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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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kann in diesem geistigen Raffinement eben so viel Manier und Carricatur ein¬
treten, als in dem materialistischen. Auch in der Poesie findet man beide
Extreme häufig; vereinigt. Ich erinnere nur an Fwdvric Sonin;, der mit dem¬
selben Behagen, wie Victor Hugo und seine Schule, die materiellen Zuckungen
des Fleisches darstellt, und auf der andern Seite ein psychologisches Raffinement
anwendet, das sich in einzelnen Blicken und einzelnen Lauten aussprechen soll,
die vollständig zu erklären, ein paar Bände analytischer Zergliederung kaum aus¬
reiche". Die höchste Sentimentalität und der höchste Materialismus grenzen hart
an einander.

Es möge für jetzt mit diesen flüchtigen Andeutungen genng sein; wir
kommen bei der Besprechung verwandter Gegenstände noch einmal daraus zurück.




Das Bigneronsfest zu Vevay.

Die ungeheuren Anschlagezettel, die Einladungen in öffentlichen Blättern,
die im Voraus gefertigten Bilder deö Festzngs nebst allem Zubehör, der mit jedem
Tage wachsende Zudrang der Fremden und all' die sonstigen außerordentlichen
Zurüstungen mußten auch bei Demjenigen, der sonst nicht so ungeheuer schau¬
lustig und neugierig ist, den festen Entschluß hervorbringen, aus wenigstens einen
Tag sich an einen Ort zu begeben, der, selbst wenn die vielgerühmte Festfeier
weniger befriedigend sein sollte, doch schon durch die enorme Menge seiner Be¬
sucher ein lebhaftes Interesse darbieten mußte. Also den Donnerstag in Vevay!
- -- so hörte man überall rufen, wobei Mancher schon mit Resignation hinzufügte:
Nachtquartier unterm freien Himmel! denn für den gewöhnlichen Besucher, der
nicht gerade nahe Freunde im Orte selbst hatte, war natürlich bei deu ungeheuren
Preisen an Logis und Bett für die Tage des Festes selbst nicht zu denken; mu߬
ten doch selbst die reichsten Reisenden, die es verabsäumt hatten, vorher sich
einzumiethen, trotz ihres Geldes und der höchsten Gebote, in ihrem Wagen über¬
nachten, nachdem ihnen andere, vorsichtiger als sie selbst, die letzten Betten und
Zimmer in der Stadt zu dem sehr mäßigen Preise von -- 600 bis 800 Franken
weggenommen hatten. Endlich rückte der Vorabend des ersten Festtags heran, und
wir, mehrere Freunde zusammen, die es vorzogen, den Weg von Lausanne bis Vevay
Zu Fuß zurückzulegen, verließen unser Lausanne, wo man schon einen Vorgeschmack
des in Vevay herrschenden Tumults haben konnte, Schlag 11 Uhr, um bei
Zeiten in Vevay selbst einzutreffen, und die gehörigen Maßregeln für den großen
Tag zu nehmen. So langweilig sonst der Weg von Lausanne nach Vevay er¬
scheint, so erschienen uns doch die 6 Stunden Wegs diese Nacht, die heiter und
wild, wie sie nur selten sind, eine ununterbrochene Camwane Schanlnstiger mit


kann in diesem geistigen Raffinement eben so viel Manier und Carricatur ein¬
treten, als in dem materialistischen. Auch in der Poesie findet man beide
Extreme häufig; vereinigt. Ich erinnere nur an Fwdvric Sonin;, der mit dem¬
selben Behagen, wie Victor Hugo und seine Schule, die materiellen Zuckungen
des Fleisches darstellt, und auf der andern Seite ein psychologisches Raffinement
anwendet, das sich in einzelnen Blicken und einzelnen Lauten aussprechen soll,
die vollständig zu erklären, ein paar Bände analytischer Zergliederung kaum aus¬
reiche». Die höchste Sentimentalität und der höchste Materialismus grenzen hart
an einander.

Es möge für jetzt mit diesen flüchtigen Andeutungen genng sein; wir
kommen bei der Besprechung verwandter Gegenstände noch einmal daraus zurück.




Das Bigneronsfest zu Vevay.

Die ungeheuren Anschlagezettel, die Einladungen in öffentlichen Blättern,
die im Voraus gefertigten Bilder deö Festzngs nebst allem Zubehör, der mit jedem
Tage wachsende Zudrang der Fremden und all' die sonstigen außerordentlichen
Zurüstungen mußten auch bei Demjenigen, der sonst nicht so ungeheuer schau¬
lustig und neugierig ist, den festen Entschluß hervorbringen, aus wenigstens einen
Tag sich an einen Ort zu begeben, der, selbst wenn die vielgerühmte Festfeier
weniger befriedigend sein sollte, doch schon durch die enorme Menge seiner Be¬
sucher ein lebhaftes Interesse darbieten mußte. Also den Donnerstag in Vevay!
- — so hörte man überall rufen, wobei Mancher schon mit Resignation hinzufügte:
Nachtquartier unterm freien Himmel! denn für den gewöhnlichen Besucher, der
nicht gerade nahe Freunde im Orte selbst hatte, war natürlich bei deu ungeheuren
Preisen an Logis und Bett für die Tage des Festes selbst nicht zu denken; mu߬
ten doch selbst die reichsten Reisenden, die es verabsäumt hatten, vorher sich
einzumiethen, trotz ihres Geldes und der höchsten Gebote, in ihrem Wagen über¬
nachten, nachdem ihnen andere, vorsichtiger als sie selbst, die letzten Betten und
Zimmer in der Stadt zu dem sehr mäßigen Preise von — 600 bis 800 Franken
weggenommen hatten. Endlich rückte der Vorabend des ersten Festtags heran, und
wir, mehrere Freunde zusammen, die es vorzogen, den Weg von Lausanne bis Vevay
Zu Fuß zurückzulegen, verließen unser Lausanne, wo man schon einen Vorgeschmack
des in Vevay herrschenden Tumults haben konnte, Schlag 11 Uhr, um bei
Zeiten in Vevay selbst einzutreffen, und die gehörigen Maßregeln für den großen
Tag zu nehmen. So langweilig sonst der Weg von Lausanne nach Vevay er¬
scheint, so erschienen uns doch die 6 Stunden Wegs diese Nacht, die heiter und
wild, wie sie nur selten sind, eine ununterbrochene Camwane Schanlnstiger mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/303>, abgerufen am 27.06.2024.