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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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der Demokratie in unfern Tagen überhaupt eigenthümliche Merkmale in sehr be¬
stimmt formulirter Weise ausgedrückt finden.

Auch in Kurhessen kann von einer eigentlich demokratischen Partei, d.h. in
die hiesige Praxis übersetzt, von einer Partei, welche die Republik will, erst seil
der Entwicklung der letzten Revolution die Rede sein, nicht von ihrem Beginn
an, der die Menschen und ihre Wünsche überraschte: klarere Strebungen, in die
seitdem üblichen Schlagwörter eingekleidet, traten erst dann aus, als die Partei-
scheidnng im Parlamente zu gereizter Schroffheit gediehen war und von dort her
die Stimmen für die deutsche Republik in den veröffentlichten Verhandlungen der
obersten Gewalt für Deutschland mit ihren Aufforderungen zur Unterstützung von
Seiten des Volkes erschölle". Dann aber ging die Bildung und Vergrößerung
der demokratischen Partei um so rascher vorwärts, als es, abgesehen von den
überall wirksamen Gründen, durch den ganz verkümmerten Zustand des Ackerbaues,
der Gewerbe und des Handels in Kurhessen eine unverhältnißmäßig große Anzahl
Solcher gab, die von der Bewegung zugleich leben wollten, oder doch eine Ver¬
besserung ihrer äußern Lebensverhältnisse sich .durch jene in Aussicht stellten.
Nirgends waren die Bande zwischen den Fürsten und dem Volke durch den viel¬
bewährten persönlichen Charakter der erstem loser als in Kurhessen, nirgends der
Unmuth durch die der Revolutionszeit vorhergehende schamlose Reaction des Mi¬
nisteriums gesteigerter, das Ansehen der Negierung erschütterter. Die constitutionelle
Partei wurde, obwohl mit Ausnahme der Provinz Hanau, nirgends ohne daß der
Versuch zum Widerstand gemacht war, eingeschüchtert; nur in Kassel und im
Schanmburgischen behielt sie die Herrschaft. Es kam in den Städten so weit, daß
sie von derselben Masse, die mit ihren Führern immer Freiheit, Gleichheit für
Alle u. s. w. u. s. w. im Munde führte, so verfolgt wurde, daß sie zum that-
losen Schweigen dnrch änßere Gewalt gezwungen war: nie ist die Rede- Und
Preßfreiheit mehr durch brutale Gewalt erdrückt gewesen, als in jenen Zeiten,
wo die republikanischen Wogen hoch gingen. Für alles Dieses hatten damals
die Führer kein mißbilligendes Wort, denn es widerlegte sich schon damals die
große Täuschung, der sich jene Führer der heutigen Demokratie hingeben, welche
vermeinen, sie würden, wenn sie nur wollten, auch nötigenfalls das Weitergehen
des Sturmes aufhalten können: sie sind wohl Herren der Bewegung lind der
Kräfte, aber Knechte der Richtung, in der diese verwendet werden. Aber später
hat man solche "Demonstrationen" mißbilligt, als sie wirkungslos waren, oder
ihnen mit Entschiedenheit entgegengetreten wurde. Gegen das Parlament, in das
einzutreten mancher Republikaner erfolglos gestrebt hatte, und gegen die von ihm
zu -verwirklichende Reichsverfassung mit ihrer unangenehmen "Spitze" trat die
l'urhessische Demokratie trotz der im Parlamente zum Ausdruck gekommenen an¬
gebeteten Volkssouveränetät mit Haß lind Erbitterung ans; sie bezeichnete die
Freunde des Parlaments als Reactionäre. Jedermann, mit Ausnahme der De-


der Demokratie in unfern Tagen überhaupt eigenthümliche Merkmale in sehr be¬
stimmt formulirter Weise ausgedrückt finden.

Auch in Kurhessen kann von einer eigentlich demokratischen Partei, d.h. in
die hiesige Praxis übersetzt, von einer Partei, welche die Republik will, erst seil
der Entwicklung der letzten Revolution die Rede sein, nicht von ihrem Beginn
an, der die Menschen und ihre Wünsche überraschte: klarere Strebungen, in die
seitdem üblichen Schlagwörter eingekleidet, traten erst dann aus, als die Partei-
scheidnng im Parlamente zu gereizter Schroffheit gediehen war und von dort her
die Stimmen für die deutsche Republik in den veröffentlichten Verhandlungen der
obersten Gewalt für Deutschland mit ihren Aufforderungen zur Unterstützung von
Seiten des Volkes erschölle». Dann aber ging die Bildung und Vergrößerung
der demokratischen Partei um so rascher vorwärts, als es, abgesehen von den
überall wirksamen Gründen, durch den ganz verkümmerten Zustand des Ackerbaues,
der Gewerbe und des Handels in Kurhessen eine unverhältnißmäßig große Anzahl
Solcher gab, die von der Bewegung zugleich leben wollten, oder doch eine Ver¬
besserung ihrer äußern Lebensverhältnisse sich .durch jene in Aussicht stellten.
Nirgends waren die Bande zwischen den Fürsten und dem Volke durch den viel¬
bewährten persönlichen Charakter der erstem loser als in Kurhessen, nirgends der
Unmuth durch die der Revolutionszeit vorhergehende schamlose Reaction des Mi¬
nisteriums gesteigerter, das Ansehen der Negierung erschütterter. Die constitutionelle
Partei wurde, obwohl mit Ausnahme der Provinz Hanau, nirgends ohne daß der
Versuch zum Widerstand gemacht war, eingeschüchtert; nur in Kassel und im
Schanmburgischen behielt sie die Herrschaft. Es kam in den Städten so weit, daß
sie von derselben Masse, die mit ihren Führern immer Freiheit, Gleichheit für
Alle u. s. w. u. s. w. im Munde führte, so verfolgt wurde, daß sie zum that-
losen Schweigen dnrch änßere Gewalt gezwungen war: nie ist die Rede- Und
Preßfreiheit mehr durch brutale Gewalt erdrückt gewesen, als in jenen Zeiten,
wo die republikanischen Wogen hoch gingen. Für alles Dieses hatten damals
die Führer kein mißbilligendes Wort, denn es widerlegte sich schon damals die
große Täuschung, der sich jene Führer der heutigen Demokratie hingeben, welche
vermeinen, sie würden, wenn sie nur wollten, auch nötigenfalls das Weitergehen
des Sturmes aufhalten können: sie sind wohl Herren der Bewegung lind der
Kräfte, aber Knechte der Richtung, in der diese verwendet werden. Aber später
hat man solche „Demonstrationen" mißbilligt, als sie wirkungslos waren, oder
ihnen mit Entschiedenheit entgegengetreten wurde. Gegen das Parlament, in das
einzutreten mancher Republikaner erfolglos gestrebt hatte, und gegen die von ihm
zu -verwirklichende Reichsverfassung mit ihrer unangenehmen „Spitze" trat die
l'urhessische Demokratie trotz der im Parlamente zum Ausdruck gekommenen an¬
gebeteten Volkssouveränetät mit Haß lind Erbitterung ans; sie bezeichnete die
Freunde des Parlaments als Reactionäre. Jedermann, mit Ausnahme der De-


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[0423] der Demokratie in unfern Tagen überhaupt eigenthümliche Merkmale in sehr be¬ stimmt formulirter Weise ausgedrückt finden. Auch in Kurhessen kann von einer eigentlich demokratischen Partei, d.h. in die hiesige Praxis übersetzt, von einer Partei, welche die Republik will, erst seil der Entwicklung der letzten Revolution die Rede sein, nicht von ihrem Beginn an, der die Menschen und ihre Wünsche überraschte: klarere Strebungen, in die seitdem üblichen Schlagwörter eingekleidet, traten erst dann aus, als die Partei- scheidnng im Parlamente zu gereizter Schroffheit gediehen war und von dort her die Stimmen für die deutsche Republik in den veröffentlichten Verhandlungen der obersten Gewalt für Deutschland mit ihren Aufforderungen zur Unterstützung von Seiten des Volkes erschölle». Dann aber ging die Bildung und Vergrößerung der demokratischen Partei um so rascher vorwärts, als es, abgesehen von den überall wirksamen Gründen, durch den ganz verkümmerten Zustand des Ackerbaues, der Gewerbe und des Handels in Kurhessen eine unverhältnißmäßig große Anzahl Solcher gab, die von der Bewegung zugleich leben wollten, oder doch eine Ver¬ besserung ihrer äußern Lebensverhältnisse sich .durch jene in Aussicht stellten. Nirgends waren die Bande zwischen den Fürsten und dem Volke durch den viel¬ bewährten persönlichen Charakter der erstem loser als in Kurhessen, nirgends der Unmuth durch die der Revolutionszeit vorhergehende schamlose Reaction des Mi¬ nisteriums gesteigerter, das Ansehen der Negierung erschütterter. Die constitutionelle Partei wurde, obwohl mit Ausnahme der Provinz Hanau, nirgends ohne daß der Versuch zum Widerstand gemacht war, eingeschüchtert; nur in Kassel und im Schanmburgischen behielt sie die Herrschaft. Es kam in den Städten so weit, daß sie von derselben Masse, die mit ihren Führern immer Freiheit, Gleichheit für Alle u. s. w. u. s. w. im Munde führte, so verfolgt wurde, daß sie zum that- losen Schweigen dnrch änßere Gewalt gezwungen war: nie ist die Rede- Und Preßfreiheit mehr durch brutale Gewalt erdrückt gewesen, als in jenen Zeiten, wo die republikanischen Wogen hoch gingen. Für alles Dieses hatten damals die Führer kein mißbilligendes Wort, denn es widerlegte sich schon damals die große Täuschung, der sich jene Führer der heutigen Demokratie hingeben, welche vermeinen, sie würden, wenn sie nur wollten, auch nötigenfalls das Weitergehen des Sturmes aufhalten können: sie sind wohl Herren der Bewegung lind der Kräfte, aber Knechte der Richtung, in der diese verwendet werden. Aber später hat man solche „Demonstrationen" mißbilligt, als sie wirkungslos waren, oder ihnen mit Entschiedenheit entgegengetreten wurde. Gegen das Parlament, in das einzutreten mancher Republikaner erfolglos gestrebt hatte, und gegen die von ihm zu -verwirklichende Reichsverfassung mit ihrer unangenehmen „Spitze" trat die l'urhessische Demokratie trotz der im Parlamente zum Ausdruck gekommenen an¬ gebeteten Volkssouveränetät mit Haß lind Erbitterung ans; sie bezeichnete die Freunde des Parlaments als Reactionäre. Jedermann, mit Ausnahme der De-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/423>, abgerufen am 01.09.2024.