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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Schauspieler-Silhouetten.
3. Ludwig Dessoir.

Noch nicht volle zwei Jahre ist Ludwig Dessoir Mitglied des Berliner Hof-
theaters. Als er seine ersten Gastrollen spielte, gewann er sich durch den intelli¬
genten Ernst seines Strebens und durch das warme, wenn auch etwas düstere
Kolorit seiner Darstellungen deu Beifall des Publicums. Vou einem Theil der
Berliner Kritik mit übertriebenen Lobe überschüttet, hat er jetzt das Schicksal,
von anderer Seite gleich rücksichtslos verworfen zu werden. Die Wahrheit liegt
in der Mitte. Dessoir ist ein schätzenswerther Schauspieler, dessen Darstelluugs-
fähigkeit jedoch durch Natur und Gewohnheit sich in einem beschränkten Kreise
von Rollen erschöpft. Ungetheilte Anerkennung erwarb er sich zuerst und mit Recht
als Othello.

So wenig seine kleine Gestalt, sein schweres und dumpfes Organ an sich
geeignet sind, Auge und Ohr des Zuschauers im Voraus günstig zu stimmen, so
viel trugen gerade diese Eigenschaften zu seinem überraschenden Erfolge als Othello
bei. Er gab den Helden, auch ohne das äußere Mittel einer sogenannten Hel¬
dengestalt, in unverkennbarer Große. Der gewichtig schwere Tritt des Kriegers
und die damit scheinbar contrastirende gazellenhafte Raschheit der Bewegung, das
rastlos umherschanende gluthvolle Auge, der rauhe Ton und Accent der Sprache
verliehen dem Bilde eine scharfe Contonriruug, und ein Zug leiser Schwermut!)
schien daran mahnen zu wollen, daß frühere harte Erfahrungen des vereinsamten
Mohren sich in einem edlen Gemüth melancholisch reflectirten. Einer solchen
Stimmung der Seele mußte die Theilnahme der schonen Desdemona wie eine
Sonne am dunklen Nachthimmel plötzlich emporflammen, eine so gestimmte Seele
mußte mit aller Gluth eines lange entbehrenden Herzens diese Neigung wie
Lebensbalsam in sich aufnehmen, in einer so gestimmten Seele lagen bei aller
vertrauenden Offenheit des Charakters die leicht erregbaren Zweifel an der Mög¬
lichkeit, daß die Venetianische Patriciertochter den vou der Natur gezeichneten Afri¬
kaner lieben könne, schon vorbereitet, ehe der Verläumder sie dem bewußtlosen
Schlummer entriß. Mit der erwachenden Eifersucht beginnt die wilde Natur der
heimischen Zone sich zu regen. Was erst nur aus einzelnen Bewegungen, aus
der Gluth des Auges sprühte, durchwühlt nach und nach die ganze Seele, färbt
jeden Ton, wird zur grimmig verhaltenen, endlich wüthend losbrechenden Leiden¬
schaft. Die Wahrheit, mit der diese Entwickelung und zuletzt dieser Ausbruch
aus den innersten Tiefen des Gemüthes sich löst und entfesselt, ist das Ergreifende
an Dessoir's Darstellung. Er beherrscht nicht nur mit deklamatorischem Pathos


Schauspieler-Silhouetten.
3. Ludwig Dessoir.

Noch nicht volle zwei Jahre ist Ludwig Dessoir Mitglied des Berliner Hof-
theaters. Als er seine ersten Gastrollen spielte, gewann er sich durch den intelli¬
genten Ernst seines Strebens und durch das warme, wenn auch etwas düstere
Kolorit seiner Darstellungen deu Beifall des Publicums. Vou einem Theil der
Berliner Kritik mit übertriebenen Lobe überschüttet, hat er jetzt das Schicksal,
von anderer Seite gleich rücksichtslos verworfen zu werden. Die Wahrheit liegt
in der Mitte. Dessoir ist ein schätzenswerther Schauspieler, dessen Darstelluugs-
fähigkeit jedoch durch Natur und Gewohnheit sich in einem beschränkten Kreise
von Rollen erschöpft. Ungetheilte Anerkennung erwarb er sich zuerst und mit Recht
als Othello.

So wenig seine kleine Gestalt, sein schweres und dumpfes Organ an sich
geeignet sind, Auge und Ohr des Zuschauers im Voraus günstig zu stimmen, so
viel trugen gerade diese Eigenschaften zu seinem überraschenden Erfolge als Othello
bei. Er gab den Helden, auch ohne das äußere Mittel einer sogenannten Hel¬
dengestalt, in unverkennbarer Große. Der gewichtig schwere Tritt des Kriegers
und die damit scheinbar contrastirende gazellenhafte Raschheit der Bewegung, das
rastlos umherschanende gluthvolle Auge, der rauhe Ton und Accent der Sprache
verliehen dem Bilde eine scharfe Contonriruug, und ein Zug leiser Schwermut!)
schien daran mahnen zu wollen, daß frühere harte Erfahrungen des vereinsamten
Mohren sich in einem edlen Gemüth melancholisch reflectirten. Einer solchen
Stimmung der Seele mußte die Theilnahme der schonen Desdemona wie eine
Sonne am dunklen Nachthimmel plötzlich emporflammen, eine so gestimmte Seele
mußte mit aller Gluth eines lange entbehrenden Herzens diese Neigung wie
Lebensbalsam in sich aufnehmen, in einer so gestimmten Seele lagen bei aller
vertrauenden Offenheit des Charakters die leicht erregbaren Zweifel an der Mög¬
lichkeit, daß die Venetianische Patriciertochter den vou der Natur gezeichneten Afri¬
kaner lieben könne, schon vorbereitet, ehe der Verläumder sie dem bewußtlosen
Schlummer entriß. Mit der erwachenden Eifersucht beginnt die wilde Natur der
heimischen Zone sich zu regen. Was erst nur aus einzelnen Bewegungen, aus
der Gluth des Auges sprühte, durchwühlt nach und nach die ganze Seele, färbt
jeden Ton, wird zur grimmig verhaltenen, endlich wüthend losbrechenden Leiden¬
schaft. Die Wahrheit, mit der diese Entwickelung und zuletzt dieser Ausbruch
aus den innersten Tiefen des Gemüthes sich löst und entfesselt, ist das Ergreifende
an Dessoir's Darstellung. Er beherrscht nicht nur mit deklamatorischem Pathos


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[0038] Schauspieler-Silhouetten. 3. Ludwig Dessoir. Noch nicht volle zwei Jahre ist Ludwig Dessoir Mitglied des Berliner Hof- theaters. Als er seine ersten Gastrollen spielte, gewann er sich durch den intelli¬ genten Ernst seines Strebens und durch das warme, wenn auch etwas düstere Kolorit seiner Darstellungen deu Beifall des Publicums. Vou einem Theil der Berliner Kritik mit übertriebenen Lobe überschüttet, hat er jetzt das Schicksal, von anderer Seite gleich rücksichtslos verworfen zu werden. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Dessoir ist ein schätzenswerther Schauspieler, dessen Darstelluugs- fähigkeit jedoch durch Natur und Gewohnheit sich in einem beschränkten Kreise von Rollen erschöpft. Ungetheilte Anerkennung erwarb er sich zuerst und mit Recht als Othello. So wenig seine kleine Gestalt, sein schweres und dumpfes Organ an sich geeignet sind, Auge und Ohr des Zuschauers im Voraus günstig zu stimmen, so viel trugen gerade diese Eigenschaften zu seinem überraschenden Erfolge als Othello bei. Er gab den Helden, auch ohne das äußere Mittel einer sogenannten Hel¬ dengestalt, in unverkennbarer Große. Der gewichtig schwere Tritt des Kriegers und die damit scheinbar contrastirende gazellenhafte Raschheit der Bewegung, das rastlos umherschanende gluthvolle Auge, der rauhe Ton und Accent der Sprache verliehen dem Bilde eine scharfe Contonriruug, und ein Zug leiser Schwermut!) schien daran mahnen zu wollen, daß frühere harte Erfahrungen des vereinsamten Mohren sich in einem edlen Gemüth melancholisch reflectirten. Einer solchen Stimmung der Seele mußte die Theilnahme der schonen Desdemona wie eine Sonne am dunklen Nachthimmel plötzlich emporflammen, eine so gestimmte Seele mußte mit aller Gluth eines lange entbehrenden Herzens diese Neigung wie Lebensbalsam in sich aufnehmen, in einer so gestimmten Seele lagen bei aller vertrauenden Offenheit des Charakters die leicht erregbaren Zweifel an der Mög¬ lichkeit, daß die Venetianische Patriciertochter den vou der Natur gezeichneten Afri¬ kaner lieben könne, schon vorbereitet, ehe der Verläumder sie dem bewußtlosen Schlummer entriß. Mit der erwachenden Eifersucht beginnt die wilde Natur der heimischen Zone sich zu regen. Was erst nur aus einzelnen Bewegungen, aus der Gluth des Auges sprühte, durchwühlt nach und nach die ganze Seele, färbt jeden Ton, wird zur grimmig verhaltenen, endlich wüthend losbrechenden Leiden¬ schaft. Die Wahrheit, mit der diese Entwickelung und zuletzt dieser Ausbruch aus den innersten Tiefen des Gemüthes sich löst und entfesselt, ist das Ergreifende an Dessoir's Darstellung. Er beherrscht nicht nur mit deklamatorischem Pathos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/38>, abgerufen am 27.06.2024.