Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

klarer man ihn schildert. Es ist der popularisirte Ruh Blas, gerade so un¬
möglich und so verschroben als sein Vorbild. In den Mysterien des Volks
hat dieser Götze seine Hülle abgeworfen; theils freilich ans Spekulation, weil der
Socialismus gerade gut geht, theils aber durch einen innern, sehr erklärlichen
Proceß. So sehen wir unsern Eugen Sue, der früher für die Aristokratie
schwärmte, und den philisterhaften Bourgeois gering schätzte, der auf die herzlose
Aufklärung schmähte, und sich nach dem Glauben seiner Väter zurück sehnte, mit
Felix Pyat und Emile Girardin in den vordersten Reihen der rothen Republik,
unter den Propheten der Zukunft. Er hat uun eine Antwort gefunden für die
Frage, die ihn seither zu Lästerungen gegen den Himmel verführte, die Frage,
warum der Weltlauf mit der Tugend in Widerspruch stehe? -- Die Selbstsucht
ist der Grund, legt sie unter die Guillotine, so hält die Menschheit bei rother
bengalischer Beleuchtung ein allgemeines lucullisches Mahl. -- Nicht als ob er
wünschte, daß diese schöne Zeit sobald kommen möchte; denn abgesehen davon,
daß man ihn alsdann hängen würde, wegen seiner galvnirten Bedienten, seines
goldenen Geschirrs und seiner aristokratischen Gewächshäuser, so wäre mit dieser
Erfüllung der Verheißung auch das aufgehoben, was seine Lebenslust ist:
Die Poesie des Contrastes.




Englische Schriften über den Orient.



Washington Irving steht bekanntlich unter den wenigen amerikanischen Schrift¬
stellern, die in England populär sind, oben an; die britische Literatur zählt ihn
sogar mit Vorliebe zu deu Ihrigen. Die Republik der Vereinigten Staaten aber,
nicht unempfänglich für die Ehre, die Irving seinem Vaterlande macht, und be¬
gierig zu zeigen, daß sie den Genius zu würdige" weiß, auch wenn er nicht
"calculirt" und Dollars producirt, belehnte ihn vor Jahren scholl mit dem
Gcsandtenposten in Madrid, einer anständigen und angenehmen Sinekure. Die
"Eroberung von Granada" lind die Schilderung der "Alhambra", die durch ein-
geflochtenc, glücklich charakteristische Novellen lebendigen Reiz erhält, zeigen voll
Irving's langjährigem lind fruchtbarem Studium spanischen Lebens. Jetzt verfiel
der geistvolle lind humoristische Sittenmaler auf den umfassenden Plan, in einer
Reihe von Büchern die Zeiten lind den Einfluß der maurischen Herrschaft in
Spanien zu schildern. Zu diesem Zweck ging er weit zurück in's Morgenland des
siebenten Jahrhunderts und begann damit, den Propheten Allah's, den Gründer
jener Herrschaft, deren Stündlein in Europa bald zu schlagen scheint, in Lebens¬
größe und in voller Farbenpracht aufs Papier zu werfen. "Das Leben Mohamed's


klarer man ihn schildert. Es ist der popularisirte Ruh Blas, gerade so un¬
möglich und so verschroben als sein Vorbild. In den Mysterien des Volks
hat dieser Götze seine Hülle abgeworfen; theils freilich ans Spekulation, weil der
Socialismus gerade gut geht, theils aber durch einen innern, sehr erklärlichen
Proceß. So sehen wir unsern Eugen Sue, der früher für die Aristokratie
schwärmte, und den philisterhaften Bourgeois gering schätzte, der auf die herzlose
Aufklärung schmähte, und sich nach dem Glauben seiner Väter zurück sehnte, mit
Felix Pyat und Emile Girardin in den vordersten Reihen der rothen Republik,
unter den Propheten der Zukunft. Er hat uun eine Antwort gefunden für die
Frage, die ihn seither zu Lästerungen gegen den Himmel verführte, die Frage,
warum der Weltlauf mit der Tugend in Widerspruch stehe? — Die Selbstsucht
ist der Grund, legt sie unter die Guillotine, so hält die Menschheit bei rother
bengalischer Beleuchtung ein allgemeines lucullisches Mahl. — Nicht als ob er
wünschte, daß diese schöne Zeit sobald kommen möchte; denn abgesehen davon,
daß man ihn alsdann hängen würde, wegen seiner galvnirten Bedienten, seines
goldenen Geschirrs und seiner aristokratischen Gewächshäuser, so wäre mit dieser
Erfüllung der Verheißung auch das aufgehoben, was seine Lebenslust ist:
Die Poesie des Contrastes.




Englische Schriften über den Orient.



Washington Irving steht bekanntlich unter den wenigen amerikanischen Schrift¬
stellern, die in England populär sind, oben an; die britische Literatur zählt ihn
sogar mit Vorliebe zu deu Ihrigen. Die Republik der Vereinigten Staaten aber,
nicht unempfänglich für die Ehre, die Irving seinem Vaterlande macht, und be¬
gierig zu zeigen, daß sie den Genius zu würdige» weiß, auch wenn er nicht
„calculirt" und Dollars producirt, belehnte ihn vor Jahren scholl mit dem
Gcsandtenposten in Madrid, einer anständigen und angenehmen Sinekure. Die
„Eroberung von Granada" lind die Schilderung der „Alhambra", die durch ein-
geflochtenc, glücklich charakteristische Novellen lebendigen Reiz erhält, zeigen voll
Irving's langjährigem lind fruchtbarem Studium spanischen Lebens. Jetzt verfiel
der geistvolle lind humoristische Sittenmaler auf den umfassenden Plan, in einer
Reihe von Büchern die Zeiten lind den Einfluß der maurischen Herrschaft in
Spanien zu schildern. Zu diesem Zweck ging er weit zurück in's Morgenland des
siebenten Jahrhunderts und begann damit, den Propheten Allah's, den Gründer
jener Herrschaft, deren Stündlein in Europa bald zu schlagen scheint, in Lebens¬
größe und in voller Farbenpracht aufs Papier zu werfen. „Das Leben Mohamed's


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185434"/>
          <p xml:id="ID_275" prev="#ID_274"> klarer man ihn schildert. Es ist der popularisirte Ruh Blas, gerade so un¬<lb/>
möglich und so verschroben als sein Vorbild. In den Mysterien des Volks<lb/>
hat dieser Götze seine Hülle abgeworfen; theils freilich ans Spekulation, weil der<lb/>
Socialismus gerade gut geht, theils aber durch einen innern, sehr erklärlichen<lb/>
Proceß. So sehen wir unsern Eugen Sue, der früher für die Aristokratie<lb/>
schwärmte, und den philisterhaften Bourgeois gering schätzte, der auf die herzlose<lb/>
Aufklärung schmähte, und sich nach dem Glauben seiner Väter zurück sehnte, mit<lb/>
Felix Pyat und Emile Girardin in den vordersten Reihen der rothen Republik,<lb/>
unter den Propheten der Zukunft. Er hat uun eine Antwort gefunden für die<lb/>
Frage, die ihn seither zu Lästerungen gegen den Himmel verführte, die Frage,<lb/>
warum der Weltlauf mit der Tugend in Widerspruch stehe? &#x2014; Die Selbstsucht<lb/>
ist der Grund, legt sie unter die Guillotine, so hält die Menschheit bei rother<lb/>
bengalischer Beleuchtung ein allgemeines lucullisches Mahl. &#x2014; Nicht als ob er<lb/>
wünschte, daß diese schöne Zeit sobald kommen möchte; denn abgesehen davon,<lb/>
daß man ihn alsdann hängen würde, wegen seiner galvnirten Bedienten, seines<lb/>
goldenen Geschirrs und seiner aristokratischen Gewächshäuser, so wäre mit dieser<lb/>
Erfüllung der Verheißung auch das aufgehoben, was seine Lebenslust ist:<lb/>
Die Poesie des Contrastes.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Englische Schriften über den Orient.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_276" next="#ID_277"> Washington Irving steht bekanntlich unter den wenigen amerikanischen Schrift¬<lb/>
stellern, die in England populär sind, oben an; die britische Literatur zählt ihn<lb/>
sogar mit Vorliebe zu deu Ihrigen. Die Republik der Vereinigten Staaten aber,<lb/>
nicht unempfänglich für die Ehre, die Irving seinem Vaterlande macht, und be¬<lb/>
gierig zu zeigen, daß sie den Genius zu würdige» weiß, auch wenn er nicht<lb/>
&#x201E;calculirt" und Dollars producirt, belehnte ihn vor Jahren scholl mit dem<lb/>
Gcsandtenposten in Madrid, einer anständigen und angenehmen Sinekure. Die<lb/>
&#x201E;Eroberung von Granada" lind die Schilderung der &#x201E;Alhambra", die durch ein-<lb/>
geflochtenc, glücklich charakteristische Novellen lebendigen Reiz erhält, zeigen voll<lb/>
Irving's langjährigem lind fruchtbarem Studium spanischen Lebens. Jetzt verfiel<lb/>
der geistvolle lind humoristische Sittenmaler auf den umfassenden Plan, in einer<lb/>
Reihe von Büchern die Zeiten lind den Einfluß der maurischen Herrschaft in<lb/>
Spanien zu schildern. Zu diesem Zweck ging er weit zurück in's Morgenland des<lb/>
siebenten Jahrhunderts und begann damit, den Propheten Allah's, den Gründer<lb/>
jener Herrschaft, deren Stündlein in Europa bald zu schlagen scheint, in Lebens¬<lb/>
größe und in voller Farbenpracht aufs Papier zu werfen. &#x201E;Das Leben Mohamed's</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] klarer man ihn schildert. Es ist der popularisirte Ruh Blas, gerade so un¬ möglich und so verschroben als sein Vorbild. In den Mysterien des Volks hat dieser Götze seine Hülle abgeworfen; theils freilich ans Spekulation, weil der Socialismus gerade gut geht, theils aber durch einen innern, sehr erklärlichen Proceß. So sehen wir unsern Eugen Sue, der früher für die Aristokratie schwärmte, und den philisterhaften Bourgeois gering schätzte, der auf die herzlose Aufklärung schmähte, und sich nach dem Glauben seiner Väter zurück sehnte, mit Felix Pyat und Emile Girardin in den vordersten Reihen der rothen Republik, unter den Propheten der Zukunft. Er hat uun eine Antwort gefunden für die Frage, die ihn seither zu Lästerungen gegen den Himmel verführte, die Frage, warum der Weltlauf mit der Tugend in Widerspruch stehe? — Die Selbstsucht ist der Grund, legt sie unter die Guillotine, so hält die Menschheit bei rother bengalischer Beleuchtung ein allgemeines lucullisches Mahl. — Nicht als ob er wünschte, daß diese schöne Zeit sobald kommen möchte; denn abgesehen davon, daß man ihn alsdann hängen würde, wegen seiner galvnirten Bedienten, seines goldenen Geschirrs und seiner aristokratischen Gewächshäuser, so wäre mit dieser Erfüllung der Verheißung auch das aufgehoben, was seine Lebenslust ist: Die Poesie des Contrastes. Englische Schriften über den Orient. Washington Irving steht bekanntlich unter den wenigen amerikanischen Schrift¬ stellern, die in England populär sind, oben an; die britische Literatur zählt ihn sogar mit Vorliebe zu deu Ihrigen. Die Republik der Vereinigten Staaten aber, nicht unempfänglich für die Ehre, die Irving seinem Vaterlande macht, und be¬ gierig zu zeigen, daß sie den Genius zu würdige» weiß, auch wenn er nicht „calculirt" und Dollars producirt, belehnte ihn vor Jahren scholl mit dem Gcsandtenposten in Madrid, einer anständigen und angenehmen Sinekure. Die „Eroberung von Granada" lind die Schilderung der „Alhambra", die durch ein- geflochtenc, glücklich charakteristische Novellen lebendigen Reiz erhält, zeigen voll Irving's langjährigem lind fruchtbarem Studium spanischen Lebens. Jetzt verfiel der geistvolle lind humoristische Sittenmaler auf den umfassenden Plan, in einer Reihe von Büchern die Zeiten lind den Einfluß der maurischen Herrschaft in Spanien zu schildern. Zu diesem Zweck ging er weit zurück in's Morgenland des siebenten Jahrhunderts und begann damit, den Propheten Allah's, den Gründer jener Herrschaft, deren Stündlein in Europa bald zu schlagen scheint, in Lebens¬ größe und in voller Farbenpracht aufs Papier zu werfen. „Das Leben Mohamed's

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/98>, abgerufen am 29.06.2024.