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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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ternahmen wir einen Ritt nach Camaldoli, dem berühmten Carthäuserkloster, das
auch Förster in seinem ausgezeichneten Handbuch über Italien als den gepriesenen
schönsten Punkt der bewohnten Erde bezeichnet. Hier, auf einer Plattform des
Klostergartens, sammeln sich vor unsern wunderbcranschten Blicken alle Reize und
alle Zauber einer schwelgerisch-üppigen Natur. Die edelsten, großartigsten Ma¬
terial": der Schöpfung finden sich hier zusammengetragen und concentrirt auf einen
geweihten Punkt; das unendliche Meer -- der furchtbare Krater -- die in traum-
hafter Ferne schwimmenden Inselgruppen -- der himmelspiegelnde Golf von
Neapel und Baja -- die in tausenderlei Formen sich erhebenden buschig-waldi¬
ge" Berge, welche allmählich in eine unabsehbare grüne Fläche sich verlieren!

Wir standen eine Zeit lang im heiligen Schauer, mit entblößtem Haupte vor
dieser andachterregeuden Weltschausstellung, und, zu unsern Füßen das bleiche
Neapel, mit seinen Qualen und Kerkern seufzend, fühlten wir in seiner ganzen
Schwere den modernen Sinn des alten Spruches: "Veäer ^üpoli " poi morirs!"




Französische Romantiker.
Charles de Bernard.

Bernard ist im Ganzen in Deutschland wenig bekannt, und es ist daher nicht
unangemessen, auf ihn aufmerksam zu macheu. Er gehört unzweifelhaft zu den
besten Französischen Novellisten und hat die Vorzüge derselben, eine rasche, poin-
tirte, leicht übersichtliche Erzählung, ohne das Ueberschwängliche, welches uns bei den
meisten der Französischen Romantiker stört. Wir finden uns in seinen Erzählungen
in der Sprache des alten Frankreich, in jeuer leichten, klaren, graziösen Darstel-
lungsweise, die über der Feinheit keineswegs die Ursprünglichkeit aufgiebt, einer
Darstellungsweise, wie sie Moliöre und Lafontaine geschaffen, wie sie anch in
Voltaire's besseren Schriften sich wiederfindet, die aber in neuerer Zeit durch das
Vorwiegen der Reflexion und der äußern materialistischen Beobachtung, durch die
beiden Extreme der Rousseau'schen und der Victor Hugo'schen Schule fast voll¬
ständig verdrängt ist. Nur in zwei Punkten unterscheidet sich Bernard wie die
gesammte moderne Literatur von der guten alten Zeit.

Einmal nämlich beschäftigt er sich fast ausschließlich mit der seinen Welt der
Hauptstädte, mit der sogenannten Gesellschaft, die in ihren sittlichen Grundbegriffen
corrumpirt ist, und bei deren Darstellung die Natur nnr in der Form der Ironie
auftreten kann. Sodann gehört er jener skeptischen Richtung an, welche die ein¬
fachsten Grundbegriffe in Frage stellt, und die bei einem ernsten Gemüth eine
seltsame Mischung von anscheinender Frivolität und von geheimer Bitterkeit her-


ternahmen wir einen Ritt nach Camaldoli, dem berühmten Carthäuserkloster, das
auch Förster in seinem ausgezeichneten Handbuch über Italien als den gepriesenen
schönsten Punkt der bewohnten Erde bezeichnet. Hier, auf einer Plattform des
Klostergartens, sammeln sich vor unsern wunderbcranschten Blicken alle Reize und
alle Zauber einer schwelgerisch-üppigen Natur. Die edelsten, großartigsten Ma¬
terial«: der Schöpfung finden sich hier zusammengetragen und concentrirt auf einen
geweihten Punkt; das unendliche Meer — der furchtbare Krater — die in traum-
hafter Ferne schwimmenden Inselgruppen — der himmelspiegelnde Golf von
Neapel und Baja — die in tausenderlei Formen sich erhebenden buschig-waldi¬
ge» Berge, welche allmählich in eine unabsehbare grüne Fläche sich verlieren!

Wir standen eine Zeit lang im heiligen Schauer, mit entblößtem Haupte vor
dieser andachterregeuden Weltschausstellung, und, zu unsern Füßen das bleiche
Neapel, mit seinen Qualen und Kerkern seufzend, fühlten wir in seiner ganzen
Schwere den modernen Sinn des alten Spruches: „Veäer ^üpoli « poi morirs!"




Französische Romantiker.
Charles de Bernard.

Bernard ist im Ganzen in Deutschland wenig bekannt, und es ist daher nicht
unangemessen, auf ihn aufmerksam zu macheu. Er gehört unzweifelhaft zu den
besten Französischen Novellisten und hat die Vorzüge derselben, eine rasche, poin-
tirte, leicht übersichtliche Erzählung, ohne das Ueberschwängliche, welches uns bei den
meisten der Französischen Romantiker stört. Wir finden uns in seinen Erzählungen
in der Sprache des alten Frankreich, in jeuer leichten, klaren, graziösen Darstel-
lungsweise, die über der Feinheit keineswegs die Ursprünglichkeit aufgiebt, einer
Darstellungsweise, wie sie Moliöre und Lafontaine geschaffen, wie sie anch in
Voltaire's besseren Schriften sich wiederfindet, die aber in neuerer Zeit durch das
Vorwiegen der Reflexion und der äußern materialistischen Beobachtung, durch die
beiden Extreme der Rousseau'schen und der Victor Hugo'schen Schule fast voll¬
ständig verdrängt ist. Nur in zwei Punkten unterscheidet sich Bernard wie die
gesammte moderne Literatur von der guten alten Zeit.

Einmal nämlich beschäftigt er sich fast ausschließlich mit der seinen Welt der
Hauptstädte, mit der sogenannten Gesellschaft, die in ihren sittlichen Grundbegriffen
corrumpirt ist, und bei deren Darstellung die Natur nnr in der Form der Ironie
auftreten kann. Sodann gehört er jener skeptischen Richtung an, welche die ein¬
fachsten Grundbegriffe in Frage stellt, und die bei einem ernsten Gemüth eine
seltsame Mischung von anscheinender Frivolität und von geheimer Bitterkeit her-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/224>, abgerufen am 27.06.2024.