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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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heimathliche Gehend zurückgerufen wird, so bleibt er doch immer ein dankbarer
treuer Anhänger des Magyarenthums, und ist meines Wissens noch kein einziger
zum Panslavisten geworden.

Die protestantischen Gymnasien tragen zwar der Form nach denselben Typus,
unterscheiden sich aber sehr vortheilhaft von den katholischen. Auch hier sind dieselben
blassen, dieselben offiziellen Gegenstände, aber es herrscht ein anderer, mit
der Zeit mehr schritthaltender Geist in ihnen, und der Schüler hat hier wenig
leere Worte einzubüffeln, da seine Schulbücher in der Landessprache abgefaßt sind
und so viel als möglich für Realwissenschaften, als Physik, Geographie, Geometrie
u, f. w. gesorgt ist. Nur sendet hier ein anderer Uebelstand statt, daß nämlich
die Schulen nicht wie die katholischen vom Staate, sondern von den Gemeinden
oder Kirchensprengeln erhalten werden, und die Mittel gewöhnlich nicht hinreichen,
ein genügendes Lehrerpersonal anständig zu besolden. Die ersten 4 Classen werden
daher meist mit Studenten ans den Akademien nud Kollegien besetzt, und oft ge¬
wechselt, uur die Rhetorik und Poesie hat eiuen stabilen nnrklichen Professor, der
zugleich die Leitung des ganzen Instituts unter sich hat. Endlich unterscheiden
sich die protestantischen Gymnasien von den katholischen noch darin, daß in erstem
die griechische Sprache nach Muster der deutschen Institute mit Eifer gelehrt wird,
während sie in letzter" bisher ganz ausgeschlossen war; das sehnlicher ist freier,
die Disciplinarstrafen seltener, und durchaus keine körperlichen.




Kleine Correspondenz und Notizen.



A n s H o l se el u.

Mitte April kam ein Engländer nach Eckernförde und miethete ein Zimmer, im
Angesicht des Hafens, auf drei Tage. Als diese Frist verstrichen war, miethete er es
aus eine Woche, dann auf vierzehn Tage, endlich auf drei Monate. Seit seiner An¬
kunft hat man ihn keinen Fusi vor die Thüre setzen sehen, sodaß die seltsamsten Ver¬
muthungen über die Mission des Fremdlings entstanden. Die mißtrauische Neugierde
der guten Eckernförder entlud sich aber in Gelächter, als die Wirthsleute des Eng¬
länders erzählten, er sitze den lieben langen Tag mit dem Fernrohr am Fenster und
rühre sich vom ersten Morgengrauen bis in die späte Nacht nicht vom Flecke; "denn, sagte
er mit unverschämter Offenherzigkeit: Ich u-vilen sehen das Nehmen der Frugale bei
die Dames." Sein Glas ist unabändeMch auf den Hauptmast der Fregatte "Gesten"
oder "Eckernförde" gerichtet, deren Wegnahme dnrch die Dänen er mit unermüdlicher
Geduld jeden Augenblick erwartet.

Diese wahre Anekdote bildet heute das Kieler Tagesgespräch. Die Einen wün-
schen, der Sonderling möge an seinem Lngfcnstcr in Eckernförde hundert Jahre alt
werden, die Andern wünschen ihm die -- freilich nicht buchstäbliche -- Erfüllung seiner


heimathliche Gehend zurückgerufen wird, so bleibt er doch immer ein dankbarer
treuer Anhänger des Magyarenthums, und ist meines Wissens noch kein einziger
zum Panslavisten geworden.

Die protestantischen Gymnasien tragen zwar der Form nach denselben Typus,
unterscheiden sich aber sehr vortheilhaft von den katholischen. Auch hier sind dieselben
blassen, dieselben offiziellen Gegenstände, aber es herrscht ein anderer, mit
der Zeit mehr schritthaltender Geist in ihnen, und der Schüler hat hier wenig
leere Worte einzubüffeln, da seine Schulbücher in der Landessprache abgefaßt sind
und so viel als möglich für Realwissenschaften, als Physik, Geographie, Geometrie
u, f. w. gesorgt ist. Nur sendet hier ein anderer Uebelstand statt, daß nämlich
die Schulen nicht wie die katholischen vom Staate, sondern von den Gemeinden
oder Kirchensprengeln erhalten werden, und die Mittel gewöhnlich nicht hinreichen,
ein genügendes Lehrerpersonal anständig zu besolden. Die ersten 4 Classen werden
daher meist mit Studenten ans den Akademien nud Kollegien besetzt, und oft ge¬
wechselt, uur die Rhetorik und Poesie hat eiuen stabilen nnrklichen Professor, der
zugleich die Leitung des ganzen Instituts unter sich hat. Endlich unterscheiden
sich die protestantischen Gymnasien von den katholischen noch darin, daß in erstem
die griechische Sprache nach Muster der deutschen Institute mit Eifer gelehrt wird,
während sie in letzter» bisher ganz ausgeschlossen war; das sehnlicher ist freier,
die Disciplinarstrafen seltener, und durchaus keine körperlichen.




Kleine Correspondenz und Notizen.



A n s H o l se el u.

Mitte April kam ein Engländer nach Eckernförde und miethete ein Zimmer, im
Angesicht des Hafens, auf drei Tage. Als diese Frist verstrichen war, miethete er es
aus eine Woche, dann auf vierzehn Tage, endlich auf drei Monate. Seit seiner An¬
kunft hat man ihn keinen Fusi vor die Thüre setzen sehen, sodaß die seltsamsten Ver¬
muthungen über die Mission des Fremdlings entstanden. Die mißtrauische Neugierde
der guten Eckernförder entlud sich aber in Gelächter, als die Wirthsleute des Eng¬
länders erzählten, er sitze den lieben langen Tag mit dem Fernrohr am Fenster und
rühre sich vom ersten Morgengrauen bis in die späte Nacht nicht vom Flecke; „denn, sagte
er mit unverschämter Offenherzigkeit: Ich u-vilen sehen das Nehmen der Frugale bei
die Dames." Sein Glas ist unabändeMch auf den Hauptmast der Fregatte „Gesten"
oder „Eckernförde" gerichtet, deren Wegnahme dnrch die Dänen er mit unermüdlicher
Geduld jeden Augenblick erwartet.

Diese wahre Anekdote bildet heute das Kieler Tagesgespräch. Die Einen wün-
schen, der Sonderling möge an seinem Lngfcnstcr in Eckernförde hundert Jahre alt
werden, die Andern wünschen ihm die — freilich nicht buchstäbliche — Erfüllung seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/360>, abgerufen am 29.06.2024.