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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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(z. B. das aristokratische Zucken des Dogen, als einer seiner plebejischen Mitverschwv-
renen ihn als Kannneraden begrüßt) u. s. w. geradezu entlehnt; aber er hat zu wenig
aristokratischen Hochmuth und zu wenig Bosheit, um diese eigenthümliche Cha¬
rakteranlage bis zu Ende festzuhalten. Zuletzt wird der alte Herr ganz sentimental,
und verzeiht allen Sündern. -- In seinen eignen Crfiuduugeu ist er sehr unglück¬
lich gewesen. So läßt er z. B. die (Gemahlin des Dogen, die Steno durch sein
Epigramm beschuldigt, wirklich schuldig sei", wodurch der lächerliche Anstrich des Mauzen
bis ins Unerträgliche gesteigert wird. -- Marino Fallen ist eigentlich schon der
uebertritt zur Romantik. Es ist ein Haschen nach Charakteristik, nach Darstel¬
lung von locale" Bestimmcheiteu "ud originellen Figuren, eine wechselnde Span-
nung, mehrere uiliiölhigen Episoden (;. B. das Duell Steno's init dem Neffen
des Doge"), und eine Sprache, die das officielle Pathos hin und wieder ganz
verläßt, um ins Lustspiel überzugehen.

Ludwig der Elfte hat den sonderbarsten Vorwurf von samiut-
licheil Stückell unsers Dichters. ES schildert den letzten. Todeskampf des alten
Tyrannen, der in dem Fieber einer feigen, krampfhaften Todesangst noch fortwäh-
rend Momente der Blutdurst hat, denen zu entgehe" die Aufgabe der novellistischen
Personell dieses Stückes ist. Eine Pille mehr oder iveuiger in seinem Magen,
und das Schicksal wendet sich nach einer andern Seite. Dieses pathologische
Schicksalsgeflecht laßt keine dramaiilche Spannung zu. Weil das physische Leben
des Königs ein Paar Augenblicke später endet, geht die Handlung übel ans; eine
innere Nothwendigkeit dazu ist uicht vorhanden. -- Dagegen sind einzelne Situa¬
tionen, namentlich was deu Ausdruck der Stimmung betrifft, sehr glücklich ange¬
legt, und besser als in irgend einem andern Stück unsers Dichters. --

Die Eharaktere sind schwach gehalten; der König selbst ist theils aus Queiilin
Durward, theils aus den legten Kapiteln des Eoiuiues genommen, aber ohne den
HttNior und die Feinheit, die Walter Scott auszeichnet, n"d mit so dick aufgetra¬
genen Farbe", daß die i" Commes erschütternde Erzählung zu einer Fratze wird.
-- Die beide" humoristische" Figuren, der abstracte Hosname (Commes) und der
Arzt (Collier, polternder Alter) sind "ach der Schabloiie gearbeitet, bei dem Hei¬
ligen kann man sich gar nichts denken, die beiden novellistischen Personell sind
innerlich unmöglich, so leicht sie auch skizziit sind. -- DaS Ganze ist so romantisch
als möglich, es geht in Costum und in lyrische Situationen ans. --

Jo dann von Oestreich ist ein weiterer Fortschritt zur Romantik,
aber diesmal nach einer bessern Seite hin. Seribe und Dumas sind die Vor¬
bilder. Der Alexandriner ist aufgegeben, wir haben eine frische, lebendige
Sprache, eine etwas liederliche Oekonomie, viel celtische Erfindung, leidliche
Frivolität "ut selbst einen Anflug von Humor. Karl V. in seinem Kloster ist
ans dem sentimentalen lyrischen Gespenst in eine" alten Intriguanten verwandelt,
der iii euiem A"ge"blick des Ueberdrusses sich zu dem falschen Schritt hat verleiten


(z. B. das aristokratische Zucken des Dogen, als einer seiner plebejischen Mitverschwv-
renen ihn als Kannneraden begrüßt) u. s. w. geradezu entlehnt; aber er hat zu wenig
aristokratischen Hochmuth und zu wenig Bosheit, um diese eigenthümliche Cha¬
rakteranlage bis zu Ende festzuhalten. Zuletzt wird der alte Herr ganz sentimental,
und verzeiht allen Sündern. — In seinen eignen Crfiuduugeu ist er sehr unglück¬
lich gewesen. So läßt er z. B. die (Gemahlin des Dogen, die Steno durch sein
Epigramm beschuldigt, wirklich schuldig sei», wodurch der lächerliche Anstrich des Mauzen
bis ins Unerträgliche gesteigert wird. — Marino Fallen ist eigentlich schon der
uebertritt zur Romantik. Es ist ein Haschen nach Charakteristik, nach Darstel¬
lung von locale» Bestimmcheiteu »ud originellen Figuren, eine wechselnde Span-
nung, mehrere uiliiölhigen Episoden (;. B. das Duell Steno's init dem Neffen
des Doge»), und eine Sprache, die das officielle Pathos hin und wieder ganz
verläßt, um ins Lustspiel überzugehen.

Ludwig der Elfte hat den sonderbarsten Vorwurf von samiut-
licheil Stückell unsers Dichters. ES schildert den letzten. Todeskampf des alten
Tyrannen, der in dem Fieber einer feigen, krampfhaften Todesangst noch fortwäh-
rend Momente der Blutdurst hat, denen zu entgehe» die Aufgabe der novellistischen
Personell dieses Stückes ist. Eine Pille mehr oder iveuiger in seinem Magen,
und das Schicksal wendet sich nach einer andern Seite. Dieses pathologische
Schicksalsgeflecht laßt keine dramaiilche Spannung zu. Weil das physische Leben
des Königs ein Paar Augenblicke später endet, geht die Handlung übel ans; eine
innere Nothwendigkeit dazu ist uicht vorhanden. — Dagegen sind einzelne Situa¬
tionen, namentlich was deu Ausdruck der Stimmung betrifft, sehr glücklich ange¬
legt, und besser als in irgend einem andern Stück unsers Dichters. —

Die Eharaktere sind schwach gehalten; der König selbst ist theils aus Queiilin
Durward, theils aus den legten Kapiteln des Eoiuiues genommen, aber ohne den
HttNior und die Feinheit, die Walter Scott auszeichnet, n»d mit so dick aufgetra¬
genen Farbe», daß die i» Commes erschütternde Erzählung zu einer Fratze wird.
— Die beide» humoristische» Figuren, der abstracte Hosname (Commes) und der
Arzt (Collier, polternder Alter) sind »ach der Schabloiie gearbeitet, bei dem Hei¬
ligen kann man sich gar nichts denken, die beiden novellistischen Personell sind
innerlich unmöglich, so leicht sie auch skizziit sind. — DaS Ganze ist so romantisch
als möglich, es geht in Costum und in lyrische Situationen ans. —

Jo dann von Oestreich ist ein weiterer Fortschritt zur Romantik,
aber diesmal nach einer bessern Seite hin. Seribe und Dumas sind die Vor¬
bilder. Der Alexandriner ist aufgegeben, wir haben eine frische, lebendige
Sprache, eine etwas liederliche Oekonomie, viel celtische Erfindung, leidliche
Frivolität »ut selbst einen Anflug von Humor. Karl V. in seinem Kloster ist
ans dem sentimentalen lyrischen Gespenst in eine» alten Intriguanten verwandelt,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/386>, abgerufen am 01.07.2024.