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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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die Thätigkeit unseres Ministeriums eine vorwaltend literarische. ES scheint, daß
man die freie Presse auch deshalb so sehr unterdrückt, damit das Ministerium in
seinen schriftstellerische!. Versuchen keine Concurrenz zu fürchten habe. Es hat,
seit es am Nuder ist, wahrhaftig eine ganze Bibliothek vou entworfenen, ver-
worfenen und neuerdings entworfenen Entwürfen herausgegeben. Ans seinen di¬
daktischen Vorträgen könnte man ein ganzes Lehrbuch der spezifisch östreichischen
Politik zusammenstellen, mit dem Motto: "Grau, theurer Freund, ist alle The¬
orie!" Dabei verfällt das Ministerium in die gewöhnliche Schriftsteller-Eitelkeit,
es ist in jede seiner Arbeiten verliebt, hält sich sür infallibel, kann keinen Tadel
vertragen, und lobt sich bei jeder Gelegenheit selbst. Ein Ministerium, wel¬
ches zur Lösung des schwierigsten Problems der praktischen Politik berufen ist,
verfällt ganz und gar in den Fehler der theoretistrenden Stubeupoiitiker, in ei¬
nen Fehler, welchen sonst die Praktiker von: hohen Ministerstuhl herab gar vor¬
nehm zu verspotten pflegen. Statt mitten im freien Leben frei zu schaffen, schließt
sich das Ministerium vom Leben ab, verschließt die Augen vor den Erscheinungen
und Bedürfnissen des Lebens, will keine andere Stimme vernehmen als die ei¬
gene und.das servile Echo derselben, schreibt und schreibt bei Tag und bei Nacht
und glaubt mit jedem Druckbogen ein Stuck Weltgeschichte gemacht zu haben.

"Dies führt uns zur Betrachtung der äußern Politik unsers provisorischen
Ministeriums.

"Der engherzig kleinliche, träg nachhinkende, mißgünstig verneinende Charakter
der äußern Politik Oestreichs ist von jeher der Gegenstand der Verachtung, des
Spottes und Hasses aller Völker gewesen. Diese kopf- und herzlose Politik ist
zunächst und besonders Schuld darau, daß sich kein östreichisches Nationalbewußt¬
sein in dem politischen Sinne entwickelte, wie es in Frankreich und England un¬
geachtet der auch dort vorhandenen provinziellen und ethnographischen Verschieden¬
heiten geschehen ist. Das Auftreten Oestreichs in der Weltpvlitik war von jeher
ein solches, daß mau sich geradezu schämen mußte, ein Oestreicher zu sein. Mit
dem Sturze Metternichs schien diese unselige Politik endlich gestürzt, allein sie
lebte unter dein Ministerium Schwarzenberg uoch unseliger wieder auf. Wie konnte
es aber anders komme", wenn ein Diplomat, deu selbst Metternich nur an unter-
geordnete Posten stellte, und der selbst da immer und überall Fiasko machte, nun
an der Spitze der äußern Angelegenheiten des Reiches steht! Die schreiendsten
Thatsachen sprechen lauter gegen diesen Münster, als ich es vermöchte, und wenn
mir auch die Posaunentöne des Weltgerichts zu Gebote stünden.

"Es gibt uur ein Mittel, der absolutistische" Centralisation des Ministeriums
siegreich entgegenzuwirken, es ist die volksrechtliche Centralisation durch
die gemeinsame Volksvertretung. Der allgemeine Reichs-, der östrei¬
chische Völkertag ist das einzige Heil für alle insgesammt und für jeden einzelnen.
Diesen Reichstag so rasch und so volkskräftig als möglich zu erhalten und seine


die Thätigkeit unseres Ministeriums eine vorwaltend literarische. ES scheint, daß
man die freie Presse auch deshalb so sehr unterdrückt, damit das Ministerium in
seinen schriftstellerische!. Versuchen keine Concurrenz zu fürchten habe. Es hat,
seit es am Nuder ist, wahrhaftig eine ganze Bibliothek vou entworfenen, ver-
worfenen und neuerdings entworfenen Entwürfen herausgegeben. Ans seinen di¬
daktischen Vorträgen könnte man ein ganzes Lehrbuch der spezifisch östreichischen
Politik zusammenstellen, mit dem Motto: „Grau, theurer Freund, ist alle The¬
orie!" Dabei verfällt das Ministerium in die gewöhnliche Schriftsteller-Eitelkeit,
es ist in jede seiner Arbeiten verliebt, hält sich sür infallibel, kann keinen Tadel
vertragen, und lobt sich bei jeder Gelegenheit selbst. Ein Ministerium, wel¬
ches zur Lösung des schwierigsten Problems der praktischen Politik berufen ist,
verfällt ganz und gar in den Fehler der theoretistrenden Stubeupoiitiker, in ei¬
nen Fehler, welchen sonst die Praktiker von: hohen Ministerstuhl herab gar vor¬
nehm zu verspotten pflegen. Statt mitten im freien Leben frei zu schaffen, schließt
sich das Ministerium vom Leben ab, verschließt die Augen vor den Erscheinungen
und Bedürfnissen des Lebens, will keine andere Stimme vernehmen als die ei¬
gene und.das servile Echo derselben, schreibt und schreibt bei Tag und bei Nacht
und glaubt mit jedem Druckbogen ein Stuck Weltgeschichte gemacht zu haben.

„Dies führt uns zur Betrachtung der äußern Politik unsers provisorischen
Ministeriums.

„Der engherzig kleinliche, träg nachhinkende, mißgünstig verneinende Charakter
der äußern Politik Oestreichs ist von jeher der Gegenstand der Verachtung, des
Spottes und Hasses aller Völker gewesen. Diese kopf- und herzlose Politik ist
zunächst und besonders Schuld darau, daß sich kein östreichisches Nationalbewußt¬
sein in dem politischen Sinne entwickelte, wie es in Frankreich und England un¬
geachtet der auch dort vorhandenen provinziellen und ethnographischen Verschieden¬
heiten geschehen ist. Das Auftreten Oestreichs in der Weltpvlitik war von jeher
ein solches, daß mau sich geradezu schämen mußte, ein Oestreicher zu sein. Mit
dem Sturze Metternichs schien diese unselige Politik endlich gestürzt, allein sie
lebte unter dein Ministerium Schwarzenberg uoch unseliger wieder auf. Wie konnte
es aber anders komme», wenn ein Diplomat, deu selbst Metternich nur an unter-
geordnete Posten stellte, und der selbst da immer und überall Fiasko machte, nun
an der Spitze der äußern Angelegenheiten des Reiches steht! Die schreiendsten
Thatsachen sprechen lauter gegen diesen Münster, als ich es vermöchte, und wenn
mir auch die Posaunentöne des Weltgerichts zu Gebote stünden.

„Es gibt uur ein Mittel, der absolutistische» Centralisation des Ministeriums
siegreich entgegenzuwirken, es ist die volksrechtliche Centralisation durch
die gemeinsame Volksvertretung. Der allgemeine Reichs-, der östrei¬
chische Völkertag ist das einzige Heil für alle insgesammt und für jeden einzelnen.
Diesen Reichstag so rasch und so volkskräftig als möglich zu erhalten und seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/63>, abgerufen am 01.07.2024.