. pag-> i-I. Bulwer xax. iz-i. Dickens I. p->s. <S1. Grenzboten. Ul. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/49>, abgerufen am 27.06.2024.