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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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lassen, seine Krone niederzulegen, und der nun die Intriguen seines politischen
Lebens im Kleinen fortseiet. Der Einfall, ist originell und drollig genug, obgleich
ihn der Dichter zu Tode hetzt. Ebenso glücklich ist der Gegensatz im Charakter
der beiden Söhne, Philipp II. nud Don Juan, der finstere Politiker und der
leichtsinnige Kavalier, wenigstens der Anlage nach. Das Costüm tritt nicht über¬
trieben hervor, aber doch genug, um der Intrigue eine gewisse Folie zu geben;
in der Intrigue selbst herrscht ein Uebermuth, der wohlthuend wirkt.

Ich bin weit davon entfernt, dieses Stück ein gutes zu nennen. Aber es
ist französischer Geist darin. Delavigne ist durch die Romanik zu sich selber ge¬
bracht; er hat den: Geist Voltaire's, der doch der Geist Frankreichs bleibt --
ich meine damit aber nicht das Voltaire'sche Drama -- einen Ausdruck gegeben.
Die Tyrannen und die Kaputzen im geistigen Kampf zu überwinden, dazu, hat
der Franzose nicht die Ausdauer; aber sich durch Spott, heitern, freien Lebens¬
mut!) und genialen Leichtsinn von ihnen zu befreien, das versteht er besser, als
irgend ein anderes Volk. Kiu munteres Lied gegen die Kutte, eine lustige In¬
trigue gegen den unmittelbaren Druck, das ist die Weisheit des alten Frankreich,
die kein Jesuit und kein Socialist ans längere Zeit verscheuchen wird, sie mögen
eine Amtsmiene aufziehn, jo sauer sie wollen. Schafft mir die Morgne ans den
Augen! wird der Franzose rufen, wenn ihn Montalembert und Proudhon zu
sehr langweilen.




<Ren Wort über Phrenologie.



Die Apostel der Phrenologie, einer Wissenschaft, die seit Gall'ö Zeiten
gemeinschaftlich mit der Alchymie, Astrologie und Nekromantie in Vergessenheit
gerathen war, fangen wieder an, mit großer Lebhaftigkeit ihre Rnndreisen durch
die Welt zu unternehmen. Da sie sich, wie alle Apostel, mehr an das allgemeine
Publicum wenden, als an die Männer von wissenschaftlicher Competenz, so scheint
es nicht unangemessen, dieses Publicum auf einige Gesichtspunkte aufmerksam zu
machen, auf die es wesentlich ankommt.

Um sich über die Phrenologie ein unbefangenes Urtheil zu bilden, ausi man
zweierlei sehr genau vou einander unterscheiden: das Princip dieser angeblichen
Wissenschaft nud ihre Methode.

Das Princip beruht auf der an sich ganz richtigen Ansicht, daß jeder geistigen
Thätigkeit eine materielle entsprechen muß, das; man sich den Geist nicht anders
denken kann, als in der Materie. Derjenige Theil des animalischen Körpers, in
welchem die geistige Thätigkeit wenigstens ihr Centrum findet, ist unstreitig das
Gehirn. Der Thätigkeit des Denkens wird also unzweifelhaft eine Thätigkeit
des Gehirns entsprechen, und die verschiedenen geistigen Anlagen werden ihren


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lassen, seine Krone niederzulegen, und der nun die Intriguen seines politischen
Lebens im Kleinen fortseiet. Der Einfall, ist originell und drollig genug, obgleich
ihn der Dichter zu Tode hetzt. Ebenso glücklich ist der Gegensatz im Charakter
der beiden Söhne, Philipp II. nud Don Juan, der finstere Politiker und der
leichtsinnige Kavalier, wenigstens der Anlage nach. Das Costüm tritt nicht über¬
trieben hervor, aber doch genug, um der Intrigue eine gewisse Folie zu geben;
in der Intrigue selbst herrscht ein Uebermuth, der wohlthuend wirkt.

Ich bin weit davon entfernt, dieses Stück ein gutes zu nennen. Aber es
ist französischer Geist darin. Delavigne ist durch die Romanik zu sich selber ge¬
bracht; er hat den: Geist Voltaire's, der doch der Geist Frankreichs bleibt —
ich meine damit aber nicht das Voltaire'sche Drama — einen Ausdruck gegeben.
Die Tyrannen und die Kaputzen im geistigen Kampf zu überwinden, dazu, hat
der Franzose nicht die Ausdauer; aber sich durch Spott, heitern, freien Lebens¬
mut!) und genialen Leichtsinn von ihnen zu befreien, das versteht er besser, als
irgend ein anderes Volk. Kiu munteres Lied gegen die Kutte, eine lustige In¬
trigue gegen den unmittelbaren Druck, das ist die Weisheit des alten Frankreich,
die kein Jesuit und kein Socialist ans längere Zeit verscheuchen wird, sie mögen
eine Amtsmiene aufziehn, jo sauer sie wollen. Schafft mir die Morgne ans den
Augen! wird der Franzose rufen, wenn ihn Montalembert und Proudhon zu
sehr langweilen.




<Ren Wort über Phrenologie.



Die Apostel der Phrenologie, einer Wissenschaft, die seit Gall'ö Zeiten
gemeinschaftlich mit der Alchymie, Astrologie und Nekromantie in Vergessenheit
gerathen war, fangen wieder an, mit großer Lebhaftigkeit ihre Rnndreisen durch
die Welt zu unternehmen. Da sie sich, wie alle Apostel, mehr an das allgemeine
Publicum wenden, als an die Männer von wissenschaftlicher Competenz, so scheint
es nicht unangemessen, dieses Publicum auf einige Gesichtspunkte aufmerksam zu
machen, auf die es wesentlich ankommt.

Um sich über die Phrenologie ein unbefangenes Urtheil zu bilden, ausi man
zweierlei sehr genau vou einander unterscheiden: das Princip dieser angeblichen
Wissenschaft nud ihre Methode.

Das Princip beruht auf der an sich ganz richtigen Ansicht, daß jeder geistigen
Thätigkeit eine materielle entsprechen muß, das; man sich den Geist nicht anders
denken kann, als in der Materie. Derjenige Theil des animalischen Körpers, in
welchem die geistige Thätigkeit wenigstens ihr Centrum findet, ist unstreitig das
Gehirn. Der Thätigkeit des Denkens wird also unzweifelhaft eine Thätigkeit
des Gehirns entsprechen, und die verschiedenen geistigen Anlagen werden ihren


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[0387] lassen, seine Krone niederzulegen, und der nun die Intriguen seines politischen Lebens im Kleinen fortseiet. Der Einfall, ist originell und drollig genug, obgleich ihn der Dichter zu Tode hetzt. Ebenso glücklich ist der Gegensatz im Charakter der beiden Söhne, Philipp II. nud Don Juan, der finstere Politiker und der leichtsinnige Kavalier, wenigstens der Anlage nach. Das Costüm tritt nicht über¬ trieben hervor, aber doch genug, um der Intrigue eine gewisse Folie zu geben; in der Intrigue selbst herrscht ein Uebermuth, der wohlthuend wirkt. Ich bin weit davon entfernt, dieses Stück ein gutes zu nennen. Aber es ist französischer Geist darin. Delavigne ist durch die Romanik zu sich selber ge¬ bracht; er hat den: Geist Voltaire's, der doch der Geist Frankreichs bleibt — ich meine damit aber nicht das Voltaire'sche Drama — einen Ausdruck gegeben. Die Tyrannen und die Kaputzen im geistigen Kampf zu überwinden, dazu, hat der Franzose nicht die Ausdauer; aber sich durch Spott, heitern, freien Lebens¬ mut!) und genialen Leichtsinn von ihnen zu befreien, das versteht er besser, als irgend ein anderes Volk. Kiu munteres Lied gegen die Kutte, eine lustige In¬ trigue gegen den unmittelbaren Druck, das ist die Weisheit des alten Frankreich, die kein Jesuit und kein Socialist ans längere Zeit verscheuchen wird, sie mögen eine Amtsmiene aufziehn, jo sauer sie wollen. Schafft mir die Morgne ans den Augen! wird der Franzose rufen, wenn ihn Montalembert und Proudhon zu sehr langweilen. <Ren Wort über Phrenologie. Die Apostel der Phrenologie, einer Wissenschaft, die seit Gall'ö Zeiten gemeinschaftlich mit der Alchymie, Astrologie und Nekromantie in Vergessenheit gerathen war, fangen wieder an, mit großer Lebhaftigkeit ihre Rnndreisen durch die Welt zu unternehmen. Da sie sich, wie alle Apostel, mehr an das allgemeine Publicum wenden, als an die Männer von wissenschaftlicher Competenz, so scheint es nicht unangemessen, dieses Publicum auf einige Gesichtspunkte aufmerksam zu machen, auf die es wesentlich ankommt. Um sich über die Phrenologie ein unbefangenes Urtheil zu bilden, ausi man zweierlei sehr genau vou einander unterscheiden: das Princip dieser angeblichen Wissenschaft nud ihre Methode. Das Princip beruht auf der an sich ganz richtigen Ansicht, daß jeder geistigen Thätigkeit eine materielle entsprechen muß, das; man sich den Geist nicht anders denken kann, als in der Materie. Derjenige Theil des animalischen Körpers, in welchem die geistige Thätigkeit wenigstens ihr Centrum findet, ist unstreitig das Gehirn. Der Thätigkeit des Denkens wird also unzweifelhaft eine Thätigkeit des Gehirns entsprechen, und die verschiedenen geistigen Anlagen werden ihren 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/387>, abgerufen am 29.06.2024.