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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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über ihre Kunst geschrieben wurde, findet sich in Eduard Devrient's Brie¬
fen ans Paris, freilich aus dem Jahr 1839. Es ist das Urtheil eines gründ¬
lich gebildeten Sachverständigen, mehr Werth, als viele Feuilletonartitel. Auch
Laube hat in seinem Buch.aus Paris im Jahr 1847 einige gute Bemerkungen
über sie gemacht.

Rachel Felix, die Tochter eines jüdischen Händlers aus dem Elsaß, der an
Kindern reicher als an Mammon war, wurde noch als Kind von ihrem
Vater im Couservatoire zu Paris untergebracht. Sie zeichnete sich bei den
Prüfungen aus, der Director des Gymnase bot ihr eine Austeilung, und
gedrängt durch die kümmerliche Lage ihrer Familie nahm sie diese an, obschon
die Professoren dringend abriethen, da ihre Ausbildung noch nicht beendet sei.
Sie debütirte auf dem Man"8<z ilr-im-MMe (für moderne Konversation', Vaude-
ville und Schauspiel) neben Leontine VoluyS und Bonfft, aber ohne Erfolg,
die Gattung der Bühne sagte ihrem Talent nicht zu, die Warnung ihrer Lehrer
war begründet gewesen, und da die Statuten des Conscrvatoire's ihr die Rück¬
kehr in das Institut unmöglich machten, war ihre Zukunft zweifelhaft geworden.
Da nahm sich Samson, Professor am Couservatoirc, ihrer an, unterrichtete sie
privatim während ihres Engagements beim Gymuase, und setzte im Juni 1838
ihr Debüt beim U^akrs kran^uis durch. Der Erfolg des jungen Mädchens ist
bekannt, es begann seit der Zeit eine neue Aera für die klassische Tragödie in
Paris, welche seit Talma'ö Tode in einem Zustand von Verfall gewesen war, der
bereits unheilbar schien. Seit den letzten 12 Jahren hat Rachel deu Cvthuru
des tdvgtrs treu^Is zunächst zu einer Modesache, endlich zu einem Stolz der
Pariser gemacht, und jetzt, im Alter von noch kaum 30 Jahren, gilt sie für die
größte Schauspielerin Europa'S. Was sie in den 12 Jahren ihres Engagements
am tKvAl.r(z l'rein^is auch allmälig sich zugcbildet, Sicherheit auf der Bühne,
welche bei ihr größer ist, als vielleicht je bei einer Fran, und Ausbildung ihres
stummen Spiels, in welchem sie bis an die Grenze des Möglichen gekommen
scheint, so ist doch an dieser genialen Frau vielleicht das Wunderbarste der
Umstand, daß sie im Alter von 16 Jahren in der Hauptsache ebensoweit war
als jetzt, daß sie gleich in der ersten Zeit ihrer Triumphe die finstern und erha¬
benen Leidenschaften mit derselbe" Größe, Energie und Technik darzustellen
verstand, welche wir gegenwärtig an ihr bewundern; so wie, daß der Kreis der
Empfindungen, welche sie mit Glück darstellt, in dieser ganzen Zeit fast um
nichts größer geworden ist. Für Hingebung, Zärtlichkeit, Liebesgluth vermag
sie auf der Bühne noch jetzt nicht Ton und Blick zu finden; aber alle dunklern
Stimmungen vom erhabenen Stolz an, durch alle Grade und Schattirungen"finstern
Schmerzes, durch das ganze Register von Zorn, Eifersucht, Haß, bis zur Ver¬
zweiflung und zur Wuth eiuer Furie handhabt sie mit einer Virtuosität, die den
Zuschauer sast betroffen macht. Mau sühlt dann die dämonische Kraft eines Genie's


über ihre Kunst geschrieben wurde, findet sich in Eduard Devrient's Brie¬
fen ans Paris, freilich aus dem Jahr 1839. Es ist das Urtheil eines gründ¬
lich gebildeten Sachverständigen, mehr Werth, als viele Feuilletonartitel. Auch
Laube hat in seinem Buch.aus Paris im Jahr 1847 einige gute Bemerkungen
über sie gemacht.

Rachel Felix, die Tochter eines jüdischen Händlers aus dem Elsaß, der an
Kindern reicher als an Mammon war, wurde noch als Kind von ihrem
Vater im Couservatoire zu Paris untergebracht. Sie zeichnete sich bei den
Prüfungen aus, der Director des Gymnase bot ihr eine Austeilung, und
gedrängt durch die kümmerliche Lage ihrer Familie nahm sie diese an, obschon
die Professoren dringend abriethen, da ihre Ausbildung noch nicht beendet sei.
Sie debütirte auf dem Man«8<z ilr-im-MMe (für moderne Konversation', Vaude-
ville und Schauspiel) neben Leontine VoluyS und Bonfft, aber ohne Erfolg,
die Gattung der Bühne sagte ihrem Talent nicht zu, die Warnung ihrer Lehrer
war begründet gewesen, und da die Statuten des Conscrvatoire's ihr die Rück¬
kehr in das Institut unmöglich machten, war ihre Zukunft zweifelhaft geworden.
Da nahm sich Samson, Professor am Couservatoirc, ihrer an, unterrichtete sie
privatim während ihres Engagements beim Gymuase, und setzte im Juni 1838
ihr Debüt beim U^akrs kran^uis durch. Der Erfolg des jungen Mädchens ist
bekannt, es begann seit der Zeit eine neue Aera für die klassische Tragödie in
Paris, welche seit Talma'ö Tode in einem Zustand von Verfall gewesen war, der
bereits unheilbar schien. Seit den letzten 12 Jahren hat Rachel deu Cvthuru
des tdvgtrs treu^Is zunächst zu einer Modesache, endlich zu einem Stolz der
Pariser gemacht, und jetzt, im Alter von noch kaum 30 Jahren, gilt sie für die
größte Schauspielerin Europa'S. Was sie in den 12 Jahren ihres Engagements
am tKvAl.r(z l'rein^is auch allmälig sich zugcbildet, Sicherheit auf der Bühne,
welche bei ihr größer ist, als vielleicht je bei einer Fran, und Ausbildung ihres
stummen Spiels, in welchem sie bis an die Grenze des Möglichen gekommen
scheint, so ist doch an dieser genialen Frau vielleicht das Wunderbarste der
Umstand, daß sie im Alter von 16 Jahren in der Hauptsache ebensoweit war
als jetzt, daß sie gleich in der ersten Zeit ihrer Triumphe die finstern und erha¬
benen Leidenschaften mit derselbe» Größe, Energie und Technik darzustellen
verstand, welche wir gegenwärtig an ihr bewundern; so wie, daß der Kreis der
Empfindungen, welche sie mit Glück darstellt, in dieser ganzen Zeit fast um
nichts größer geworden ist. Für Hingebung, Zärtlichkeit, Liebesgluth vermag
sie auf der Bühne noch jetzt nicht Ton und Blick zu finden; aber alle dunklern
Stimmungen vom erhabenen Stolz an, durch alle Grade und Schattirungen»finstern
Schmerzes, durch das ganze Register von Zorn, Eifersucht, Haß, bis zur Ver¬
zweiflung und zur Wuth eiuer Furie handhabt sie mit einer Virtuosität, die den
Zuschauer sast betroffen macht. Mau sühlt dann die dämonische Kraft eines Genie's


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[0421] über ihre Kunst geschrieben wurde, findet sich in Eduard Devrient's Brie¬ fen ans Paris, freilich aus dem Jahr 1839. Es ist das Urtheil eines gründ¬ lich gebildeten Sachverständigen, mehr Werth, als viele Feuilletonartitel. Auch Laube hat in seinem Buch.aus Paris im Jahr 1847 einige gute Bemerkungen über sie gemacht. Rachel Felix, die Tochter eines jüdischen Händlers aus dem Elsaß, der an Kindern reicher als an Mammon war, wurde noch als Kind von ihrem Vater im Couservatoire zu Paris untergebracht. Sie zeichnete sich bei den Prüfungen aus, der Director des Gymnase bot ihr eine Austeilung, und gedrängt durch die kümmerliche Lage ihrer Familie nahm sie diese an, obschon die Professoren dringend abriethen, da ihre Ausbildung noch nicht beendet sei. Sie debütirte auf dem Man«8<z ilr-im-MMe (für moderne Konversation', Vaude- ville und Schauspiel) neben Leontine VoluyS und Bonfft, aber ohne Erfolg, die Gattung der Bühne sagte ihrem Talent nicht zu, die Warnung ihrer Lehrer war begründet gewesen, und da die Statuten des Conscrvatoire's ihr die Rück¬ kehr in das Institut unmöglich machten, war ihre Zukunft zweifelhaft geworden. Da nahm sich Samson, Professor am Couservatoirc, ihrer an, unterrichtete sie privatim während ihres Engagements beim Gymuase, und setzte im Juni 1838 ihr Debüt beim U^akrs kran^uis durch. Der Erfolg des jungen Mädchens ist bekannt, es begann seit der Zeit eine neue Aera für die klassische Tragödie in Paris, welche seit Talma'ö Tode in einem Zustand von Verfall gewesen war, der bereits unheilbar schien. Seit den letzten 12 Jahren hat Rachel deu Cvthuru des tdvgtrs treu^Is zunächst zu einer Modesache, endlich zu einem Stolz der Pariser gemacht, und jetzt, im Alter von noch kaum 30 Jahren, gilt sie für die größte Schauspielerin Europa'S. Was sie in den 12 Jahren ihres Engagements am tKvAl.r(z l'rein^is auch allmälig sich zugcbildet, Sicherheit auf der Bühne, welche bei ihr größer ist, als vielleicht je bei einer Fran, und Ausbildung ihres stummen Spiels, in welchem sie bis an die Grenze des Möglichen gekommen scheint, so ist doch an dieser genialen Frau vielleicht das Wunderbarste der Umstand, daß sie im Alter von 16 Jahren in der Hauptsache ebensoweit war als jetzt, daß sie gleich in der ersten Zeit ihrer Triumphe die finstern und erha¬ benen Leidenschaften mit derselbe» Größe, Energie und Technik darzustellen verstand, welche wir gegenwärtig an ihr bewundern; so wie, daß der Kreis der Empfindungen, welche sie mit Glück darstellt, in dieser ganzen Zeit fast um nichts größer geworden ist. Für Hingebung, Zärtlichkeit, Liebesgluth vermag sie auf der Bühne noch jetzt nicht Ton und Blick zu finden; aber alle dunklern Stimmungen vom erhabenen Stolz an, durch alle Grade und Schattirungen»finstern Schmerzes, durch das ganze Register von Zorn, Eifersucht, Haß, bis zur Ver¬ zweiflung und zur Wuth eiuer Furie handhabt sie mit einer Virtuosität, die den Zuschauer sast betroffen macht. Mau sühlt dann die dämonische Kraft eines Genie's

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/421>, abgerufen am 27.07.2024.