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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Da sprach Oedvu: "wenn die, Ugarn kommen, ziehe ich mit;" seine Braut
senkte das Haupt, und die Szeklerin, welche mit der Bowle in die Kammer trat,
sagte: "Ueberleg' Dir's reiflich, eheDn einen Entschluß fassest. Was ich davon denke,
weißt Dn im Voraus, Du kennst mich lange genug. Aber für heute Abend ruhe
die Sache. Morgen magst Du's bedenken. Morgen kommen, die Ungarn noch
nicht." -- Sie füllte die Becher, reichte sie herum und trank zuerst ans das Wohl
des fremden Magyarensührers.

Die kaiserlichen Offiziere, die in demselben Hause wohnten, ahnten nicht, daß
man so nahe neben ihnen, über den Zeitpunkt ihrer Besiegung hinaus, schon Luft¬
schlösser baute, und daß die ganze Stadt bereits die Stunden bis zum Abzüge
ihrer Bataillone zählte. --




A "6 Po se l>.

Unsre Journale füllen täglich ihre Spalten mit Demonstrationen, welche dar¬
auf Hinausgehen, daß die Revolution in Ungarn nur vou einigen Schwindel¬
kopsen ausgegangen, und daß selbst diejenigen, welche von dem Kossuth'schen
Zaubertrank berauscht waren, uun zur wahren Einsicht gelangt siud. Ich weiß
nicht, wie man in höhern und allerhöchsten Regionen über diesen Gegenstand
denkt, doch scheinen mehrere Verschärfuugsmaßregelu des Belagernngszustandes
darauf hinzudeuten, daß unsere papiernen Friedeusposaunen dort eben keinen be¬
deutenden Anklang finden.

Der Magyar liebt vor Allem sein Vaterland, dann kommt erst die Frei¬
heit, und sollte einst Ungarn eine russische Provinz und die benachbarten östrei¬
chischen Provinzen ein inlegrirender Theil des mächtigen freien und einigen
Deutschlands werdeu, so würde der an der Grenze wohnende Magyar nie ver-
suchen, die kurze Wanderung aus dem Reiche der Knute in das Land der Freiheit
zu machen, denn <;x>i^ 1un>genn,ni um c;s>> vit^. Die Ursache dieser unbeding¬
ten Hingebung liegt darin, daß der Magyar durch seine Geschichte sich berechtigt
glaubt, zu hoffen, daß das Vaterland noch immer die Freiheit, während diese nie
ein Vaterland wie Ungarn bringen kann.

Nach der Freiheit folgt der Wein; doch soll dieser in ihm jene düster-freu¬
dige Stimmung hervorrufen, in welcher der Magyar sich einzig und allein glück¬
lich fühlt, so müssen die Klänge der Nationalmusik anheim Ohr schlagen, muß
der t^iL'ung' ihm seine muta (Musikstück) ausspielen. Diese Vorliebe für ein ge¬
wisses Musikstück ist eine eigenthümliche Cul>rw" eines jeden Magyaren, und
in den Gasthäusern begnügte er sich nicht damit, daß die Nationalmusik eine
Hauptrolle im Repertoir der Zigeunerkapelle spielte, sondern wendete uoch seinen


Grcnzl'oder.II. 1850. -40

Da sprach Oedvu: „wenn die, Ugarn kommen, ziehe ich mit;" seine Braut
senkte das Haupt, und die Szeklerin, welche mit der Bowle in die Kammer trat,
sagte: „Ueberleg' Dir's reiflich, eheDn einen Entschluß fassest. Was ich davon denke,
weißt Dn im Voraus, Du kennst mich lange genug. Aber für heute Abend ruhe
die Sache. Morgen magst Du's bedenken. Morgen kommen, die Ungarn noch
nicht." — Sie füllte die Becher, reichte sie herum und trank zuerst ans das Wohl
des fremden Magyarensührers.

Die kaiserlichen Offiziere, die in demselben Hause wohnten, ahnten nicht, daß
man so nahe neben ihnen, über den Zeitpunkt ihrer Besiegung hinaus, schon Luft¬
schlösser baute, und daß die ganze Stadt bereits die Stunden bis zum Abzüge
ihrer Bataillone zählte. —




A «6 Po se l>.

Unsre Journale füllen täglich ihre Spalten mit Demonstrationen, welche dar¬
auf Hinausgehen, daß die Revolution in Ungarn nur vou einigen Schwindel¬
kopsen ausgegangen, und daß selbst diejenigen, welche von dem Kossuth'schen
Zaubertrank berauscht waren, uun zur wahren Einsicht gelangt siud. Ich weiß
nicht, wie man in höhern und allerhöchsten Regionen über diesen Gegenstand
denkt, doch scheinen mehrere Verschärfuugsmaßregelu des Belagernngszustandes
darauf hinzudeuten, daß unsere papiernen Friedeusposaunen dort eben keinen be¬
deutenden Anklang finden.

Der Magyar liebt vor Allem sein Vaterland, dann kommt erst die Frei¬
heit, und sollte einst Ungarn eine russische Provinz und die benachbarten östrei¬
chischen Provinzen ein inlegrirender Theil des mächtigen freien und einigen
Deutschlands werdeu, so würde der an der Grenze wohnende Magyar nie ver-
suchen, die kurze Wanderung aus dem Reiche der Knute in das Land der Freiheit
zu machen, denn <;x>i^ 1un>genn,ni um c;s>> vit^. Die Ursache dieser unbeding¬
ten Hingebung liegt darin, daß der Magyar durch seine Geschichte sich berechtigt
glaubt, zu hoffen, daß das Vaterland noch immer die Freiheit, während diese nie
ein Vaterland wie Ungarn bringen kann.

Nach der Freiheit folgt der Wein; doch soll dieser in ihm jene düster-freu¬
dige Stimmung hervorrufen, in welcher der Magyar sich einzig und allein glück¬
lich fühlt, so müssen die Klänge der Nationalmusik anheim Ohr schlagen, muß
der t^iL'ung' ihm seine muta (Musikstück) ausspielen. Diese Vorliebe für ein ge¬
wisses Musikstück ist eine eigenthümliche Cul>rw« eines jeden Magyaren, und
in den Gasthäusern begnügte er sich nicht damit, daß die Nationalmusik eine
Hauptrolle im Repertoir der Zigeunerkapelle spielte, sondern wendete uoch seinen


Grcnzl'oder.II. 1850. -40
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/321>, abgerufen am 22.07.2024.