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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Pavteistimmen aus Pesth.

Man hat sich sehr bald daran gewohnt, die Konstitution vom 4. März als
ein l'an. "ce-om^U, ja als eme eilropäisehe Nothwendigkeit zu betrachten, und selbst
unsere Oppositionsmänner, wie Palacki, Andriani und Konsorten, erschöpfen ihren,
Witz, um mehrere mit dieser großen Theorie übereinstimmende kleinere Theorien
auszustellen. Im Auslande betrachtet die kleindentsche Partei die Charte vom
-4. März als das sicherste Mittel, den Gott-sei-bei-uus aus Deutschland los zu
werden, während die Großdeutschcu ein huudertmiilionanniges Deutschland mit dem
sehr anziehenden Attribut von allen Wallachen, Nutheuen, Ranzen und Szerezsanern
dieser Erde erwachsen sehen, und die Cguilibristen glauben uoch immer an. ein
mächtiges Oestreich, das selbst nach der Katastrophe von Vilügvs, wenn es durch
die Centralisation seiue Kräfte gesanunelt hat, dem nordischen Freund in der
Noth die Spitze bieten kann und wird. -- Nur die Demokraten wollen kein
lebensfähiges Oestreich anerkennen, obwohl sie noch selbst uicht wissen, was an
die Stelle dieses ihres Todfeindes treten soll, und sie hier, wie überall, nur eine
negative Ansicht aufstellen können; aber ich fürchte sehr, daß die "Wühler" hier
eine richtige Prognose stellen, und daß die Diplomatie endlich zu der Ueberzeugung
gezwungen wird, daß Oestreich ohne Metternich nichts andres sei, als eine -- Nega¬
tion. Allein man mag wie immer von unserer Regierung denken, das Mitleid wird
ihr Niemand verläugnen wollen; und ich glaube schwerlich, daß die Minister Lud¬
wigs XVI. nach seiner verunglückten Flucht in einer mißlichereu Lage waren,
als unser Schwarzenberg und Bach ans ihrer HnldiguugSrcise mit dem jugend¬
liche" constitutionellen Kaiser vom 4. März !849; denn jene hatten gegen das
bis z"in Wahnsinn gesteigerte Leben einer empörten Nation anzukämpfen, und
konnten als gute Patrioten für den Bestand des Staates beruhigt sein, wenn
es ihnen auch uicht gelingen sollte, die Monarchie zu retten, diese führen ihre
Streiche gegen einen großen Leichnam, der ihnen keinen Widerstand leisten kann, aber
die Währung der zersetzten Elemente wirft von Zeit zu Zeit eine mephitische
Blase auf, die mit ihrem pestartigen Geruch deu stolzen Sieger zu tödten, und
bei dem mindesten Hinzuflnß äußerer Reagentien die Auflösung des ganzen Or¬
ganismus herbeizuführen droht.

Unsere Presse, oder besser gesagt, unsere gedruckten Zeitungen können
gewiß keiner revolutionären Schwärmerei bezüchtigt werden, und doch sind sie nach
zehn Monaten der ,, nntertb änig se-geh o rsa nöt en " Anpreisungen der Ne-
giernngsmaßregeln endlich allesammt zu dein Resultate gelangt: "So l'ann's nicht
bleiben! " --

Das bekannte Memorandum der Vierundzwanzig hat zwar zum ersten Male
diesen Verzweiflungsruf in die Welt geschickt, aber in dem Volle hat die Ueber-


Grenzbotc". II. 1850. 49
Pavteistimmen aus Pesth.

Man hat sich sehr bald daran gewohnt, die Konstitution vom 4. März als
ein l'an. »ce-om^U, ja als eme eilropäisehe Nothwendigkeit zu betrachten, und selbst
unsere Oppositionsmänner, wie Palacki, Andriani und Konsorten, erschöpfen ihren,
Witz, um mehrere mit dieser großen Theorie übereinstimmende kleinere Theorien
auszustellen. Im Auslande betrachtet die kleindentsche Partei die Charte vom
-4. März als das sicherste Mittel, den Gott-sei-bei-uus aus Deutschland los zu
werden, während die Großdeutschcu ein huudertmiilionanniges Deutschland mit dem
sehr anziehenden Attribut von allen Wallachen, Nutheuen, Ranzen und Szerezsanern
dieser Erde erwachsen sehen, und die Cguilibristen glauben uoch immer an. ein
mächtiges Oestreich, das selbst nach der Katastrophe von Vilügvs, wenn es durch
die Centralisation seiue Kräfte gesanunelt hat, dem nordischen Freund in der
Noth die Spitze bieten kann und wird. — Nur die Demokraten wollen kein
lebensfähiges Oestreich anerkennen, obwohl sie noch selbst uicht wissen, was an
die Stelle dieses ihres Todfeindes treten soll, und sie hier, wie überall, nur eine
negative Ansicht aufstellen können; aber ich fürchte sehr, daß die „Wühler" hier
eine richtige Prognose stellen, und daß die Diplomatie endlich zu der Ueberzeugung
gezwungen wird, daß Oestreich ohne Metternich nichts andres sei, als eine — Nega¬
tion. Allein man mag wie immer von unserer Regierung denken, das Mitleid wird
ihr Niemand verläugnen wollen; und ich glaube schwerlich, daß die Minister Lud¬
wigs XVI. nach seiner verunglückten Flucht in einer mißlichereu Lage waren,
als unser Schwarzenberg und Bach ans ihrer HnldiguugSrcise mit dem jugend¬
liche» constitutionellen Kaiser vom 4. März !849; denn jene hatten gegen das
bis z»in Wahnsinn gesteigerte Leben einer empörten Nation anzukämpfen, und
konnten als gute Patrioten für den Bestand des Staates beruhigt sein, wenn
es ihnen auch uicht gelingen sollte, die Monarchie zu retten, diese führen ihre
Streiche gegen einen großen Leichnam, der ihnen keinen Widerstand leisten kann, aber
die Währung der zersetzten Elemente wirft von Zeit zu Zeit eine mephitische
Blase auf, die mit ihrem pestartigen Geruch deu stolzen Sieger zu tödten, und
bei dem mindesten Hinzuflnß äußerer Reagentien die Auflösung des ganzen Or¬
ganismus herbeizuführen droht.

Unsere Presse, oder besser gesagt, unsere gedruckten Zeitungen können
gewiß keiner revolutionären Schwärmerei bezüchtigt werden, und doch sind sie nach
zehn Monaten der ,, nntertb änig se-geh o rsa nöt en " Anpreisungen der Ne-
giernngsmaßregeln endlich allesammt zu dein Resultate gelangt: „So l'ann's nicht
bleiben! " —

Das bekannte Memorandum der Vierundzwanzig hat zwar zum ersten Male
diesen Verzweiflungsruf in die Welt geschickt, aber in dem Volle hat die Ueber-


Grenzbotc». II. 1850. 49
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[0393] Pavteistimmen aus Pesth. Man hat sich sehr bald daran gewohnt, die Konstitution vom 4. März als ein l'an. »ce-om^U, ja als eme eilropäisehe Nothwendigkeit zu betrachten, und selbst unsere Oppositionsmänner, wie Palacki, Andriani und Konsorten, erschöpfen ihren, Witz, um mehrere mit dieser großen Theorie übereinstimmende kleinere Theorien auszustellen. Im Auslande betrachtet die kleindentsche Partei die Charte vom -4. März als das sicherste Mittel, den Gott-sei-bei-uus aus Deutschland los zu werden, während die Großdeutschcu ein huudertmiilionanniges Deutschland mit dem sehr anziehenden Attribut von allen Wallachen, Nutheuen, Ranzen und Szerezsanern dieser Erde erwachsen sehen, und die Cguilibristen glauben uoch immer an. ein mächtiges Oestreich, das selbst nach der Katastrophe von Vilügvs, wenn es durch die Centralisation seiue Kräfte gesanunelt hat, dem nordischen Freund in der Noth die Spitze bieten kann und wird. — Nur die Demokraten wollen kein lebensfähiges Oestreich anerkennen, obwohl sie noch selbst uicht wissen, was an die Stelle dieses ihres Todfeindes treten soll, und sie hier, wie überall, nur eine negative Ansicht aufstellen können; aber ich fürchte sehr, daß die „Wühler" hier eine richtige Prognose stellen, und daß die Diplomatie endlich zu der Ueberzeugung gezwungen wird, daß Oestreich ohne Metternich nichts andres sei, als eine — Nega¬ tion. Allein man mag wie immer von unserer Regierung denken, das Mitleid wird ihr Niemand verläugnen wollen; und ich glaube schwerlich, daß die Minister Lud¬ wigs XVI. nach seiner verunglückten Flucht in einer mißlichereu Lage waren, als unser Schwarzenberg und Bach ans ihrer HnldiguugSrcise mit dem jugend¬ liche» constitutionellen Kaiser vom 4. März !849; denn jene hatten gegen das bis z»in Wahnsinn gesteigerte Leben einer empörten Nation anzukämpfen, und konnten als gute Patrioten für den Bestand des Staates beruhigt sein, wenn es ihnen auch uicht gelingen sollte, die Monarchie zu retten, diese führen ihre Streiche gegen einen großen Leichnam, der ihnen keinen Widerstand leisten kann, aber die Währung der zersetzten Elemente wirft von Zeit zu Zeit eine mephitische Blase auf, die mit ihrem pestartigen Geruch deu stolzen Sieger zu tödten, und bei dem mindesten Hinzuflnß äußerer Reagentien die Auflösung des ganzen Or¬ ganismus herbeizuführen droht. Unsere Presse, oder besser gesagt, unsere gedruckten Zeitungen können gewiß keiner revolutionären Schwärmerei bezüchtigt werden, und doch sind sie nach zehn Monaten der ,, nntertb änig se-geh o rsa nöt en " Anpreisungen der Ne- giernngsmaßregeln endlich allesammt zu dein Resultate gelangt: „So l'ann's nicht bleiben! " — Das bekannte Memorandum der Vierundzwanzig hat zwar zum ersten Male diesen Verzweiflungsruf in die Welt geschickt, aber in dem Volle hat die Ueber- Grenzbotc». II. 1850. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/393>, abgerufen am 29.06.2024.