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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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wir aber würden nus einander so lange anfeinden, bis der weiße Czar den
wohlmeinenden Friedensstab über uns schwingen würde. Für poetische Gemüther
mag die Russische Kunde reizender sein, als die kleinen Tracasserieu, denen wir
jetzt ausgesetzt sind, wenn wir uns überhaupt um Politik bekümmern, weil sie
wenigstens rothe Striemen macht und sich zu romantischen Bildern verwerthen
läßt; es mag für sie bequemer sein, einen langwierigen Proceß, wo das klare
Recht dnrch den Einfluß eines überlegenen Gegners verschleppt wird, durch einen
av clL"k"x>ni'a>.wii zu erledigen, statt mit unermüdlicher langweiliger Arbeit
Schritt fiir Schritt weiter zu dringen: eine prosaische Natur urtheilt anders, und
die wirkliche Freiheit ist noch nie durch Poesie, sondern immer durch Prosa errun¬
-Z--Z- gen worden.




Schulwesen in Polen.
n.

Wenn man dnrch die mehr als viertausend Dörfer des Landes wandert, hat
man das Vergnügen, etwa siebzig Mal aus eine Schule, oder wenigstens den
Namen Schule, zu stoßen. Von jenen Schulen, die einst ans Napoleons Ver¬
anlassung im Herzogthum Warschau errichtet worden, bereu Zahl aber keineswegs
umfänglich war, finden sich nnr noch an 9 Orten Rudera, denn der Adel, welcher
in keiner Meinung so mit der Russischen Herrschaft harmonirte, als in der von
der Bildung der untern Volksschichten, untergrub wieder, was uuter den Fittigen
der Französischen Adler segensreiches ersprvssen war. Diese Concession war
die einzige, die ihm das Russische Scepter vergönnte.

In Nußland ist der Bauer leibeigen, in Polen persönlich frei; aber Beide
sind, Nichts besitzend, von einem Herr" abhängig. Den Russischen Leibeigenen
betrachtet der Herr als ein schätzenswerthes Vermögenstheil, der ihm desto nütz¬
licher und lieber ist, je besser der Zustand, in dem er sich befindet. Der Pol¬
nische Herr dagegen kann seine persönlich freien Bauern nur als ein sehr zweifel¬
haftes, unsicheres Besitzthnni, an welches Etwas zu wenden ein Risico ist, betrachten.
Um ihn aber in seinem Besitze festzuhalten, bedrückt er ihn so sehr als möglich,
damit er sich vor Hilfsbcdürftigkeit und Gemüthsschwere nicht von seinem Pfahle
loszureißen im Stande sei.

Uuter solchen Verhältnissen ist der Polnische Bauer geistig wie körperlich
noch weit unregsamer, als der Russische. Der Bildungstrieb ist in ihm gänzlich er¬
sterben, sein Geist ist der Jnstinct des Thieres, er ist gelehrig, denn es fehlen
ihm gesunde Kräfte nicht, aber es fehlt ihm der von der Freudigkeit der Seele
abhängende Drang, mehr zu erfahren, als er weiß, und etwas Anderes zu werden,
als er ist. -


wir aber würden nus einander so lange anfeinden, bis der weiße Czar den
wohlmeinenden Friedensstab über uns schwingen würde. Für poetische Gemüther
mag die Russische Kunde reizender sein, als die kleinen Tracasserieu, denen wir
jetzt ausgesetzt sind, wenn wir uns überhaupt um Politik bekümmern, weil sie
wenigstens rothe Striemen macht und sich zu romantischen Bildern verwerthen
läßt; es mag für sie bequemer sein, einen langwierigen Proceß, wo das klare
Recht dnrch den Einfluß eines überlegenen Gegners verschleppt wird, durch einen
av clL»k»x>ni'a>.wii zu erledigen, statt mit unermüdlicher langweiliger Arbeit
Schritt fiir Schritt weiter zu dringen: eine prosaische Natur urtheilt anders, und
die wirkliche Freiheit ist noch nie durch Poesie, sondern immer durch Prosa errun¬
-Z—Z- gen worden.




Schulwesen in Polen.
n.

Wenn man dnrch die mehr als viertausend Dörfer des Landes wandert, hat
man das Vergnügen, etwa siebzig Mal aus eine Schule, oder wenigstens den
Namen Schule, zu stoßen. Von jenen Schulen, die einst ans Napoleons Ver¬
anlassung im Herzogthum Warschau errichtet worden, bereu Zahl aber keineswegs
umfänglich war, finden sich nnr noch an 9 Orten Rudera, denn der Adel, welcher
in keiner Meinung so mit der Russischen Herrschaft harmonirte, als in der von
der Bildung der untern Volksschichten, untergrub wieder, was uuter den Fittigen
der Französischen Adler segensreiches ersprvssen war. Diese Concession war
die einzige, die ihm das Russische Scepter vergönnte.

In Nußland ist der Bauer leibeigen, in Polen persönlich frei; aber Beide
sind, Nichts besitzend, von einem Herr» abhängig. Den Russischen Leibeigenen
betrachtet der Herr als ein schätzenswerthes Vermögenstheil, der ihm desto nütz¬
licher und lieber ist, je besser der Zustand, in dem er sich befindet. Der Pol¬
nische Herr dagegen kann seine persönlich freien Bauern nur als ein sehr zweifel¬
haftes, unsicheres Besitzthnni, an welches Etwas zu wenden ein Risico ist, betrachten.
Um ihn aber in seinem Besitze festzuhalten, bedrückt er ihn so sehr als möglich,
damit er sich vor Hilfsbcdürftigkeit und Gemüthsschwere nicht von seinem Pfahle
loszureißen im Stande sei.

Uuter solchen Verhältnissen ist der Polnische Bauer geistig wie körperlich
noch weit unregsamer, als der Russische. Der Bildungstrieb ist in ihm gänzlich er¬
sterben, sein Geist ist der Jnstinct des Thieres, er ist gelehrig, denn es fehlen
ihm gesunde Kräfte nicht, aber es fehlt ihm der von der Freudigkeit der Seele
abhängende Drang, mehr zu erfahren, als er weiß, und etwas Anderes zu werden,
als er ist. -


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/196>, abgerufen am 27.06.2024.