Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.Kleine Correspondenzen. In der letzten Zeit drehte sich bei uns die politische Conversation UM die Amne¬ "Ein eingekerkerter Patriot macht der Regierung mehr Feinde, als ihr tausend Kleine Correspondenzen. In der letzten Zeit drehte sich bei uns die politische Conversation UM die Amne¬ „Ein eingekerkerter Patriot macht der Regierung mehr Feinde, als ihr tausend <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85981"/> </div> <div n="1"> <head> Kleine Correspondenzen.</head><lb/> <div n="2"> <head> </head><lb/> <p xml:id="ID_1380"> In der letzten Zeit drehte sich bei uns die politische Conversation UM die Amne¬<lb/> stie und die in Wien bei Jasper, Hügel und Nanz erschienene Broschüre von Paul<lb/> v. Somssich: „Das legitime Recht Ungarns und seines Königs."</p><lb/> <p xml:id="ID_1381" next="#ID_1382"> „Ein eingekerkerter Patriot macht der Regierung mehr Feinde, als ihr tausend<lb/> aiuucstirtc Freunde erwerben können," sagte einst der selige Vcsel^nyi zu seinen Freun¬<lb/> den. Wir sehen jetzt, daß der blinde Mann besser sah als Mancher mit zwei Angen<lb/> und einer Brille. Die Zeiten sind vorüber, wo man durch Kerker und Bande von<lb/> einer politischen Ueberzeugung abgeleitet ward. Der politische Verbrecher weiß es sehr<lb/> wohl, daß im Falle die Sache, für welche er leidet, gesiegt hätte, ganz andere Leute<lb/> an seiner Stelle gesessen wären. Die Freiheit ist für einen Eingekerkerten stets das<lb/> einzige Gut, nach welchem seine dürstende Seele lechzt, und im Augenblick der Befreiung<lb/> fühlt er sich von Dank erfüllt gegen den, der ihm dieses Gut wiedergibt, ohne zu be¬<lb/> denken, daß ebenderselbe es ihm Stüber genommen, und wie er es ihm genommen hat.<lb/> Doch diese Täuschung verschwindet in dem bewegten Strom der schonen freien Welt,<lb/> und die Zuschauer empfangen die Befreiten mit einem herzlichen, aber kurzen „Hoch!"<lb/> und blicken schnell wieder zurück aus die traurige Wohnung, die noch Einen ihrer Lie¬<lb/> ben umschließt. Wer die Geschichte unsers neugebautes kennt, wird hier leicht erra-<lb/> then, daß ich von Paul Nyari sprechen will. Paul Nyari ist eine alte Capacität<lb/> der vormärzlichen Liberalen in Ungarn. Zwar konnte es ihm nicht gelingen, mit seiner<lb/> kernigen, aber etwas derben Sprache neben den rosigen Worten Kossuth's und der dor¬<lb/> nigen Ironie Szentkiralyi's sich Geltung zu verschaffen, aber beide mußten ihm den<lb/> Vorzug des administrativen Talents und der männlichen Unerschütterlichkeit zugestehen.<lb/> Als Vicegespan des Pesthcr Comitats war er das anerkannte Vorbild seiner Katego¬<lb/> rie, und das Centralcomitat des Landes hatte es zum großen Theil ihm zu danken,<lb/> daß es in der letzten Zeit für die übrigen ki-I tonangebend wurde. Als Politiker be¬<lb/> sitzt Nyari nur wenig Bildung, aber seine gesunde Vernunft und sein gerader, offener<lb/> Sinn lassen ihn immer das Rechte finden, und er bildete auch während des Pesthcr und<lb/> Dcbrccziner Reichstags, obwohl er bei Eröffnung des erstem mit Madarüß, Tcleki, Pa-<lb/> tay und Pcscrel zur Linken Platz nahm und dem Ministerium Batthyani stark oppo-<lb/> nirte, eine ganz eigene Partei, nämlich die Partei der Energie und des raschen Han¬<lb/> delns, um die Märzgcsetze dem Lande zu erhalten — aber nicht weiter. Als Mitglied<lb/> des Landcsverthcidiguugsausschusscs übernahm Niyari die Montur- und Verpflcgungs-<lb/> commission, und that hierin der nationalen Sache großen Nutzen. Als am 13. April<lb/> in Debreczin in einer geheimen Sitzung die Unabhängigkeitscrklärung berathen wurde,<lb/> sprach er offen dagegen;' nach dem Il. April kehrte er wieder als einfacher Vicegespan<lb/> in sein Comitat zurück und betheiligte sich nicht mehr an der Kossuth'sehen Regierung.<lb/> Um Buda-Pesth hat sich Nyari große Verdienste erworben, denn in den Märztagen, wo<lb/> die Männer, die Ungarns Schicksale leiten sollten, noch alle in Preßburg tagten, und<lb/> die Kopflosigkeit der Bnda-Passer Localbcamtcn der freihcitsbcrauschtcn Jugend freien<lb/> Spielraum gewährte, ergriff er das lose Steuerruder der Hauptstadt und besänftigte<lb/> wie Neptun mit seinem Dreizack die brausenden Wogen. Sic werden aus dieser ge¬<lb/> drängten Schilderung ersehen, wie es kommen mußte, daß sich Nyari im ungarischen<lb/> Vaterlande, und besonders in dem Comitate und der Stadt Pesth eine außerordentliche<lb/> Popularität erwarb; und nun sind an 300 politische Verbrecher, und unter diesen solche,<lb/> die sich der Uuabhängigkeitscrkläruug nicht nur nicht widersetzten, sondern sogar dafür<lb/> stimmten, amnestirt worden, und Nyari, der in den Märztagen für die Ruhe und Orb-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
Kleine Correspondenzen.
In der letzten Zeit drehte sich bei uns die politische Conversation UM die Amne¬
stie und die in Wien bei Jasper, Hügel und Nanz erschienene Broschüre von Paul
v. Somssich: „Das legitime Recht Ungarns und seines Königs."
„Ein eingekerkerter Patriot macht der Regierung mehr Feinde, als ihr tausend
aiuucstirtc Freunde erwerben können," sagte einst der selige Vcsel^nyi zu seinen Freun¬
den. Wir sehen jetzt, daß der blinde Mann besser sah als Mancher mit zwei Angen
und einer Brille. Die Zeiten sind vorüber, wo man durch Kerker und Bande von
einer politischen Ueberzeugung abgeleitet ward. Der politische Verbrecher weiß es sehr
wohl, daß im Falle die Sache, für welche er leidet, gesiegt hätte, ganz andere Leute
an seiner Stelle gesessen wären. Die Freiheit ist für einen Eingekerkerten stets das
einzige Gut, nach welchem seine dürstende Seele lechzt, und im Augenblick der Befreiung
fühlt er sich von Dank erfüllt gegen den, der ihm dieses Gut wiedergibt, ohne zu be¬
denken, daß ebenderselbe es ihm Stüber genommen, und wie er es ihm genommen hat.
Doch diese Täuschung verschwindet in dem bewegten Strom der schonen freien Welt,
und die Zuschauer empfangen die Befreiten mit einem herzlichen, aber kurzen „Hoch!"
und blicken schnell wieder zurück aus die traurige Wohnung, die noch Einen ihrer Lie¬
ben umschließt. Wer die Geschichte unsers neugebautes kennt, wird hier leicht erra-
then, daß ich von Paul Nyari sprechen will. Paul Nyari ist eine alte Capacität
der vormärzlichen Liberalen in Ungarn. Zwar konnte es ihm nicht gelingen, mit seiner
kernigen, aber etwas derben Sprache neben den rosigen Worten Kossuth's und der dor¬
nigen Ironie Szentkiralyi's sich Geltung zu verschaffen, aber beide mußten ihm den
Vorzug des administrativen Talents und der männlichen Unerschütterlichkeit zugestehen.
Als Vicegespan des Pesthcr Comitats war er das anerkannte Vorbild seiner Katego¬
rie, und das Centralcomitat des Landes hatte es zum großen Theil ihm zu danken,
daß es in der letzten Zeit für die übrigen ki-I tonangebend wurde. Als Politiker be¬
sitzt Nyari nur wenig Bildung, aber seine gesunde Vernunft und sein gerader, offener
Sinn lassen ihn immer das Rechte finden, und er bildete auch während des Pesthcr und
Dcbrccziner Reichstags, obwohl er bei Eröffnung des erstem mit Madarüß, Tcleki, Pa-
tay und Pcscrel zur Linken Platz nahm und dem Ministerium Batthyani stark oppo-
nirte, eine ganz eigene Partei, nämlich die Partei der Energie und des raschen Han¬
delns, um die Märzgcsetze dem Lande zu erhalten — aber nicht weiter. Als Mitglied
des Landcsverthcidiguugsausschusscs übernahm Niyari die Montur- und Verpflcgungs-
commission, und that hierin der nationalen Sache großen Nutzen. Als am 13. April
in Debreczin in einer geheimen Sitzung die Unabhängigkeitscrklärung berathen wurde,
sprach er offen dagegen;' nach dem Il. April kehrte er wieder als einfacher Vicegespan
in sein Comitat zurück und betheiligte sich nicht mehr an der Kossuth'sehen Regierung.
Um Buda-Pesth hat sich Nyari große Verdienste erworben, denn in den Märztagen, wo
die Männer, die Ungarns Schicksale leiten sollten, noch alle in Preßburg tagten, und
die Kopflosigkeit der Bnda-Passer Localbcamtcn der freihcitsbcrauschtcn Jugend freien
Spielraum gewährte, ergriff er das lose Steuerruder der Hauptstadt und besänftigte
wie Neptun mit seinem Dreizack die brausenden Wogen. Sic werden aus dieser ge¬
drängten Schilderung ersehen, wie es kommen mußte, daß sich Nyari im ungarischen
Vaterlande, und besonders in dem Comitate und der Stadt Pesth eine außerordentliche
Popularität erwarb; und nun sind an 300 politische Verbrecher, und unter diesen solche,
die sich der Uuabhängigkeitscrkläruug nicht nur nicht widersetzten, sondern sogar dafür
stimmten, amnestirt worden, und Nyari, der in den Märztagen für die Ruhe und Orb-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |