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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Sie halten einen klciudeutscheu Wiener vermuthlich für einen weißen Sperling,
und wenn ich Ihnen die feste Versicherung gebe, daß es in den gebildetern Kreisen
Wiens von Kleindeutschen wimmelt, so geräth das Pri'illum der Grenz-
boten gewiß in ungläubiges Erstaunen, denn unir begeht im Norden das große
Unrecht, uns noch immer nach unsern Zeitungen zu beurtheilen, während man
wissen sollte, daß die Wiener Presse unter der Censur des Kriegsrechts steht. Es
gibt hier ein halb Dutzend öffentliche Meinungen, leine einzige davon spiegelt sich
in den Tageblättern aufrichtig ab. Lassen Sie mich kurze Musterung halten über
unsere grvßdeutsche Streitmacht in der Journalistik. Die Radikalen, welche täg¬
lich radikaler werden, sind großdeutsch, weil sie dadurch zur Revolution zu gelangen
träumen; in der Presse sind sie natürlich verstummt. Ein paar ehrliche Schwär¬
mer für Mitteleuropa, wie Kuranda und Schuselta, gibt es wohl, allein Kuranda'S
Ostdeutsche Post und selbst der großdeutsche Lloyd siud über deu unglücklichen
Münchener Entwurf theils in Verlegenheit, theils in Verzweiflung gerathen; sie
zwingen sich, über Erfurt zu lächeln und zu lachen, die Propaganda für das Siebzig-
millivueureich kommt ihnen nicht mehr vom Herzen und kaum ans der Feder. sind
etwa Tuvora (Oestreichische Correspondenz) oder Laudsteiuer (Oestreichische Neichözei-
tuug) oder Höslen (Austria) Vertreter der öffentlichen Meinung? ES sind Organe, die
sich das Ministerium gegeben hat, um seine Gedanken zu verbergen. Diese Herren
dienen nicht dem System, sondern den Personen des Ministeriums Schwarzenberg
und siud bereit, jedem Ministerium zu dienen. Herr Tnvora hat Beweise geliefert,
daß er im Stande wäre, denselben Kiel, der heute für Großdcntschlaud corre-
spondirt, morgen für Großrußland in Bewegung zu setzen. Ich bin mit deu
Großdcutscheu fertig. Der "Wanderer", bei Weitem die gelesenste, und die exi-
lirte "Presse", bei Weitem die beliebteste Zeitung in Oestreich, zeigen, daß die
ehrlichen und intelligenten Anhänger unserer Märzverfassnng den Bundesstaat uicht
als einen Feind Oestreichs, sondern als eine hoffnungsvolle Stütze deö östreichi¬
schen Fortschritts ansehen. Die Gesinnung dieser beiden Blätter theilt im Durch¬
schnitt Alles, was zwischen dem Wirbel des Radikalismus und dem Strudel der
Reaction hiudnrchsteueru möchte; und diese Schichte der Gesellschaft ist zahlreicher
als man wähnt, allein seit bald einem Jahre haben viele strebsame und freimüthige
Publizisten, aus Ekel über die Wiener Gegenwart die Journalistik an den Nagel
gehenkt, oder wie in der vormärzlichen Zeit sich gewöhnt, ihre Herzensergießungen
über die Grenze zu schmuggeln. Die Regierung hebe nur den Belagerungszustand
ans, und die Folge wird bald lehren, ob meine im Anfang dieser Zeilen gegebene
Versicherung übertrieben ist.


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Sie halten einen klciudeutscheu Wiener vermuthlich für einen weißen Sperling,
und wenn ich Ihnen die feste Versicherung gebe, daß es in den gebildetern Kreisen
Wiens von Kleindeutschen wimmelt, so geräth das Pri'illum der Grenz-
boten gewiß in ungläubiges Erstaunen, denn unir begeht im Norden das große
Unrecht, uns noch immer nach unsern Zeitungen zu beurtheilen, während man
wissen sollte, daß die Wiener Presse unter der Censur des Kriegsrechts steht. Es
gibt hier ein halb Dutzend öffentliche Meinungen, leine einzige davon spiegelt sich
in den Tageblättern aufrichtig ab. Lassen Sie mich kurze Musterung halten über
unsere grvßdeutsche Streitmacht in der Journalistik. Die Radikalen, welche täg¬
lich radikaler werden, sind großdeutsch, weil sie dadurch zur Revolution zu gelangen
träumen; in der Presse sind sie natürlich verstummt. Ein paar ehrliche Schwär¬
mer für Mitteleuropa, wie Kuranda und Schuselta, gibt es wohl, allein Kuranda'S
Ostdeutsche Post und selbst der großdeutsche Lloyd siud über deu unglücklichen
Münchener Entwurf theils in Verlegenheit, theils in Verzweiflung gerathen; sie
zwingen sich, über Erfurt zu lächeln und zu lachen, die Propaganda für das Siebzig-
millivueureich kommt ihnen nicht mehr vom Herzen und kaum ans der Feder. sind
etwa Tuvora (Oestreichische Correspondenz) oder Laudsteiuer (Oestreichische Neichözei-
tuug) oder Höslen (Austria) Vertreter der öffentlichen Meinung? ES sind Organe, die
sich das Ministerium gegeben hat, um seine Gedanken zu verbergen. Diese Herren
dienen nicht dem System, sondern den Personen des Ministeriums Schwarzenberg
und siud bereit, jedem Ministerium zu dienen. Herr Tnvora hat Beweise geliefert,
daß er im Stande wäre, denselben Kiel, der heute für Großdcntschlaud corre-
spondirt, morgen für Großrußland in Bewegung zu setzen. Ich bin mit deu
Großdcutscheu fertig. Der „Wanderer", bei Weitem die gelesenste, und die exi-
lirte „Presse", bei Weitem die beliebteste Zeitung in Oestreich, zeigen, daß die
ehrlichen und intelligenten Anhänger unserer Märzverfassnng den Bundesstaat uicht
als einen Feind Oestreichs, sondern als eine hoffnungsvolle Stütze deö östreichi¬
schen Fortschritts ansehen. Die Gesinnung dieser beiden Blätter theilt im Durch¬
schnitt Alles, was zwischen dem Wirbel des Radikalismus und dem Strudel der
Reaction hiudnrchsteueru möchte; und diese Schichte der Gesellschaft ist zahlreicher
als man wähnt, allein seit bald einem Jahre haben viele strebsame und freimüthige
Publizisten, aus Ekel über die Wiener Gegenwart die Journalistik an den Nagel
gehenkt, oder wie in der vormärzlichen Zeit sich gewöhnt, ihre Herzensergießungen
über die Grenze zu schmuggeln. Die Regierung hebe nur den Belagerungszustand
ans, und die Folge wird bald lehren, ob meine im Anfang dieser Zeilen gegebene
Versicherung übertrieben ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/59>, abgerufen am 03.07.2024.