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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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freie Wirksamkeit dauernd zu sichern, muß das Ziel der gemeinsamen Völkeroppo-
sttivu sein.

"Völker Oestreichs! Verlangt einstimmig den Reichstag, und er.wird euch wer¬
den. Eutzweiet euch nicht um der Sprache willen, damit Oestreichs Neubau nicht
ein Thurmbau Babel werde. Die Sprache der Freiheit und Humanität verstehen
alle Völker, und wer von dem echten Gottesgeiste der Freiheit beseelt ist, vermag
auch ohne Wunder in allen Zungen zu reden. Aengstiget euch bei den Wahlen
für den Reichstag nicht dnrch die Sorge, ob diese oder jene Nationalität die Mehr¬
heit bilden würde. Wählet nur so, daß die Partei der Freiheit die
Majorität habe, dann wird mit der allgemeinen auch die Freiheit
jeder Nationalität gesichert sein!"




Bilder und Scenen ans dein Slovakenland.
1. Einleitung.

Es war im Sommer 1848. Dem Rausch der Märztage war in Pesth die
nüchterne Regelmäßigkeit des Geschäftslebens gefolgt; das erste "unabhängige"
Ministerium Ungarns hielt bereits seit einigen Monaten die Zügel in der Hand,
wiegte sich noch aus dem elastischen Kissen der Loyalität und arbeitete an der fried¬
lichen Neugestaltung des Ungarlandes. Der Reichstag beschäftigte sich mit schonen
Organisationsplänen; und Pesth selbst hatte das Aussehen einer wohlbeleibten,
ziemlich friedlichen Königsstadt: nur ein Element tobte uoch in dem großen still¬
stehenden See, die studirende Jugend. -- Das Beispiel der Wiener Uria, und
das Bewußtsein, am 15. März wirklich keine Revolution gemacht zu haben, trieb
den jugendlichen Uebermuth zu Thaten um jeden Preis, vorläufig zu haarsträuben¬
den Katzenmusiken unter dem Fenster eines alten Censors oder eines verhaßten
Professors. -- Dieser Spektakel wurde natürlich den friedliebenden Bürgern der
Hauptstadt, die sich nach auslegender FreilMsschwärmerei ziemlich erschöpft fühlten,
sehr lästig, wenn sie Abends von einem Vertrauensvotum in ihre stille Behausung
zurückkehrten, das sie denk Ministerium Batthycmi im Trotz gegen die parlamen¬
tarische Opposition dargebracht hatten; und man saßte den Plan, die begeisterten
Studenten so bald als möglich ans der Hauptstadt zu entfernen. Das Ministerium
Batthyüui, friedlich wie die Bürgerschaft, ging darauf ein, und Ende Mai befahl
eine Ministerialverordnung allen Professoren, ihre Vorlesungen zweckmäßig so ein¬
zurichten, daß die Universität bis Ende Juni geschlossen werden könne. -- Das
geschah. Die im März gebildete akademische Legion wurde aufgelöst, ihre Waffen
von den Hauptleuten, meist Professoren, eingesammelt, und die Jugend -- dnrch
einen schmeichelhaften hälbofficiellen Artikel im "liossrlld Uiilapja" ermahnt, in
ihrer Heimath die Mißverständnisse im Volke durch Belehrung zu beseitigen, die


freie Wirksamkeit dauernd zu sichern, muß das Ziel der gemeinsamen Völkeroppo-
sttivu sein.

„Völker Oestreichs! Verlangt einstimmig den Reichstag, und er.wird euch wer¬
den. Eutzweiet euch nicht um der Sprache willen, damit Oestreichs Neubau nicht
ein Thurmbau Babel werde. Die Sprache der Freiheit und Humanität verstehen
alle Völker, und wer von dem echten Gottesgeiste der Freiheit beseelt ist, vermag
auch ohne Wunder in allen Zungen zu reden. Aengstiget euch bei den Wahlen
für den Reichstag nicht dnrch die Sorge, ob diese oder jene Nationalität die Mehr¬
heit bilden würde. Wählet nur so, daß die Partei der Freiheit die
Majorität habe, dann wird mit der allgemeinen auch die Freiheit
jeder Nationalität gesichert sein!"




Bilder und Scenen ans dein Slovakenland.
1. Einleitung.

Es war im Sommer 1848. Dem Rausch der Märztage war in Pesth die
nüchterne Regelmäßigkeit des Geschäftslebens gefolgt; das erste „unabhängige"
Ministerium Ungarns hielt bereits seit einigen Monaten die Zügel in der Hand,
wiegte sich noch aus dem elastischen Kissen der Loyalität und arbeitete an der fried¬
lichen Neugestaltung des Ungarlandes. Der Reichstag beschäftigte sich mit schonen
Organisationsplänen; und Pesth selbst hatte das Aussehen einer wohlbeleibten,
ziemlich friedlichen Königsstadt: nur ein Element tobte uoch in dem großen still¬
stehenden See, die studirende Jugend. — Das Beispiel der Wiener Uria, und
das Bewußtsein, am 15. März wirklich keine Revolution gemacht zu haben, trieb
den jugendlichen Uebermuth zu Thaten um jeden Preis, vorläufig zu haarsträuben¬
den Katzenmusiken unter dem Fenster eines alten Censors oder eines verhaßten
Professors. — Dieser Spektakel wurde natürlich den friedliebenden Bürgern der
Hauptstadt, die sich nach auslegender FreilMsschwärmerei ziemlich erschöpft fühlten,
sehr lästig, wenn sie Abends von einem Vertrauensvotum in ihre stille Behausung
zurückkehrten, das sie denk Ministerium Batthycmi im Trotz gegen die parlamen¬
tarische Opposition dargebracht hatten; und man saßte den Plan, die begeisterten
Studenten so bald als möglich ans der Hauptstadt zu entfernen. Das Ministerium
Batthyüui, friedlich wie die Bürgerschaft, ging darauf ein, und Ende Mai befahl
eine Ministerialverordnung allen Professoren, ihre Vorlesungen zweckmäßig so ein¬
zurichten, daß die Universität bis Ende Juni geschlossen werden könne. — Das
geschah. Die im März gebildete akademische Legion wurde aufgelöst, ihre Waffen
von den Hauptleuten, meist Professoren, eingesammelt, und die Jugend — dnrch
einen schmeichelhaften hälbofficiellen Artikel im „liossrlld Uiilapja" ermahnt, in
ihrer Heimath die Mißverständnisse im Volke durch Belehrung zu beseitigen, die


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[0064] freie Wirksamkeit dauernd zu sichern, muß das Ziel der gemeinsamen Völkeroppo- sttivu sein. „Völker Oestreichs! Verlangt einstimmig den Reichstag, und er.wird euch wer¬ den. Eutzweiet euch nicht um der Sprache willen, damit Oestreichs Neubau nicht ein Thurmbau Babel werde. Die Sprache der Freiheit und Humanität verstehen alle Völker, und wer von dem echten Gottesgeiste der Freiheit beseelt ist, vermag auch ohne Wunder in allen Zungen zu reden. Aengstiget euch bei den Wahlen für den Reichstag nicht dnrch die Sorge, ob diese oder jene Nationalität die Mehr¬ heit bilden würde. Wählet nur so, daß die Partei der Freiheit die Majorität habe, dann wird mit der allgemeinen auch die Freiheit jeder Nationalität gesichert sein!" Bilder und Scenen ans dein Slovakenland. 1. Einleitung. Es war im Sommer 1848. Dem Rausch der Märztage war in Pesth die nüchterne Regelmäßigkeit des Geschäftslebens gefolgt; das erste „unabhängige" Ministerium Ungarns hielt bereits seit einigen Monaten die Zügel in der Hand, wiegte sich noch aus dem elastischen Kissen der Loyalität und arbeitete an der fried¬ lichen Neugestaltung des Ungarlandes. Der Reichstag beschäftigte sich mit schonen Organisationsplänen; und Pesth selbst hatte das Aussehen einer wohlbeleibten, ziemlich friedlichen Königsstadt: nur ein Element tobte uoch in dem großen still¬ stehenden See, die studirende Jugend. — Das Beispiel der Wiener Uria, und das Bewußtsein, am 15. März wirklich keine Revolution gemacht zu haben, trieb den jugendlichen Uebermuth zu Thaten um jeden Preis, vorläufig zu haarsträuben¬ den Katzenmusiken unter dem Fenster eines alten Censors oder eines verhaßten Professors. — Dieser Spektakel wurde natürlich den friedliebenden Bürgern der Hauptstadt, die sich nach auslegender FreilMsschwärmerei ziemlich erschöpft fühlten, sehr lästig, wenn sie Abends von einem Vertrauensvotum in ihre stille Behausung zurückkehrten, das sie denk Ministerium Batthycmi im Trotz gegen die parlamen¬ tarische Opposition dargebracht hatten; und man saßte den Plan, die begeisterten Studenten so bald als möglich ans der Hauptstadt zu entfernen. Das Ministerium Batthyüui, friedlich wie die Bürgerschaft, ging darauf ein, und Ende Mai befahl eine Ministerialverordnung allen Professoren, ihre Vorlesungen zweckmäßig so ein¬ zurichten, daß die Universität bis Ende Juni geschlossen werden könne. — Das geschah. Die im März gebildete akademische Legion wurde aufgelöst, ihre Waffen von den Hauptleuten, meist Professoren, eingesammelt, und die Jugend — dnrch einen schmeichelhaften hälbofficiellen Artikel im „liossrlld Uiilapja" ermahnt, in ihrer Heimath die Mißverständnisse im Volke durch Belehrung zu beseitigen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/64>, abgerufen am 29.06.2024.