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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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mit einem Entzücken, das mit leisem Grauen zu kämpfen hat. Jeder Wirkung
ist sie sich bewußt, überall ist ihre originelle Kraft durch die Kunst beherrscht,
alle Effecte siud sicher und stehen ihr fest, und doch empfindet auch der geübte
Blick nirgend, oder doch nur sehr selten, die Absicht und Zucht heraus, die sonst
auf die Lauge bei allem französischen Spiel den Deutschen zu erkälten pflegt; so
groß ist die schöpferische Kraft, welche in ihr arbeitet. Die Franzosen, welche für
die Mängel der Rachel gar nicht blind sind, fühlen sich doch sehr stolz im Besitz einer
solchen Künstlerin, ans deren Augen so viel Teufel brennen, als sonst in ganz
Frankreich kaum aufzufinden sind, und deren feingeschnittene Lippen sich fast zu einem
Viereck aufkrausen, um unerhörte schneidende Tone einer so grimmigen Verach¬
tung gegen alles Existireude hcrausznstoßen, daß der hartnäckigste Stolz vor
Schrecken in nichts zerschmilzt. Wir Deutsche suchen uns vergebens damit zu
beruhigen, daß die große Künstlerin doch am Ende nichts Anderes darstellen
könne, als ein böses Weib. Sie hat als ein Genie gegenüber einem guten Ta¬
lent den Vorzug, unwiderstehlich fortzureißen, wo sie ihre Force zeigen kann,
und den Nachtheil, da sehr wenig zu wirken, wo die Stimme des Gottes, wel¬
cher sie belebt, nicht zu ihr spricht.




Die kurhessische Demokratie.

Offenbar hat der gegenwärtig in Kurhessen versammelte Landtag, dem wir,
sobald ein abschließendes Urtheil einigermaßen möglich ist, eine Besprechung in
diesen Blättern widmen wollen, durch deu nothwendig gewordenen und sieges-
mnthig ausgeuonunenen Kampf des Landes gegen die reaktionäre, an den Bundeö-
tagsembryo offen sich anlehnende Regierung eine große Bedeutung für den Ent-
wickelungsgang der öffentlichen Angelegenheiten von ganz Deutschland. Durch das
Zusammenwirken mannigfacher, zum Theil extrem entgegengesetzter Ursachen ist es
gekommen, daß die demokratische Partei zum ersten Male auf diesem Landtage
die absolute Majorität hat, was sich bei der Präsidentenwahl (Bayrhvffer's) her¬
ausgestellt hat. Man hat an diese Thatsache vielerorts lebhafte Befürchtungen
geknüpft über das endliche Austragen deö Kampfes: wir theilen dieselben nicht,
halten jedoch diesen Augenblick um so mehr geeignet, der knrhessischen Demokratie
'eine öffentliche Besprechung zu widmen, als dieselbe durch ihren gegenwärtigen
Beruf zu einer entscheidenden Mitwirkung ans gesetzlichem Boden gegen die
kurhcssische und allgemeine deutsche Reaction, dnrch die Bedeutsamkeit eines und des
andern Führers, durch ein ziemlich verbreitetes Organ in der Presse, so wie endlich
dadurch der allgemeinen Aufmerksamkeit werth erscheint, als sich bei ihr so manche


mit einem Entzücken, das mit leisem Grauen zu kämpfen hat. Jeder Wirkung
ist sie sich bewußt, überall ist ihre originelle Kraft durch die Kunst beherrscht,
alle Effecte siud sicher und stehen ihr fest, und doch empfindet auch der geübte
Blick nirgend, oder doch nur sehr selten, die Absicht und Zucht heraus, die sonst
auf die Lauge bei allem französischen Spiel den Deutschen zu erkälten pflegt; so
groß ist die schöpferische Kraft, welche in ihr arbeitet. Die Franzosen, welche für
die Mängel der Rachel gar nicht blind sind, fühlen sich doch sehr stolz im Besitz einer
solchen Künstlerin, ans deren Augen so viel Teufel brennen, als sonst in ganz
Frankreich kaum aufzufinden sind, und deren feingeschnittene Lippen sich fast zu einem
Viereck aufkrausen, um unerhörte schneidende Tone einer so grimmigen Verach¬
tung gegen alles Existireude hcrausznstoßen, daß der hartnäckigste Stolz vor
Schrecken in nichts zerschmilzt. Wir Deutsche suchen uns vergebens damit zu
beruhigen, daß die große Künstlerin doch am Ende nichts Anderes darstellen
könne, als ein böses Weib. Sie hat als ein Genie gegenüber einem guten Ta¬
lent den Vorzug, unwiderstehlich fortzureißen, wo sie ihre Force zeigen kann,
und den Nachtheil, da sehr wenig zu wirken, wo die Stimme des Gottes, wel¬
cher sie belebt, nicht zu ihr spricht.




Die kurhessische Demokratie.

Offenbar hat der gegenwärtig in Kurhessen versammelte Landtag, dem wir,
sobald ein abschließendes Urtheil einigermaßen möglich ist, eine Besprechung in
diesen Blättern widmen wollen, durch deu nothwendig gewordenen und sieges-
mnthig ausgeuonunenen Kampf des Landes gegen die reaktionäre, an den Bundeö-
tagsembryo offen sich anlehnende Regierung eine große Bedeutung für den Ent-
wickelungsgang der öffentlichen Angelegenheiten von ganz Deutschland. Durch das
Zusammenwirken mannigfacher, zum Theil extrem entgegengesetzter Ursachen ist es
gekommen, daß die demokratische Partei zum ersten Male auf diesem Landtage
die absolute Majorität hat, was sich bei der Präsidentenwahl (Bayrhvffer's) her¬
ausgestellt hat. Man hat an diese Thatsache vielerorts lebhafte Befürchtungen
geknüpft über das endliche Austragen deö Kampfes: wir theilen dieselben nicht,
halten jedoch diesen Augenblick um so mehr geeignet, der knrhessischen Demokratie
'eine öffentliche Besprechung zu widmen, als dieselbe durch ihren gegenwärtigen
Beruf zu einer entscheidenden Mitwirkung ans gesetzlichem Boden gegen die
kurhcssische und allgemeine deutsche Reaction, dnrch die Bedeutsamkeit eines und des
andern Führers, durch ein ziemlich verbreitetes Organ in der Presse, so wie endlich
dadurch der allgemeinen Aufmerksamkeit werth erscheint, als sich bei ihr so manche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/422>, abgerufen am 27.07.2024.