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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ästhetischer Beziehung unendlich der lärmenden Demokratie jener spätern Eman-
eipationsversuche vorzuziehn, gibt sie sittlich ein wenigstens für mein Gefühl ebenso
widerwärtiges Bild.

In Berlin gehörten jene berühmten Frauen in der Regel den reichen Juden-
familien an; sie hatten, eben ihres Reichthums wegen, eine höhere und viel¬
seitigere Bildung genossen, als die Meisten ihres Geschlechts, und zogen die strebsame
Dichter-Generation abgesehen von ihrer persönlichen Schönheit, Liebenswürdigkeit
u. s. w. uoch dnrch den Reiz deö Fremdartigen, Orientalischen an. In der
Regel mit einem reichen, braven, aber prosaischen Mann verheirathet, der gute
Weine führte, einen eleganten Garten bewohnte, aber für die Finessen eines
launenhaften Herzens keine übertriebene Empfänglichkeit zeigte, coanettirten sie
mit den Schöngeistern, die in der Empfindung um so größere Virtuosen waren,
je weniger gemeine Seelen dafür ein Verständniß hatten: sahen mit einem ge¬
wissen Mitleid auf die spießbürgerliche Natur herab, an die das Schicksal sie ge¬
kettet hatte, und gewöhnien sich daran, in ihrem eignen Bilde das Ideal der
l'came incomi>ri5i; anzubeten. Eine geistige Eoqnetterie, die der sittlichen Grund¬
lage des Lebens ebenso gefährlich wird, als die sinnliche, und die, was noch
schlimmer ist, auf die Literatur zurückwirkt. Was damals empfunden, gedichtet,
geschrieben wurde, schmeckt alles nach Thee, nach raffinirten Empfindungen, nach
unreifer Bildung, nach unklaren Denken, nach einem unwahren Gefühl. Es ist
gut, daß die Zeit vorüber ist. Alle Ehrfurcht vor dem schönen Geschlecht, aber
die Befreiung des Geistes kaun nur von Männern ausgehen. -- Und das vor¬
liegende Buch kann mir dadurch gewinnen, daß es uns als eine historische Denkschrift,
uicht mehr als Evangelium gilt.




Die Walachei" in Mähren.



Kein europäischer Staat stellt sich als eine so bunte Musterkarte der ver¬
schiedensten Völkerstämme und kleiner Nationalitäten dar, wie das östreichische
Kaiserthum. Und welch eine seltsame Verästung von Stämmen und Sprachen
zeigt sich wieder in jeder einzelnen östreichischen Provinz. Nur Kroatien und das
lombardisch-venetianische Königreich haben einzig eine rationell einheitliche, unter¬
mischte Bevölkerung; gibt es doch selbst im Erzherzogthum Oestreich fünf oder
sechs Dörfer, die slavisch sprechen!

Ein eigenthümliches Gemisch verschiedener kleiner Völkerschaften bietet die
Markgrafschaft Mähren, jede von der andern scharf verschieden dnrch Charakter,
Tracht, Sitten und Gewohnheiten; wenn auch im Lande nnr zwei Hanptsprachen


ästhetischer Beziehung unendlich der lärmenden Demokratie jener spätern Eman-
eipationsversuche vorzuziehn, gibt sie sittlich ein wenigstens für mein Gefühl ebenso
widerwärtiges Bild.

In Berlin gehörten jene berühmten Frauen in der Regel den reichen Juden-
familien an; sie hatten, eben ihres Reichthums wegen, eine höhere und viel¬
seitigere Bildung genossen, als die Meisten ihres Geschlechts, und zogen die strebsame
Dichter-Generation abgesehen von ihrer persönlichen Schönheit, Liebenswürdigkeit
u. s. w. uoch dnrch den Reiz deö Fremdartigen, Orientalischen an. In der
Regel mit einem reichen, braven, aber prosaischen Mann verheirathet, der gute
Weine führte, einen eleganten Garten bewohnte, aber für die Finessen eines
launenhaften Herzens keine übertriebene Empfänglichkeit zeigte, coanettirten sie
mit den Schöngeistern, die in der Empfindung um so größere Virtuosen waren,
je weniger gemeine Seelen dafür ein Verständniß hatten: sahen mit einem ge¬
wissen Mitleid auf die spießbürgerliche Natur herab, an die das Schicksal sie ge¬
kettet hatte, und gewöhnien sich daran, in ihrem eignen Bilde das Ideal der
l'came incomi>ri5i; anzubeten. Eine geistige Eoqnetterie, die der sittlichen Grund¬
lage des Lebens ebenso gefährlich wird, als die sinnliche, und die, was noch
schlimmer ist, auf die Literatur zurückwirkt. Was damals empfunden, gedichtet,
geschrieben wurde, schmeckt alles nach Thee, nach raffinirten Empfindungen, nach
unreifer Bildung, nach unklaren Denken, nach einem unwahren Gefühl. Es ist
gut, daß die Zeit vorüber ist. Alle Ehrfurcht vor dem schönen Geschlecht, aber
die Befreiung des Geistes kaun nur von Männern ausgehen. — Und das vor¬
liegende Buch kann mir dadurch gewinnen, daß es uns als eine historische Denkschrift,
uicht mehr als Evangelium gilt.




Die Walachei» in Mähren.



Kein europäischer Staat stellt sich als eine so bunte Musterkarte der ver¬
schiedensten Völkerstämme und kleiner Nationalitäten dar, wie das östreichische
Kaiserthum. Und welch eine seltsame Verästung von Stämmen und Sprachen
zeigt sich wieder in jeder einzelnen östreichischen Provinz. Nur Kroatien und das
lombardisch-venetianische Königreich haben einzig eine rationell einheitliche, unter¬
mischte Bevölkerung; gibt es doch selbst im Erzherzogthum Oestreich fünf oder
sechs Dörfer, die slavisch sprechen!

Ein eigenthümliches Gemisch verschiedener kleiner Völkerschaften bietet die
Markgrafschaft Mähren, jede von der andern scharf verschieden dnrch Charakter,
Tracht, Sitten und Gewohnheiten; wenn auch im Lande nnr zwei Hanptsprachen


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[0503] ästhetischer Beziehung unendlich der lärmenden Demokratie jener spätern Eman- eipationsversuche vorzuziehn, gibt sie sittlich ein wenigstens für mein Gefühl ebenso widerwärtiges Bild. In Berlin gehörten jene berühmten Frauen in der Regel den reichen Juden- familien an; sie hatten, eben ihres Reichthums wegen, eine höhere und viel¬ seitigere Bildung genossen, als die Meisten ihres Geschlechts, und zogen die strebsame Dichter-Generation abgesehen von ihrer persönlichen Schönheit, Liebenswürdigkeit u. s. w. uoch dnrch den Reiz deö Fremdartigen, Orientalischen an. In der Regel mit einem reichen, braven, aber prosaischen Mann verheirathet, der gute Weine führte, einen eleganten Garten bewohnte, aber für die Finessen eines launenhaften Herzens keine übertriebene Empfänglichkeit zeigte, coanettirten sie mit den Schöngeistern, die in der Empfindung um so größere Virtuosen waren, je weniger gemeine Seelen dafür ein Verständniß hatten: sahen mit einem ge¬ wissen Mitleid auf die spießbürgerliche Natur herab, an die das Schicksal sie ge¬ kettet hatte, und gewöhnien sich daran, in ihrem eignen Bilde das Ideal der l'came incomi>ri5i; anzubeten. Eine geistige Eoqnetterie, die der sittlichen Grund¬ lage des Lebens ebenso gefährlich wird, als die sinnliche, und die, was noch schlimmer ist, auf die Literatur zurückwirkt. Was damals empfunden, gedichtet, geschrieben wurde, schmeckt alles nach Thee, nach raffinirten Empfindungen, nach unreifer Bildung, nach unklaren Denken, nach einem unwahren Gefühl. Es ist gut, daß die Zeit vorüber ist. Alle Ehrfurcht vor dem schönen Geschlecht, aber die Befreiung des Geistes kaun nur von Männern ausgehen. — Und das vor¬ liegende Buch kann mir dadurch gewinnen, daß es uns als eine historische Denkschrift, uicht mehr als Evangelium gilt. Die Walachei» in Mähren. Kein europäischer Staat stellt sich als eine so bunte Musterkarte der ver¬ schiedensten Völkerstämme und kleiner Nationalitäten dar, wie das östreichische Kaiserthum. Und welch eine seltsame Verästung von Stämmen und Sprachen zeigt sich wieder in jeder einzelnen östreichischen Provinz. Nur Kroatien und das lombardisch-venetianische Königreich haben einzig eine rationell einheitliche, unter¬ mischte Bevölkerung; gibt es doch selbst im Erzherzogthum Oestreich fünf oder sechs Dörfer, die slavisch sprechen! Ein eigenthümliches Gemisch verschiedener kleiner Völkerschaften bietet die Markgrafschaft Mähren, jede von der andern scharf verschieden dnrch Charakter, Tracht, Sitten und Gewohnheiten; wenn auch im Lande nnr zwei Hanptsprachen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/503>, abgerufen am 29.06.2024.