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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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einen Anschlag auf sein Leben hat der Unglücksmann, solange Oestreich die Schleppe
von Rußland trägt, nicht zu fürchten.

Endlich ist die Aufforderung Görgey's an seine Generäle, seinem Beispiele
zu folgen, und die Bereitwilligkeit, welche die unversöhnlichsten Feinde Oestreichs
ein Damjanich und Vecsey -- dabei an den Tag legten, selbst ein wichtiger
Beleg, wie fürchterlich Görgey getäuscht worden ist; ich weise hier auf das Schrei¬
ben des Adjutanten Damjanich's an den Russen Burtuline hin, wo der erstere
behauptet, die Festung Arad sei nur aus die ausdrückliche Versicherung
des russischen Generals von der Sympathie des Czaren für die
ungarische Nation und der Sicherstellung der Freiheit und des
Eigenthums der Offiziere übergeben worden.

Görgey hat also keinesfalls sein Vaterland verkauft; er hat es verschenkt
oder vielmehr er hat es verspielt. Er hat auf ein Versprechen hin alle Schleu-
V. ßen seines Vertrauens gezogen und wurde getäuscht.




Anfragen eines Laien in Betreff der modernen Musik.



Die Gewandhaus-Concerte haben sich in der laufenden Saison wesentlich von
ihren alten Gewohnheiten entfernt. Wir haben von Mozart fast Nichts, von Haydn
sehr wenig, von Beethoven unverhältnißmäßig weniger als sonst gehabt. Men¬
delssohn war vorherrschend, außerdem ward jüngeren Komponisten mehrfach Ge¬
legenheit geboten, ihre eigenen Werke dem Publikum in der glänzenden Ausfüh¬
rung vorzustellen, durch welche das Gewandhaus-Orchester seit alten Zeiten berühmt
ist. Eine Gelegenheit, die mit um so größerem Dank anzuerkennen ist, dq Leipzig
vielleicht der einzige Ort in Deutschland sein dürfte, wo sie sich in diesem Maße
findet. Ich enthalte mich alles Urtheils über die einzelnen Leistungen, kann mich
aber nicht erwehren, einige Bemerkungen über die neue Richtung der Musik an¬
zuknüpfen, die sich mehr oder weniger jedem Freunde der schönen Kunst aufgedrängt
haben müssen.

Die Instrumentalmusik in ihrer völligen Unabhängigkeit vom Gesang ist eine
wesentlich deutsche Neigung. Den Symphonien von Haydn, Mozart, Beethoven,
später Mendelssohn, Schubert, Schumann wird nicht leicht ein anderes Volk eine
ähnliche Reihe entgegenstellen können. Selbst die Franzosen, die viel Sinn
dafür haben, dürften kaum ihre Hektor Berlioz und Fetialen David in die Wag¬
schale legen wollen. Der Grund liegt wohl zunächst in der natürlichen Anlage;
die Italiener haben im Allgemeinen mehr schöne Stimmen, als wir, und es fehlt


einen Anschlag auf sein Leben hat der Unglücksmann, solange Oestreich die Schleppe
von Rußland trägt, nicht zu fürchten.

Endlich ist die Aufforderung Görgey's an seine Generäle, seinem Beispiele
zu folgen, und die Bereitwilligkeit, welche die unversöhnlichsten Feinde Oestreichs
ein Damjanich und Vecsey — dabei an den Tag legten, selbst ein wichtiger
Beleg, wie fürchterlich Görgey getäuscht worden ist; ich weise hier auf das Schrei¬
ben des Adjutanten Damjanich's an den Russen Burtuline hin, wo der erstere
behauptet, die Festung Arad sei nur aus die ausdrückliche Versicherung
des russischen Generals von der Sympathie des Czaren für die
ungarische Nation und der Sicherstellung der Freiheit und des
Eigenthums der Offiziere übergeben worden.

Görgey hat also keinesfalls sein Vaterland verkauft; er hat es verschenkt
oder vielmehr er hat es verspielt. Er hat auf ein Versprechen hin alle Schleu-
V. ßen seines Vertrauens gezogen und wurde getäuscht.




Anfragen eines Laien in Betreff der modernen Musik.



Die Gewandhaus-Concerte haben sich in der laufenden Saison wesentlich von
ihren alten Gewohnheiten entfernt. Wir haben von Mozart fast Nichts, von Haydn
sehr wenig, von Beethoven unverhältnißmäßig weniger als sonst gehabt. Men¬
delssohn war vorherrschend, außerdem ward jüngeren Komponisten mehrfach Ge¬
legenheit geboten, ihre eigenen Werke dem Publikum in der glänzenden Ausfüh¬
rung vorzustellen, durch welche das Gewandhaus-Orchester seit alten Zeiten berühmt
ist. Eine Gelegenheit, die mit um so größerem Dank anzuerkennen ist, dq Leipzig
vielleicht der einzige Ort in Deutschland sein dürfte, wo sie sich in diesem Maße
findet. Ich enthalte mich alles Urtheils über die einzelnen Leistungen, kann mich
aber nicht erwehren, einige Bemerkungen über die neue Richtung der Musik an¬
zuknüpfen, die sich mehr oder weniger jedem Freunde der schönen Kunst aufgedrängt
haben müssen.

Die Instrumentalmusik in ihrer völligen Unabhängigkeit vom Gesang ist eine
wesentlich deutsche Neigung. Den Symphonien von Haydn, Mozart, Beethoven,
später Mendelssohn, Schubert, Schumann wird nicht leicht ein anderes Volk eine
ähnliche Reihe entgegenstellen können. Selbst die Franzosen, die viel Sinn
dafür haben, dürften kaum ihre Hektor Berlioz und Fetialen David in die Wag¬
schale legen wollen. Der Grund liegt wohl zunächst in der natürlichen Anlage;
die Italiener haben im Allgemeinen mehr schöne Stimmen, als wir, und es fehlt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/237>, abgerufen am 27.06.2024.