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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Ich beabsichtige nicht eine Strohkranzrede, sondern eine ruhige Erwägung
der Frage: in welchen! Verhältniß steht Schiller's Poesie ihrem Inhalt wie ihrer
Form nach zu dem poetischen Geist der Gegenwart?

Ganz unberücksichtigt bleibt dabei jene Epigonen-Literatur, die von dem
Reliquien-Trödel lebt, jene Naritäteukrämer, die mit einem Fleiß, der einer bessern
Sache werth wäre, die große Frage untersuchen, wie oft in der Woche Schiller
und Göthe die Strümpfe gewechselt haben, nebst andern gelehrten Abhandlungen
von ähnlichem Belang. Auch die pseudophilosophischen Kommentatoren, die so
viel Ideen in seine Werke hineinconstrnirt haben, daß sie es für überflüssig
hielten, sie zu lesen. Dergleichen ist in einem wesentlich unproductiven Zeit¬
alter von der Pietät gegen einen großen Namen unzertrennlich, und es ist dabei
wenigstens einiges Brauchbare zu Tage gefördert worden, wenn auch nicht viel.

Ich will auch uicht auf jene, namentlich in uusern Leipziger Schillerfesten so
häusig abgeleierte Ansicht eingehen, daß der Dichter des Marquis Posa im
Gegensatz zu dem aristokratisch resignirten Göthe ein Sänger der Freiheit ge¬
wesen sei. Säuger der Freiheit in weiterem Sinne waren beide; mit der poli¬
tischen Freiheit dagegen, wie wir sie verstehen, haben beide nichts zu thun. In
den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts hat das
Schiller mit so dürren Worten ausgesprochen, daß mau blind sein muß, wenn
mau es uicht sieht.

Feruer lasse ich die erste Periode vou Schiller's dichterischer Wirksamkeit
ans dem Spiel. Für das Studium jener Periode und des Bildungsganges
unsers Dichters siud die Räuber, Kabale und Liebe, Fiesco, die Gedichte an
Laura u. s. w. von großem historischem Werth, ihr politischer Gehalt ist aber
sehr gering, und in der Weltliteratur finden sie keine Stelle. Wenn in der all-



Wir machen bei dieser Gelegenheit noch einmal auf den neuen Abdruck der An¬
thologie von 178? aufmerksam (Heidelberg, Bangel K Schmitt), die wir bereits in Heft
besprochen haben.
Grenzboten. IV. 1850. 101
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Ich beabsichtige nicht eine Strohkranzrede, sondern eine ruhige Erwägung
der Frage: in welchen! Verhältniß steht Schiller's Poesie ihrem Inhalt wie ihrer
Form nach zu dem poetischen Geist der Gegenwart?

Ganz unberücksichtigt bleibt dabei jene Epigonen-Literatur, die von dem
Reliquien-Trödel lebt, jene Naritäteukrämer, die mit einem Fleiß, der einer bessern
Sache werth wäre, die große Frage untersuchen, wie oft in der Woche Schiller
und Göthe die Strümpfe gewechselt haben, nebst andern gelehrten Abhandlungen
von ähnlichem Belang. Auch die pseudophilosophischen Kommentatoren, die so
viel Ideen in seine Werke hineinconstrnirt haben, daß sie es für überflüssig
hielten, sie zu lesen. Dergleichen ist in einem wesentlich unproductiven Zeit¬
alter von der Pietät gegen einen großen Namen unzertrennlich, und es ist dabei
wenigstens einiges Brauchbare zu Tage gefördert worden, wenn auch nicht viel.

Ich will auch uicht auf jene, namentlich in uusern Leipziger Schillerfesten so
häusig abgeleierte Ansicht eingehen, daß der Dichter des Marquis Posa im
Gegensatz zu dem aristokratisch resignirten Göthe ein Sänger der Freiheit ge¬
wesen sei. Säuger der Freiheit in weiterem Sinne waren beide; mit der poli¬
tischen Freiheit dagegen, wie wir sie verstehen, haben beide nichts zu thun. In
den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts hat das
Schiller mit so dürren Worten ausgesprochen, daß mau blind sein muß, wenn
mau es uicht sieht.

Feruer lasse ich die erste Periode vou Schiller's dichterischer Wirksamkeit
ans dem Spiel. Für das Studium jener Periode und des Bildungsganges
unsers Dichters siud die Räuber, Kabale und Liebe, Fiesco, die Gedichte an
Laura u. s. w. von großem historischem Werth, ihr politischer Gehalt ist aber
sehr gering, und in der Weltliteratur finden sie keine Stelle. Wenn in der all-



Wir machen bei dieser Gelegenheit noch einmal auf den neuen Abdruck der An¬
thologie von 178? aufmerksam (Heidelberg, Bangel K Schmitt), die wir bereits in Heft
besprochen haben.
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[0289] Z u in S es i l l e r f e se. Ich beabsichtige nicht eine Strohkranzrede, sondern eine ruhige Erwägung der Frage: in welchen! Verhältniß steht Schiller's Poesie ihrem Inhalt wie ihrer Form nach zu dem poetischen Geist der Gegenwart? Ganz unberücksichtigt bleibt dabei jene Epigonen-Literatur, die von dem Reliquien-Trödel lebt, jene Naritäteukrämer, die mit einem Fleiß, der einer bessern Sache werth wäre, die große Frage untersuchen, wie oft in der Woche Schiller und Göthe die Strümpfe gewechselt haben, nebst andern gelehrten Abhandlungen von ähnlichem Belang. Auch die pseudophilosophischen Kommentatoren, die so viel Ideen in seine Werke hineinconstrnirt haben, daß sie es für überflüssig hielten, sie zu lesen. Dergleichen ist in einem wesentlich unproductiven Zeit¬ alter von der Pietät gegen einen großen Namen unzertrennlich, und es ist dabei wenigstens einiges Brauchbare zu Tage gefördert worden, wenn auch nicht viel. Ich will auch uicht auf jene, namentlich in uusern Leipziger Schillerfesten so häusig abgeleierte Ansicht eingehen, daß der Dichter des Marquis Posa im Gegensatz zu dem aristokratisch resignirten Göthe ein Sänger der Freiheit ge¬ wesen sei. Säuger der Freiheit in weiterem Sinne waren beide; mit der poli¬ tischen Freiheit dagegen, wie wir sie verstehen, haben beide nichts zu thun. In den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts hat das Schiller mit so dürren Worten ausgesprochen, daß mau blind sein muß, wenn mau es uicht sieht. Feruer lasse ich die erste Periode vou Schiller's dichterischer Wirksamkeit ans dem Spiel. Für das Studium jener Periode und des Bildungsganges unsers Dichters siud die Räuber, Kabale und Liebe, Fiesco, die Gedichte an Laura u. s. w. von großem historischem Werth, ihr politischer Gehalt ist aber sehr gering, und in der Weltliteratur finden sie keine Stelle. Wenn in der all- Wir machen bei dieser Gelegenheit noch einmal auf den neuen Abdruck der An¬ thologie von 178? aufmerksam (Heidelberg, Bangel K Schmitt), die wir bereits in Heft besprochen haben. Grenzboten. IV. 1850. 101

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/289>, abgerufen am 22.07.2024.