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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Dorfleben in Mecklenburg.
s.

Der Nachtwächter hat sein letztes "Getute" in der schon grauenden Morgen¬
dämmerung ertönen lassen, und geht nun rascher als gewöhnlich seiner niedern Woh¬
nung zu, noch spärliche Stunden des Schlafes zu finden, bevor die harte Arbeit des
Tages ihn wieder aufruft. Auf deu Höhen werden die Hähne rege, und begrüßen sich
gegenseitig dnrch lautes Gckrähe, das gleich einem Signalruf durch das ganze
Dorf läuft. Oben am Kops des Kirchthurms kehrt die Eule von ihren nächtlichen
Streifzügen heim in das warme Nest, dort den Tag in abgeschlossener Ruhe zu
verträumen. Der Oarrcborcr (Storch) auf des "Schulter" Dach erhebt sich
aus dem hohen Dornenneste, und reckt bedächtig die langen Flügel, schaut sich mit
weitvvrgebogmem Halse die Gegend an, und verkündet durch weitschallendes Ge¬
klapper den übrigen Genossen, daß er munter sei. In den von starkem Nachtthau
wcißgcsprenkeltcn, glitzernden und blitzenden Hecken, Büschen und Bäumen der
Bauerngarten werden allmählich die kleinen Singvögel lebendig. Im Innern
der Kälber, die dnrch kleine Gärten getrennt in langer unregelmäßiger Reihe sich
erstrecken, werden Zeichen des Erwachens sichtbar. Hier und da knarrt eine
Thür, und aus dem Dunkel des Hauses tritt in Holzpantoffeln, großen bis an
die Knie reichenden wollenen Strümpfen und engen kurzen Leinwandhosen, die
Kniebänder aus Bequemlichkeit noch lose herabhängend, das nicht mehr recht weiße
Hemd oben am Halse noch offen, so daß die haarige Brust dadurch steht, ein
Tagelöhner heraus, reibt sich noch halb schlaftrunken mit der braunen, schwieligen
Hand die Augen und schaut bedächtig umher, das Wetter zu erkunden. Am
Feuer des Heerdes, welches durch die offene Thür durchscheint, bereitet die
Fran im tiefsten Neglige aus wenigen Kaffeebohnen, Cichorien und Syrup den
^'iber, fälschlich Kaffee genannten Morgentrank, der mit einem derben Stück
Schwarzbrod das erste Frühstück bildet.

Auch auf des "Schulter" großem Hofe, der, von weitläufigen Gärten und
Grasstoppeln umgeben, am Ende des Dorfes liegt, wird es lebendig. Ein i--3 Fuß


^renz^'de", M. ne.'i,, Ki
Dorfleben in Mecklenburg.
s.

Der Nachtwächter hat sein letztes „Getute" in der schon grauenden Morgen¬
dämmerung ertönen lassen, und geht nun rascher als gewöhnlich seiner niedern Woh¬
nung zu, noch spärliche Stunden des Schlafes zu finden, bevor die harte Arbeit des
Tages ihn wieder aufruft. Auf deu Höhen werden die Hähne rege, und begrüßen sich
gegenseitig dnrch lautes Gckrähe, das gleich einem Signalruf durch das ganze
Dorf läuft. Oben am Kops des Kirchthurms kehrt die Eule von ihren nächtlichen
Streifzügen heim in das warme Nest, dort den Tag in abgeschlossener Ruhe zu
verträumen. Der Oarrcborcr (Storch) auf des „Schulter" Dach erhebt sich
aus dem hohen Dornenneste, und reckt bedächtig die langen Flügel, schaut sich mit
weitvvrgebogmem Halse die Gegend an, und verkündet durch weitschallendes Ge¬
klapper den übrigen Genossen, daß er munter sei. In den von starkem Nachtthau
wcißgcsprenkeltcn, glitzernden und blitzenden Hecken, Büschen und Bäumen der
Bauerngarten werden allmählich die kleinen Singvögel lebendig. Im Innern
der Kälber, die dnrch kleine Gärten getrennt in langer unregelmäßiger Reihe sich
erstrecken, werden Zeichen des Erwachens sichtbar. Hier und da knarrt eine
Thür, und aus dem Dunkel des Hauses tritt in Holzpantoffeln, großen bis an
die Knie reichenden wollenen Strümpfen und engen kurzen Leinwandhosen, die
Kniebänder aus Bequemlichkeit noch lose herabhängend, das nicht mehr recht weiße
Hemd oben am Halse noch offen, so daß die haarige Brust dadurch steht, ein
Tagelöhner heraus, reibt sich noch halb schlaftrunken mit der braunen, schwieligen
Hand die Augen und schaut bedächtig umher, das Wetter zu erkunden. Am
Feuer des Heerdes, welches durch die offene Thür durchscheint, bereitet die
Fran im tiefsten Neglige aus wenigen Kaffeebohnen, Cichorien und Syrup den
^'iber, fälschlich Kaffee genannten Morgentrank, der mit einem derben Stück
Schwarzbrod das erste Frühstück bildet.

Auch auf des „Schulter" großem Hofe, der, von weitläufigen Gärten und
Grasstoppeln umgeben, am Ende des Dorfes liegt, wird es lebendig. Ein i—3 Fuß


^renz^'de», M. ne.'i,, Ki
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[0409] Dorfleben in Mecklenburg. s. Der Nachtwächter hat sein letztes „Getute" in der schon grauenden Morgen¬ dämmerung ertönen lassen, und geht nun rascher als gewöhnlich seiner niedern Woh¬ nung zu, noch spärliche Stunden des Schlafes zu finden, bevor die harte Arbeit des Tages ihn wieder aufruft. Auf deu Höhen werden die Hähne rege, und begrüßen sich gegenseitig dnrch lautes Gckrähe, das gleich einem Signalruf durch das ganze Dorf läuft. Oben am Kops des Kirchthurms kehrt die Eule von ihren nächtlichen Streifzügen heim in das warme Nest, dort den Tag in abgeschlossener Ruhe zu verträumen. Der Oarrcborcr (Storch) auf des „Schulter" Dach erhebt sich aus dem hohen Dornenneste, und reckt bedächtig die langen Flügel, schaut sich mit weitvvrgebogmem Halse die Gegend an, und verkündet durch weitschallendes Ge¬ klapper den übrigen Genossen, daß er munter sei. In den von starkem Nachtthau wcißgcsprenkeltcn, glitzernden und blitzenden Hecken, Büschen und Bäumen der Bauerngarten werden allmählich die kleinen Singvögel lebendig. Im Innern der Kälber, die dnrch kleine Gärten getrennt in langer unregelmäßiger Reihe sich erstrecken, werden Zeichen des Erwachens sichtbar. Hier und da knarrt eine Thür, und aus dem Dunkel des Hauses tritt in Holzpantoffeln, großen bis an die Knie reichenden wollenen Strümpfen und engen kurzen Leinwandhosen, die Kniebänder aus Bequemlichkeit noch lose herabhängend, das nicht mehr recht weiße Hemd oben am Halse noch offen, so daß die haarige Brust dadurch steht, ein Tagelöhner heraus, reibt sich noch halb schlaftrunken mit der braunen, schwieligen Hand die Augen und schaut bedächtig umher, das Wetter zu erkunden. Am Feuer des Heerdes, welches durch die offene Thür durchscheint, bereitet die Fran im tiefsten Neglige aus wenigen Kaffeebohnen, Cichorien und Syrup den ^'iber, fälschlich Kaffee genannten Morgentrank, der mit einem derben Stück Schwarzbrod das erste Frühstück bildet. Auch auf des „Schulter" großem Hofe, der, von weitläufigen Gärten und Grasstoppeln umgeben, am Ende des Dorfes liegt, wird es lebendig. Ein i—3 Fuß ^renz^'de», M. ne.'i,, Ki

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/409>, abgerufen am 27.06.2024.