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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ihnen der Fleiß und die aufopfernde Thätigkeit, ohne welche es die Instrumen¬
talmusik nie zu einer gewissen Vollkommenheit bringen wird. In ihren Opern
geben sie ihren Sängerinnen ein paar hübsche Melodien mit den nöthigen Läufen
und Koloraturen, und begleiten sie mit einigen leichten, trivialen Akkorden. Unsere
Musiker, die den Contrapunkt mit der Muttermilch einsaugen, können ihre Ver¬
achtung gegen eine so liederliche Wirthschaft nicht stark genug ausdrücken; sie sind
aber nur zu geneigt, in den entgegengesetzten Fehler zu versallen: sie setzen die
menschliche Stimme zu einem Instrument herab, das sie gleich den andern behan¬
deln; nicht allein im Chor, sondern auch im Liede, das mehr und mehr seinen
natürlichen Charakter verliert und in das Gebiet der Arie hinüberstreift; und sie
verlieren sich auf eine Weise in das Labyrinth ihrer harmonischen Irrfahrten, daß sehr
bald die Componisten kein anderes Publikum haben werden, als ihres Gleichen.

Zu dieser aristokratischen Abschließung fühlt der Musiker mehr Versuchung,
als irgend ein anderer Künstler. Ich will nur die Malerei anführen. Um ein
Gemälde vollständig zu würdigen, muß man die Technik verstehet?. Um die
Richtigkeit der Beleuchtung, die gleichsam körperliche Nachbildung des Fleisches,
die Grazie der Linien auch nnr zu empfinden, muß man ernste Studien gemacht
haben. Aber keinem Maler fällt es ein, bei einem Bilde, das einen wirklichen
Kunstwerth haben soll, das Urtheil des Publikums zu umgehen. Ein gebildeter
Mann, der seine fünf Sinne hat, der in der Welt lebt und gewöhnt ist, Men¬
schen in der Bewegung zu sehen, den Charakter in seinem sinnlichen Ausdruck zu
beobachten, dessen Phantasie endlich nicht todt ist sür das Schöne -- es wäre doch
schlimm, wenn ein derartiger Laie nicht augenblicklich von jedem wahrhaften Mei¬
sterwerk ergriffen werden sollte, wenn er die technischen Finessen auch erst bei spä¬
terer Beobachtung näher würdigt. Bei der modernen Musik ist es anders. Ein
wahrhaft tiefes Werk nach der Mode muß so beschaffen sein, daß man zum ersten
Mal gar nichts hört, weder Melodie, noch Rhythmus, noch harmonischen Zusam¬
menhang, noch irgend eine Dialektik der Empfindungen. Es ist Alles darin, aber
Alles versteckt. Wenn aber das natürliche Gefühl sich in dem Urtheil Luft macht:
aber das ist ja scheußlichso wird es von dem musikalischen Verstand hart zurecht¬
gewiesen und darauf aufmerksam gemacht, daß zu einem Urtheil nicht das Empfin¬
den, sondern nnr das Wissen berechtigt.

Es wird dem Wissenden nur schwer werden, die einfache Frage zu beantwor¬
ten , wozu denn eigentlich die Kunst da ist. Doch wohl nicht, wie die Freimaurer¬
lieder, nur sür die Eingeweihten? Be-i diesen Liedern wird der natürliche Verstand,
dem sie abgeschmackt vorkommen, gleichfalls auf die geheime Bedeutung aufmerk¬
sam gemacht, die dahinter stecke. Aber die Kunst ist kein Mysterium in dem Sinn
unserer Romantiker. Wenn sie sich nicht verständlich zu machen weiß, so thäte sie
besser, überhaupt zu schweigen.

Jenes Raffinement ist auch eigentlich nichts , als ein Ausdruck der Schwäche.


ihnen der Fleiß und die aufopfernde Thätigkeit, ohne welche es die Instrumen¬
talmusik nie zu einer gewissen Vollkommenheit bringen wird. In ihren Opern
geben sie ihren Sängerinnen ein paar hübsche Melodien mit den nöthigen Läufen
und Koloraturen, und begleiten sie mit einigen leichten, trivialen Akkorden. Unsere
Musiker, die den Contrapunkt mit der Muttermilch einsaugen, können ihre Ver¬
achtung gegen eine so liederliche Wirthschaft nicht stark genug ausdrücken; sie sind
aber nur zu geneigt, in den entgegengesetzten Fehler zu versallen: sie setzen die
menschliche Stimme zu einem Instrument herab, das sie gleich den andern behan¬
deln; nicht allein im Chor, sondern auch im Liede, das mehr und mehr seinen
natürlichen Charakter verliert und in das Gebiet der Arie hinüberstreift; und sie
verlieren sich auf eine Weise in das Labyrinth ihrer harmonischen Irrfahrten, daß sehr
bald die Componisten kein anderes Publikum haben werden, als ihres Gleichen.

Zu dieser aristokratischen Abschließung fühlt der Musiker mehr Versuchung,
als irgend ein anderer Künstler. Ich will nur die Malerei anführen. Um ein
Gemälde vollständig zu würdigen, muß man die Technik verstehet?. Um die
Richtigkeit der Beleuchtung, die gleichsam körperliche Nachbildung des Fleisches,
die Grazie der Linien auch nnr zu empfinden, muß man ernste Studien gemacht
haben. Aber keinem Maler fällt es ein, bei einem Bilde, das einen wirklichen
Kunstwerth haben soll, das Urtheil des Publikums zu umgehen. Ein gebildeter
Mann, der seine fünf Sinne hat, der in der Welt lebt und gewöhnt ist, Men¬
schen in der Bewegung zu sehen, den Charakter in seinem sinnlichen Ausdruck zu
beobachten, dessen Phantasie endlich nicht todt ist sür das Schöne — es wäre doch
schlimm, wenn ein derartiger Laie nicht augenblicklich von jedem wahrhaften Mei¬
sterwerk ergriffen werden sollte, wenn er die technischen Finessen auch erst bei spä¬
terer Beobachtung näher würdigt. Bei der modernen Musik ist es anders. Ein
wahrhaft tiefes Werk nach der Mode muß so beschaffen sein, daß man zum ersten
Mal gar nichts hört, weder Melodie, noch Rhythmus, noch harmonischen Zusam¬
menhang, noch irgend eine Dialektik der Empfindungen. Es ist Alles darin, aber
Alles versteckt. Wenn aber das natürliche Gefühl sich in dem Urtheil Luft macht:
aber das ist ja scheußlichso wird es von dem musikalischen Verstand hart zurecht¬
gewiesen und darauf aufmerksam gemacht, daß zu einem Urtheil nicht das Empfin¬
den, sondern nnr das Wissen berechtigt.

Es wird dem Wissenden nur schwer werden, die einfache Frage zu beantwor¬
ten , wozu denn eigentlich die Kunst da ist. Doch wohl nicht, wie die Freimaurer¬
lieder, nur sür die Eingeweihten? Be-i diesen Liedern wird der natürliche Verstand,
dem sie abgeschmackt vorkommen, gleichfalls auf die geheime Bedeutung aufmerk¬
sam gemacht, die dahinter stecke. Aber die Kunst ist kein Mysterium in dem Sinn
unserer Romantiker. Wenn sie sich nicht verständlich zu machen weiß, so thäte sie
besser, überhaupt zu schweigen.

Jenes Raffinement ist auch eigentlich nichts , als ein Ausdruck der Schwäche.


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[0238] ihnen der Fleiß und die aufopfernde Thätigkeit, ohne welche es die Instrumen¬ talmusik nie zu einer gewissen Vollkommenheit bringen wird. In ihren Opern geben sie ihren Sängerinnen ein paar hübsche Melodien mit den nöthigen Läufen und Koloraturen, und begleiten sie mit einigen leichten, trivialen Akkorden. Unsere Musiker, die den Contrapunkt mit der Muttermilch einsaugen, können ihre Ver¬ achtung gegen eine so liederliche Wirthschaft nicht stark genug ausdrücken; sie sind aber nur zu geneigt, in den entgegengesetzten Fehler zu versallen: sie setzen die menschliche Stimme zu einem Instrument herab, das sie gleich den andern behan¬ deln; nicht allein im Chor, sondern auch im Liede, das mehr und mehr seinen natürlichen Charakter verliert und in das Gebiet der Arie hinüberstreift; und sie verlieren sich auf eine Weise in das Labyrinth ihrer harmonischen Irrfahrten, daß sehr bald die Componisten kein anderes Publikum haben werden, als ihres Gleichen. Zu dieser aristokratischen Abschließung fühlt der Musiker mehr Versuchung, als irgend ein anderer Künstler. Ich will nur die Malerei anführen. Um ein Gemälde vollständig zu würdigen, muß man die Technik verstehet?. Um die Richtigkeit der Beleuchtung, die gleichsam körperliche Nachbildung des Fleisches, die Grazie der Linien auch nnr zu empfinden, muß man ernste Studien gemacht haben. Aber keinem Maler fällt es ein, bei einem Bilde, das einen wirklichen Kunstwerth haben soll, das Urtheil des Publikums zu umgehen. Ein gebildeter Mann, der seine fünf Sinne hat, der in der Welt lebt und gewöhnt ist, Men¬ schen in der Bewegung zu sehen, den Charakter in seinem sinnlichen Ausdruck zu beobachten, dessen Phantasie endlich nicht todt ist sür das Schöne — es wäre doch schlimm, wenn ein derartiger Laie nicht augenblicklich von jedem wahrhaften Mei¬ sterwerk ergriffen werden sollte, wenn er die technischen Finessen auch erst bei spä¬ terer Beobachtung näher würdigt. Bei der modernen Musik ist es anders. Ein wahrhaft tiefes Werk nach der Mode muß so beschaffen sein, daß man zum ersten Mal gar nichts hört, weder Melodie, noch Rhythmus, noch harmonischen Zusam¬ menhang, noch irgend eine Dialektik der Empfindungen. Es ist Alles darin, aber Alles versteckt. Wenn aber das natürliche Gefühl sich in dem Urtheil Luft macht: aber das ist ja scheußlichso wird es von dem musikalischen Verstand hart zurecht¬ gewiesen und darauf aufmerksam gemacht, daß zu einem Urtheil nicht das Empfin¬ den, sondern nnr das Wissen berechtigt. Es wird dem Wissenden nur schwer werden, die einfache Frage zu beantwor¬ ten , wozu denn eigentlich die Kunst da ist. Doch wohl nicht, wie die Freimaurer¬ lieder, nur sür die Eingeweihten? Be-i diesen Liedern wird der natürliche Verstand, dem sie abgeschmackt vorkommen, gleichfalls auf die geheime Bedeutung aufmerk¬ sam gemacht, die dahinter stecke. Aber die Kunst ist kein Mysterium in dem Sinn unserer Romantiker. Wenn sie sich nicht verständlich zu machen weiß, so thäte sie besser, überhaupt zu schweigen. Jenes Raffinement ist auch eigentlich nichts , als ein Ausdruck der Schwäche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/238>, abgerufen am 29.06.2024.