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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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war es anders beschriebe". Kaum hatten wir Pesth verlassen, und das Unwetter zog
sich von allen Enden über Ungarn zusammen; im Süden nahm der Naitzeulrieg
einen grauenhaften Charakter an; Jellachich ging über die Donau; in Sieben¬
bürgen, wütheten die Walachen und Hurbau hauste in dem nordwestlichen Theile
des Neutraer Comitatö; durch ganz Ungarn ertönte der Weheruf Kossuth's: "Das
Vaterland ist in Gefahr!" -- Unter diesen Nuspicien kam ich in der Slovakei,
meiner Heimath, an.


2. Die S lovaken.

In dein ganzen völkerreichen Ungarn ist kaum eine Gegend, wo die ver¬
schiedensten Stämme, Sprachen, Religionen, Sitten und Trachten auf kleinem
Raume so zusammengedrängt sind, als in der Neutraer und Preßburger Gespann¬
schaft. Der slavische Stamm der Slovaken ist der zahlreichste, aber eS finden sich
anch Deutsche, zunächst in den Städten, und in dein nordöstlichen Theile der Neutra
und in dein südwestlichen Theile der Preßburger Gcspaunschaft zahlreiche rein
deutsche Ortschaften. Die südlichen Theile beider Gcspannschaften haben rein ma¬
gyarische Bevölkerung. Die Juden wohnen hier in zahlreichen, großen Gemein¬
den wie Preßburg, Neutra, Waguenstädtl, Verb" u. a. in. und zerstreut in fast
allen Dörfern; in den. Städten sitzen auch viele raitzischc Kaufleute, und die ge¬
bräunten Söhne des Ostens, die Zigeuner, haben den meisten Ortschaften ihre
Hütten angebaut. Die katholische und die lutherisch-protestantische Confesston
halten einander ziemlich die Wage. Zur erstern bekennen sich in diesen Comitaten
fast alle Magyaren und die eine Hälfte der Slovaken, zur letztem die Mehr¬
heit der Deutschen und die andere Hälfte der Slaven. Die Nachen, griechische
Katholiken, haben nur eine Kirche in Tyrnan, die Juden beten in ihren 100 Sy¬
nagogen meist nach dem alten Ritus, und auch die Schüler Calvin's findet man
in einigen magyarischen Gemeinden in der südlichen Spitze der Schütt. -- Noch
größer ist hier die Verschiedenheit der Trachten. Die Slovakei ist wie ein MaS-
leusaal, in welchen alle Schneider Europas ihre Erfindungen geschickt haben.
Der Magyar kleidet sich hier, wie im ganzen Ungarn durchaus gleich; wenigstens
si"d die Abweichungen nur gering. Der niedrige Kngelhnt mit dem breiten
Rande schützt ihn gegen die Strahlen der südlichen Sonne, wie gegen Schnee
l"it Regen des Winters. Der Lammpelz, sein dürmr^ Janin, begleitet ihn auf
seineu kleinen Reisen; der bournusartige mit bmitgeftickten Blumen verzierte
Ueberwurf aus weißem Tuche, s^ilr, bildet seinen Haus- und Galarvck; um seinen
Nacken schlingt sich eine schmale, schwarz seidene Binde, deren Schleifen in Gold¬
oder Seidenfransen endigen und bis zur Herzgrube herabhängen; die Brust ist
in eine geschnürte, mit silbernen oder zinnernen Knöpfen geschlossene Weste gesperrt,


"eines emliel', Edelmann, vollkommen abspiegelten, so wurden sie in alten Volksstücken,
humoristischen Gedichten und Novellen als national-komische Figuren aufgeführt. In der
letztem Zeit verstand die schnellfüßige Jugend unter lülilsliirü einen politische" Pedanten.

war es anders beschriebe». Kaum hatten wir Pesth verlassen, und das Unwetter zog
sich von allen Enden über Ungarn zusammen; im Süden nahm der Naitzeulrieg
einen grauenhaften Charakter an; Jellachich ging über die Donau; in Sieben¬
bürgen, wütheten die Walachen und Hurbau hauste in dem nordwestlichen Theile
des Neutraer Comitatö; durch ganz Ungarn ertönte der Weheruf Kossuth's: „Das
Vaterland ist in Gefahr!" — Unter diesen Nuspicien kam ich in der Slovakei,
meiner Heimath, an.


2. Die S lovaken.

In dein ganzen völkerreichen Ungarn ist kaum eine Gegend, wo die ver¬
schiedensten Stämme, Sprachen, Religionen, Sitten und Trachten auf kleinem
Raume so zusammengedrängt sind, als in der Neutraer und Preßburger Gespann¬
schaft. Der slavische Stamm der Slovaken ist der zahlreichste, aber eS finden sich
anch Deutsche, zunächst in den Städten, und in dein nordöstlichen Theile der Neutra
und in dein südwestlichen Theile der Preßburger Gcspaunschaft zahlreiche rein
deutsche Ortschaften. Die südlichen Theile beider Gcspannschaften haben rein ma¬
gyarische Bevölkerung. Die Juden wohnen hier in zahlreichen, großen Gemein¬
den wie Preßburg, Neutra, Waguenstädtl, Verb« u. a. in. und zerstreut in fast
allen Dörfern; in den. Städten sitzen auch viele raitzischc Kaufleute, und die ge¬
bräunten Söhne des Ostens, die Zigeuner, haben den meisten Ortschaften ihre
Hütten angebaut. Die katholische und die lutherisch-protestantische Confesston
halten einander ziemlich die Wage. Zur erstern bekennen sich in diesen Comitaten
fast alle Magyaren und die eine Hälfte der Slovaken, zur letztem die Mehr¬
heit der Deutschen und die andere Hälfte der Slaven. Die Nachen, griechische
Katholiken, haben nur eine Kirche in Tyrnan, die Juden beten in ihren 100 Sy¬
nagogen meist nach dem alten Ritus, und auch die Schüler Calvin's findet man
in einigen magyarischen Gemeinden in der südlichen Spitze der Schütt. — Noch
größer ist hier die Verschiedenheit der Trachten. Die Slovakei ist wie ein MaS-
leusaal, in welchen alle Schneider Europas ihre Erfindungen geschickt haben.
Der Magyar kleidet sich hier, wie im ganzen Ungarn durchaus gleich; wenigstens
si»d die Abweichungen nur gering. Der niedrige Kngelhnt mit dem breiten
Rande schützt ihn gegen die Strahlen der südlichen Sonne, wie gegen Schnee
l»it Regen des Winters. Der Lammpelz, sein dürmr^ Janin, begleitet ihn auf
seineu kleinen Reisen; der bournusartige mit bmitgeftickten Blumen verzierte
Ueberwurf aus weißem Tuche, s^ilr, bildet seinen Haus- und Galarvck; um seinen
Nacken schlingt sich eine schmale, schwarz seidene Binde, deren Schleifen in Gold¬
oder Seidenfransen endigen und bis zur Herzgrube herabhängen; die Brust ist
in eine geschnürte, mit silbernen oder zinnernen Knöpfen geschlossene Weste gesperrt,


»eines emliel', Edelmann, vollkommen abspiegelten, so wurden sie in alten Volksstücken,
humoristischen Gedichten und Novellen als national-komische Figuren aufgeführt. In der
letztem Zeit verstand die schnellfüßige Jugend unter lülilsliirü einen politische» Pedanten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/66>, abgerufen am 29.06.2024.