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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Ans Holstein.

Täglich in aller Früh donnert Vor meinen: Fenster ein hundertstimmiges Chor-
ge schrei: "Guten Morgen, Hauptmann!" Es ist der übliche Gruß, mit dem die
Soldaten beim Beginn der Waffenübung den Commandirenden empfangen. Ueberall,
wo es einen zwanzig Fuß breiten Raum gibt, dauert daun das Exerciren bis in
die späte Dämmerung, und es versteht sich von selbst, daß die drei- bis acht¬
jährigen Holsteiner, die in weiß-roth-blauen Strümpfen über den Markt lausen,
lustig nachexerciren; auch singen nud stammeln sie selten was Anderes als:
"Schles-wig Hodl-taiu-tahmverwandt!" Ein paar Commis ans Lübeck und Ham¬
burg sind die einzigen jungen Leute, die Civil tragen, überschwenglich aber ist
hier der Kindersegen, vor manchen Thüren liegt er wie Fischroggen in .Klumpen
beisammen; wohl gemerkt, lauter gut eheliche legitime Erdenbürger. Der nationale
Aufschwung des Landes freilich droht mit einer socialen Revolution. Vor dem März
wucherten Tugend und Familiensinn selbst unter der niedern Classe so unmäßig, daß
schwächliche Mütter aus seinen Häusern diese" Mißbrauch bitter beklagten, denn es hielt
schwer eine Amme im Lande zu bekommen; die Milchmutter mußte gewöhnlich ans
dem liberalen Hamburg verschrieben werden. Der Patriotismus des Volkes und
die Liebenswürdigkeit des jungen Heeres haben endlich die laug ersehnte Errungen-
schaft "zu Stande gebracht:" es gibt jetzt auch Schleswig-holsteinische Ammen, und
mein Nachbar Klaas meint immer, ein schiefes Maul ziehend, die Erhaltung der
"freiwilligen Kinder", wie er sie nennt, auf Gemeindcnnkosten, werde ihm jährlich
einen Steuerznschlag von zehn Mark "aufsatteln." Im Sprachgebrauch übrigens
leben Tugend und Anstand der patriarchalischen Zeit nngckräukt fort; das "Mädchen"
("Dientmädchen" läßt sich keine freie Holsteinerin schelten) hat nie einen Liebhaber,
sondern stets einen "Bräutigam;" eine andere Benennung des jungen Helden, mit
dem sie Arm in Arm die Lichteffekte vou Mondschein und Seespiegel studiren
geht, würde ihren jungfräuliche" Stolz tief verletzen. Gar zu verlockend schön sind
aber auch an warmen Sommerabenden die Spaziergänge am Strande, zwischen
den jungen, üppig schaltenden Alleen, mit der Aussicht über die weite, bläulich
schillernde Rhede nach dem weißen Gestein der lud'schen und mecklenburgischen Küsten,
namentlich wenn rückwärts, an der schmalsten Stelle des Meerbusens, der Mond
über dem rothen Kirchthurmdach aufgeht und sechs, sieben schlanke Masten ver¬
silbert, die, von Raaen gekreuzt, eine Art Gartenzaun Vor dem, Eingang des früh
schlummernde" Städtchens bilden; dazu das Seufzen der Wind' im Gezweige, das
leise Plätschern der Welle" über die Strandkiesel, dau" die heinckehrenden Fischer¬
boote, mit den scharf umrissenen Schatten in der klaren Fluth und der sehnsüchtig
vorgeschwcllte" Brust des Seiteusegcls, geisterhaft still hingleitend, während weit
draußen, durch dünnen Nebelflor, halb sichtbar, wie ein gespenstisches Gerippe,


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Ans Holstein.

Täglich in aller Früh donnert Vor meinen: Fenster ein hundertstimmiges Chor-
ge schrei: „Guten Morgen, Hauptmann!" Es ist der übliche Gruß, mit dem die
Soldaten beim Beginn der Waffenübung den Commandirenden empfangen. Ueberall,
wo es einen zwanzig Fuß breiten Raum gibt, dauert daun das Exerciren bis in
die späte Dämmerung, und es versteht sich von selbst, daß die drei- bis acht¬
jährigen Holsteiner, die in weiß-roth-blauen Strümpfen über den Markt lausen,
lustig nachexerciren; auch singen nud stammeln sie selten was Anderes als:
„Schles-wig Hodl-taiu-tahmverwandt!" Ein paar Commis ans Lübeck und Ham¬
burg sind die einzigen jungen Leute, die Civil tragen, überschwenglich aber ist
hier der Kindersegen, vor manchen Thüren liegt er wie Fischroggen in .Klumpen
beisammen; wohl gemerkt, lauter gut eheliche legitime Erdenbürger. Der nationale
Aufschwung des Landes freilich droht mit einer socialen Revolution. Vor dem März
wucherten Tugend und Familiensinn selbst unter der niedern Classe so unmäßig, daß
schwächliche Mütter aus seinen Häusern diese» Mißbrauch bitter beklagten, denn es hielt
schwer eine Amme im Lande zu bekommen; die Milchmutter mußte gewöhnlich ans
dem liberalen Hamburg verschrieben werden. Der Patriotismus des Volkes und
die Liebenswürdigkeit des jungen Heeres haben endlich die laug ersehnte Errungen-
schaft „zu Stande gebracht:" es gibt jetzt auch Schleswig-holsteinische Ammen, und
mein Nachbar Klaas meint immer, ein schiefes Maul ziehend, die Erhaltung der
„freiwilligen Kinder", wie er sie nennt, auf Gemeindcnnkosten, werde ihm jährlich
einen Steuerznschlag von zehn Mark „aufsatteln." Im Sprachgebrauch übrigens
leben Tugend und Anstand der patriarchalischen Zeit nngckräukt fort; das „Mädchen"
(„Dientmädchen" läßt sich keine freie Holsteinerin schelten) hat nie einen Liebhaber,
sondern stets einen „Bräutigam;" eine andere Benennung des jungen Helden, mit
dem sie Arm in Arm die Lichteffekte vou Mondschein und Seespiegel studiren
geht, würde ihren jungfräuliche» Stolz tief verletzen. Gar zu verlockend schön sind
aber auch an warmen Sommerabenden die Spaziergänge am Strande, zwischen
den jungen, üppig schaltenden Alleen, mit der Aussicht über die weite, bläulich
schillernde Rhede nach dem weißen Gestein der lud'schen und mecklenburgischen Küsten,
namentlich wenn rückwärts, an der schmalsten Stelle des Meerbusens, der Mond
über dem rothen Kirchthurmdach aufgeht und sechs, sieben schlanke Masten ver¬
silbert, die, von Raaen gekreuzt, eine Art Gartenzaun Vor dem, Eingang des früh
schlummernde» Städtchens bilden; dazu das Seufzen der Wind' im Gezweige, das
leise Plätschern der Welle» über die Strandkiesel, dau» die heinckehrenden Fischer¬
boote, mit den scharf umrissenen Schatten in der klaren Fluth und der sehnsüchtig
vorgeschwcllte» Brust des Seiteusegcls, geisterhaft still hingleitend, während weit
draußen, durch dünnen Nebelflor, halb sichtbar, wie ein gespenstisches Gerippe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/435>, abgerufen am 29.06.2024.