Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Freimaurerei in Deutschland.
Von einem Maurer.

Wenn man i>l Frankfurt an den Bildnissen der deutschen Kaiser vorüber-
waudelt und von dem Anblick der einförmigen Hermelinmantel und Rüstungen
oder spanischen Wämser einige Ermüdung empfindet, verweilt mau kurz vor dem
Ende der langen Reihe stutzend bei einer Gestalt in einfachem blauen Fracke mit
Ordensstern, die zu den andern gar uicht zu passen scheint. Denn Attribute der
Wissenschaft umgeben sie, und lassen eher einen berühmten Gelehrten, als einen
Herrscher vermuthen. Es ist Joseph II. Ans die Frage, wer dieses Gemälde
der Sammlung geschenkt habe -- denn bei allen andern hat uns der Führer
Fürsten oder Städte als gütige Geschenkgeber genannt -- erhalten wir die Ant¬
wort: "die Loge Socrates in Frankfurt am Main."

Dieses Wort gibt uns viel zu denken, es erweckt die Erinnerung an jenen
erhabenen Traum, der die Seelen der Besten in Deutschland dereinst erfüllte, den
sie zu einem Ideal erhoben, um welches sie sich schaarten, es den Blicken der
Profanen zu verbergen und gegen ihre Beleidigungen zu vertheidigen; an den
Traum, der für Joseph so unheilvoll wurde, und der nach seinem Tode mit dem
zu Ende gehenden 18. Jahrhunderte seinen Farbenglanz, seine beseligende Macht
zum größten Theil einbüßte. Es war der Traum von dem verloren gegangenen
Ilrbilde der Menschheit, zu dem dieselbe durch einen geheimen Orden wieder erhoben
werden sollte. Die Wiederherstellung reiner, edler, vollkommner Menschlichkeit galt für
das erhabenste Ziel des irdischen Wandels; die dasselbe anerkannten, waren durch
vertraute Mittheilung, dnrch geheime Erkennungszeichen mit einander verbunden,
und behaupteten, ihre über den ganzen Erdball ausgedehnte Kette sei viele tausend
Jahre alt. Wenn freilich Einzelne einwandten, die Berufung ans die ägyptische
Priesterkaste sei ohne allen geschichtlichen Grund, selbst ein Zusammenhang mit
dem Tempelherrnorden lasse sich uicht mehr nachweisen, so blieb doch anch für
den ganz nüchternen Forscher in den ans eine dereinstige Verbrüderung von Ban-
Handwerkern sichtlich hindeutenden Zeichen noch immer ein merkwürdiges Problem.
England ergab sich als Ausgangspunkt des so weit ausgedehnten Ordens, dessen


Grenzboten. II. I8W. 31
Die Freimaurerei in Deutschland.
Von einem Maurer.

Wenn man i>l Frankfurt an den Bildnissen der deutschen Kaiser vorüber-
waudelt und von dem Anblick der einförmigen Hermelinmantel und Rüstungen
oder spanischen Wämser einige Ermüdung empfindet, verweilt mau kurz vor dem
Ende der langen Reihe stutzend bei einer Gestalt in einfachem blauen Fracke mit
Ordensstern, die zu den andern gar uicht zu passen scheint. Denn Attribute der
Wissenschaft umgeben sie, und lassen eher einen berühmten Gelehrten, als einen
Herrscher vermuthen. Es ist Joseph II. Ans die Frage, wer dieses Gemälde
der Sammlung geschenkt habe — denn bei allen andern hat uns der Führer
Fürsten oder Städte als gütige Geschenkgeber genannt — erhalten wir die Ant¬
wort: „die Loge Socrates in Frankfurt am Main."

Dieses Wort gibt uns viel zu denken, es erweckt die Erinnerung an jenen
erhabenen Traum, der die Seelen der Besten in Deutschland dereinst erfüllte, den
sie zu einem Ideal erhoben, um welches sie sich schaarten, es den Blicken der
Profanen zu verbergen und gegen ihre Beleidigungen zu vertheidigen; an den
Traum, der für Joseph so unheilvoll wurde, und der nach seinem Tode mit dem
zu Ende gehenden 18. Jahrhunderte seinen Farbenglanz, seine beseligende Macht
zum größten Theil einbüßte. Es war der Traum von dem verloren gegangenen
Ilrbilde der Menschheit, zu dem dieselbe durch einen geheimen Orden wieder erhoben
werden sollte. Die Wiederherstellung reiner, edler, vollkommner Menschlichkeit galt für
das erhabenste Ziel des irdischen Wandels; die dasselbe anerkannten, waren durch
vertraute Mittheilung, dnrch geheime Erkennungszeichen mit einander verbunden,
und behaupteten, ihre über den ganzen Erdball ausgedehnte Kette sei viele tausend
Jahre alt. Wenn freilich Einzelne einwandten, die Berufung ans die ägyptische
Priesterkaste sei ohne allen geschichtlichen Grund, selbst ein Zusammenhang mit
dem Tempelherrnorden lasse sich uicht mehr nachweisen, so blieb doch anch für
den ganz nüchternen Forscher in den ans eine dereinstige Verbrüderung von Ban-
Handwerkern sichtlich hindeutenden Zeichen noch immer ein merkwürdiges Problem.
England ergab sich als Ausgangspunkt des so weit ausgedehnten Ordens, dessen


Grenzboten. II. I8W. 31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185586"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Freimaurerei in Deutschland.<lb/><note type="byline"> Von einem Maurer.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_884"> Wenn man i&gt;l Frankfurt an den Bildnissen der deutschen Kaiser vorüber-<lb/>
waudelt und von dem Anblick der einförmigen Hermelinmantel und Rüstungen<lb/>
oder spanischen Wämser einige Ermüdung empfindet, verweilt mau kurz vor dem<lb/>
Ende der langen Reihe stutzend bei einer Gestalt in einfachem blauen Fracke mit<lb/>
Ordensstern, die zu den andern gar uicht zu passen scheint. Denn Attribute der<lb/>
Wissenschaft umgeben sie, und lassen eher einen berühmten Gelehrten, als einen<lb/>
Herrscher vermuthen. Es ist Joseph II. Ans die Frage, wer dieses Gemälde<lb/>
der Sammlung geschenkt habe &#x2014; denn bei allen andern hat uns der Führer<lb/>
Fürsten oder Städte als gütige Geschenkgeber genannt &#x2014; erhalten wir die Ant¬<lb/>
wort: &#x201E;die Loge Socrates in Frankfurt am Main."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_885" next="#ID_886"> Dieses Wort gibt uns viel zu denken, es erweckt die Erinnerung an jenen<lb/>
erhabenen Traum, der die Seelen der Besten in Deutschland dereinst erfüllte, den<lb/>
sie zu einem Ideal erhoben, um welches sie sich schaarten, es den Blicken der<lb/>
Profanen zu verbergen und gegen ihre Beleidigungen zu vertheidigen; an den<lb/>
Traum, der für Joseph so unheilvoll wurde, und der nach seinem Tode mit dem<lb/>
zu Ende gehenden 18. Jahrhunderte seinen Farbenglanz, seine beseligende Macht<lb/>
zum größten Theil einbüßte. Es war der Traum von dem verloren gegangenen<lb/>
Ilrbilde der Menschheit, zu dem dieselbe durch einen geheimen Orden wieder erhoben<lb/>
werden sollte. Die Wiederherstellung reiner, edler, vollkommner Menschlichkeit galt für<lb/>
das erhabenste Ziel des irdischen Wandels; die dasselbe anerkannten, waren durch<lb/>
vertraute Mittheilung, dnrch geheime Erkennungszeichen mit einander verbunden,<lb/>
und behaupteten, ihre über den ganzen Erdball ausgedehnte Kette sei viele tausend<lb/>
Jahre alt. Wenn freilich Einzelne einwandten, die Berufung ans die ägyptische<lb/>
Priesterkaste sei ohne allen geschichtlichen Grund, selbst ein Zusammenhang mit<lb/>
dem Tempelherrnorden lasse sich uicht mehr nachweisen, so blieb doch anch für<lb/>
den ganz nüchternen Forscher in den ans eine dereinstige Verbrüderung von Ban-<lb/>
Handwerkern sichtlich hindeutenden Zeichen noch immer ein merkwürdiges Problem.<lb/>
England ergab sich als Ausgangspunkt des so weit ausgedehnten Ordens, dessen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. I8W. 31</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] Die Freimaurerei in Deutschland. Von einem Maurer. Wenn man i>l Frankfurt an den Bildnissen der deutschen Kaiser vorüber- waudelt und von dem Anblick der einförmigen Hermelinmantel und Rüstungen oder spanischen Wämser einige Ermüdung empfindet, verweilt mau kurz vor dem Ende der langen Reihe stutzend bei einer Gestalt in einfachem blauen Fracke mit Ordensstern, die zu den andern gar uicht zu passen scheint. Denn Attribute der Wissenschaft umgeben sie, und lassen eher einen berühmten Gelehrten, als einen Herrscher vermuthen. Es ist Joseph II. Ans die Frage, wer dieses Gemälde der Sammlung geschenkt habe — denn bei allen andern hat uns der Führer Fürsten oder Städte als gütige Geschenkgeber genannt — erhalten wir die Ant¬ wort: „die Loge Socrates in Frankfurt am Main." Dieses Wort gibt uns viel zu denken, es erweckt die Erinnerung an jenen erhabenen Traum, der die Seelen der Besten in Deutschland dereinst erfüllte, den sie zu einem Ideal erhoben, um welches sie sich schaarten, es den Blicken der Profanen zu verbergen und gegen ihre Beleidigungen zu vertheidigen; an den Traum, der für Joseph so unheilvoll wurde, und der nach seinem Tode mit dem zu Ende gehenden 18. Jahrhunderte seinen Farbenglanz, seine beseligende Macht zum größten Theil einbüßte. Es war der Traum von dem verloren gegangenen Ilrbilde der Menschheit, zu dem dieselbe durch einen geheimen Orden wieder erhoben werden sollte. Die Wiederherstellung reiner, edler, vollkommner Menschlichkeit galt für das erhabenste Ziel des irdischen Wandels; die dasselbe anerkannten, waren durch vertraute Mittheilung, dnrch geheime Erkennungszeichen mit einander verbunden, und behaupteten, ihre über den ganzen Erdball ausgedehnte Kette sei viele tausend Jahre alt. Wenn freilich Einzelne einwandten, die Berufung ans die ägyptische Priesterkaste sei ohne allen geschichtlichen Grund, selbst ein Zusammenhang mit dem Tempelherrnorden lasse sich uicht mehr nachweisen, so blieb doch anch für den ganz nüchternen Forscher in den ans eine dereinstige Verbrüderung von Ban- Handwerkern sichtlich hindeutenden Zeichen noch immer ein merkwürdiges Problem. England ergab sich als Ausgangspunkt des so weit ausgedehnten Ordens, dessen Grenzboten. II. I8W. 31

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/249>, abgerufen am 29.06.2024.