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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ein hier uaturalisirter Norweger. Wer sollte es glauben, daß selbst unter solchem
Kernvolk eine Beamtenkaste möglich war, die das Laster der "falschen deutschen
Treue" am hellen Tageslicht trieb: jener Treue, die deu Staat mit der Person
des Staatsoberhaupts verwechselt; die statt Diener des Staats, Bediente des
Fürsten erzeugt.

Erst als mit dem Erscheinen des offenen Briefes das Maß voll geworden
war, verschwand vor dem lauten Unwillen des Volkes diese Clique wie Spreu
vor dem Winde, und in den Herzogthümern ereigneten sich Demonstrationen, wie
sie in keinem deutschen Lande erhört worden sind. Damals gingen Packete voll
dänischer Orden nach Kopenhagen zurück; nicht ein Danebrog blieb in Holstein.
Der hiesige Maler Murat sandte sogar den dreijährigen Betrag seines zum
Aufeuthalt in Rom erhaltenen Stipendiums an den König zurück, mit der Erklä¬
rung, er könne Nichts von einer Regierung annehmen, die sich "in offener Revo¬
lution gegen ihr eigenes Land und dessen verfassungsmäßige Rechte befinde."
Schwerlich auch würde irgend ein deutscher Geldaristokrat seinem Fürsten die Ant¬
wort zu geben wagen, mit der Herr L. Christian VIII. bei seiner Anwesenheit in
Neustadt beehrte. Der Kriegödampfer Sr. dänischen Majestät, welche die Revo¬
lution gegen Schleswig-Holstein begonnen, lag im Hafen, zur Heimreise bereit;
nicht weit davon lagen L's Schiffe, doch keine Festflagge wehte von ihren Masten.
Die dänischen Offiziere kamen entrüstet an Bord der Kornschiffe und fragten,
warum sie nicht flaggten? Herr L., lautete die Antwort der Capitäns, hat es
uns verboten. -- Dann werden wir euere Festflaggen anschissen lassen. --
Sie sind nicht da, Herr L. hat sie in seiner Wohnung eingeschlossen. -- Die
Offiziere begaben sich zu Herrn L., und ersuchten ihn, die Flaggen herauszugeben.
Er wies sie jedoch ab, mit den Worten: Sagen Sie Seiner Majestät, daß ich
meine gesetzmäßige"! Pflichten als Unterthan stets erfüllt habe. Mehr thue ich
nicht. Es gibt kein Gesetz, das mir befiehlt, Huldigungen zu bringen, die mir
nicht vom Herzen kommen. -- Und dabei blieb es. -- Die Art der dänischen
Kriegführung in deu zwei letzten Jahren war nicht geeignet, einer Bewegung, die
mit solchen Symptomen begann, die Spitze abzubrechen. Doch davon das
nächste Mal.




Zehn Jahre (L84O--t8SO).



Geschichte der neuesten Zeit. Bon Robert Prutz. 1. Bd. (548 S.)
Leipzig, I. I. Weber.

Ist unsere Zeit so weit mit sich selber im Reinen, um die Rechnung abschließen
zu können? -- Ich denke nicht. Nach der kurzen Episode der Revolution, die
über uus hingezogen ist, wie ein wüster Traum, habe" wir unsere alten Bestre-
l'klugen wieder aufgenommen, ungefähr mit derselben Perspective, als vor dem


ein hier uaturalisirter Norweger. Wer sollte es glauben, daß selbst unter solchem
Kernvolk eine Beamtenkaste möglich war, die das Laster der „falschen deutschen
Treue" am hellen Tageslicht trieb: jener Treue, die deu Staat mit der Person
des Staatsoberhaupts verwechselt; die statt Diener des Staats, Bediente des
Fürsten erzeugt.

Erst als mit dem Erscheinen des offenen Briefes das Maß voll geworden
war, verschwand vor dem lauten Unwillen des Volkes diese Clique wie Spreu
vor dem Winde, und in den Herzogthümern ereigneten sich Demonstrationen, wie
sie in keinem deutschen Lande erhört worden sind. Damals gingen Packete voll
dänischer Orden nach Kopenhagen zurück; nicht ein Danebrog blieb in Holstein.
Der hiesige Maler Murat sandte sogar den dreijährigen Betrag seines zum
Aufeuthalt in Rom erhaltenen Stipendiums an den König zurück, mit der Erklä¬
rung, er könne Nichts von einer Regierung annehmen, die sich „in offener Revo¬
lution gegen ihr eigenes Land und dessen verfassungsmäßige Rechte befinde."
Schwerlich auch würde irgend ein deutscher Geldaristokrat seinem Fürsten die Ant¬
wort zu geben wagen, mit der Herr L. Christian VIII. bei seiner Anwesenheit in
Neustadt beehrte. Der Kriegödampfer Sr. dänischen Majestät, welche die Revo¬
lution gegen Schleswig-Holstein begonnen, lag im Hafen, zur Heimreise bereit;
nicht weit davon lagen L's Schiffe, doch keine Festflagge wehte von ihren Masten.
Die dänischen Offiziere kamen entrüstet an Bord der Kornschiffe und fragten,
warum sie nicht flaggten? Herr L., lautete die Antwort der Capitäns, hat es
uns verboten. — Dann werden wir euere Festflaggen anschissen lassen. —
Sie sind nicht da, Herr L. hat sie in seiner Wohnung eingeschlossen. — Die
Offiziere begaben sich zu Herrn L., und ersuchten ihn, die Flaggen herauszugeben.
Er wies sie jedoch ab, mit den Worten: Sagen Sie Seiner Majestät, daß ich
meine gesetzmäßige«! Pflichten als Unterthan stets erfüllt habe. Mehr thue ich
nicht. Es gibt kein Gesetz, das mir befiehlt, Huldigungen zu bringen, die mir
nicht vom Herzen kommen. — Und dabei blieb es. — Die Art der dänischen
Kriegführung in deu zwei letzten Jahren war nicht geeignet, einer Bewegung, die
mit solchen Symptomen begann, die Spitze abzubrechen. Doch davon das
nächste Mal.




Zehn Jahre (L84O—t8SO).



Geschichte der neuesten Zeit. Bon Robert Prutz. 1. Bd. (548 S.)
Leipzig, I. I. Weber.

Ist unsere Zeit so weit mit sich selber im Reinen, um die Rechnung abschließen
zu können? — Ich denke nicht. Nach der kurzen Episode der Revolution, die
über uus hingezogen ist, wie ein wüster Traum, habe» wir unsere alten Bestre-
l'klugen wieder aufgenommen, ungefähr mit derselben Perspective, als vor dem


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[0439] ein hier uaturalisirter Norweger. Wer sollte es glauben, daß selbst unter solchem Kernvolk eine Beamtenkaste möglich war, die das Laster der „falschen deutschen Treue" am hellen Tageslicht trieb: jener Treue, die deu Staat mit der Person des Staatsoberhaupts verwechselt; die statt Diener des Staats, Bediente des Fürsten erzeugt. Erst als mit dem Erscheinen des offenen Briefes das Maß voll geworden war, verschwand vor dem lauten Unwillen des Volkes diese Clique wie Spreu vor dem Winde, und in den Herzogthümern ereigneten sich Demonstrationen, wie sie in keinem deutschen Lande erhört worden sind. Damals gingen Packete voll dänischer Orden nach Kopenhagen zurück; nicht ein Danebrog blieb in Holstein. Der hiesige Maler Murat sandte sogar den dreijährigen Betrag seines zum Aufeuthalt in Rom erhaltenen Stipendiums an den König zurück, mit der Erklä¬ rung, er könne Nichts von einer Regierung annehmen, die sich „in offener Revo¬ lution gegen ihr eigenes Land und dessen verfassungsmäßige Rechte befinde." Schwerlich auch würde irgend ein deutscher Geldaristokrat seinem Fürsten die Ant¬ wort zu geben wagen, mit der Herr L. Christian VIII. bei seiner Anwesenheit in Neustadt beehrte. Der Kriegödampfer Sr. dänischen Majestät, welche die Revo¬ lution gegen Schleswig-Holstein begonnen, lag im Hafen, zur Heimreise bereit; nicht weit davon lagen L's Schiffe, doch keine Festflagge wehte von ihren Masten. Die dänischen Offiziere kamen entrüstet an Bord der Kornschiffe und fragten, warum sie nicht flaggten? Herr L., lautete die Antwort der Capitäns, hat es uns verboten. — Dann werden wir euere Festflaggen anschissen lassen. — Sie sind nicht da, Herr L. hat sie in seiner Wohnung eingeschlossen. — Die Offiziere begaben sich zu Herrn L., und ersuchten ihn, die Flaggen herauszugeben. Er wies sie jedoch ab, mit den Worten: Sagen Sie Seiner Majestät, daß ich meine gesetzmäßige«! Pflichten als Unterthan stets erfüllt habe. Mehr thue ich nicht. Es gibt kein Gesetz, das mir befiehlt, Huldigungen zu bringen, die mir nicht vom Herzen kommen. — Und dabei blieb es. — Die Art der dänischen Kriegführung in deu zwei letzten Jahren war nicht geeignet, einer Bewegung, die mit solchen Symptomen begann, die Spitze abzubrechen. Doch davon das nächste Mal. Zehn Jahre (L84O—t8SO). Geschichte der neuesten Zeit. Bon Robert Prutz. 1. Bd. (548 S.) Leipzig, I. I. Weber. Ist unsere Zeit so weit mit sich selber im Reinen, um die Rechnung abschließen zu können? — Ich denke nicht. Nach der kurzen Episode der Revolution, die über uus hingezogen ist, wie ein wüster Traum, habe» wir unsere alten Bestre- l'klugen wieder aufgenommen, ungefähr mit derselben Perspective, als vor dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/439>, abgerufen am 29.06.2024.