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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Herr Jelen.

Gar irrig ist die Ansicht, die Geschichte begehe keine Plagiate an sich selber, sie
wiederhole sich nicht, in, Gegentheile, unsere Geschichte ist eine Reihe von Plagiaten,
im neuesten spiegelt sich innrer wieder das Alte ab; in dem frischgemähten bunten Kleid
steckt der alte Hanswurst, und unsere Politik wird zuletzt: Alles schon dagewesen.

In jener alten Zeit, als Oestreich noch keine Verfassung hatte und statt unserer
jetzigen Freiheit noch ein gewisses väterliches HauSrcgiment bestand, das wir armen, un¬
erfahrenen Erdcnwürmer damals "Metternichs Despotismus" schimpften, damals existirte
hier in Wien ein Individuum Namens Baumann, ein Zitterspielcr, Spaßmacher und
launiger Gesell, welcher in den höchsten Salons Zutritt gewonnen, welchem man pro
Forma ein Amt, ich glaube das eines Staatsraths, zutheilte, obwohl er blos als
lustiger Nath fungirte und als solcher Bauernfeld's Como'die "Großjährig," die
vielbesprochene, ans die Bretter zu schmuggeln verstand. Heute ist dieser Baumann
zwar verschollen, aber ein anderer lustiger Nath ist an seine Stelle getreten, minder
spaßhafter Gattung zwar, aber einflußreicher, obwohl weit weniger harmlos als Baumann.

Auch hier wurde die konstitutionelle Form streng eingehalten, der neue lustige Rath
dient nicht sowohl der Krone, als vielmehr dem verantwortlichen Premier, stammt aus
dem Reichstage, war Mitglied der ezechischen Rechten, war Oberheitzer des Reichstag,s-
saals, Speisewirth der Minister und Generalquartiermcister der Deputirten zu Kremsicr
und ist heute wohlbestellter Archivarius zu Wie". Er heißt Aloys Jelen, ehedem Guit-
tarrenspielcr und Sänger, wie sein Vorgänger Baumann, später Kanzcllist in einem von
Motten zerbissenen Archive zu Prag, dann zur Schmach der böhmischen Partei und
seines Fürsprechers Brauner, siegreicher Kandidat in einem Wahlbezirke Böhmens.!!

Gleich Baumann wurde auch Herr Jelen mit einer Sinecurc bedacht, mit der Direc-
tion des Rcichstagsarchives nämlich, welche ihm sehr wenig Mühe macht, und noch we¬
niger machen wird, da ein östreichischer Reichstag hinfort wohl unter die Mährchen zu
zählen sein dürste.

Dafür aber hat Herr Jelen als Repräsentant, und einziger Ueberrest der für servil
gehaltenen Czechenpartci, gleichsam als letzter Mohikaner, Zutritt in hohen und aller
höchsten Kreisen, ist der Vertraute des glückliche" Fürsten, verleumdet bei diesem alle
Welt, am liebsten aber seine ein ma-zse in die Opposition getretenen Landsleute, übet ge¬
wichtige Protektion, gibt Audienzen und vertheilt Aemter und Würden an seine
getreuen Vasallen.

Wer denkt nicht an Gil Blas bei der Geschichte. Gil Blas war wenigstens
pfiffig und gewandt, doch das ist H. Jelen kaum, und dennoch ist er von bedeutendem


Herr Jelen.

Gar irrig ist die Ansicht, die Geschichte begehe keine Plagiate an sich selber, sie
wiederhole sich nicht, in, Gegentheile, unsere Geschichte ist eine Reihe von Plagiaten,
im neuesten spiegelt sich innrer wieder das Alte ab; in dem frischgemähten bunten Kleid
steckt der alte Hanswurst, und unsere Politik wird zuletzt: Alles schon dagewesen.

In jener alten Zeit, als Oestreich noch keine Verfassung hatte und statt unserer
jetzigen Freiheit noch ein gewisses väterliches HauSrcgiment bestand, das wir armen, un¬
erfahrenen Erdcnwürmer damals „Metternichs Despotismus" schimpften, damals existirte
hier in Wien ein Individuum Namens Baumann, ein Zitterspielcr, Spaßmacher und
launiger Gesell, welcher in den höchsten Salons Zutritt gewonnen, welchem man pro
Forma ein Amt, ich glaube das eines Staatsraths, zutheilte, obwohl er blos als
lustiger Nath fungirte und als solcher Bauernfeld's Como'die „Großjährig," die
vielbesprochene, ans die Bretter zu schmuggeln verstand. Heute ist dieser Baumann
zwar verschollen, aber ein anderer lustiger Nath ist an seine Stelle getreten, minder
spaßhafter Gattung zwar, aber einflußreicher, obwohl weit weniger harmlos als Baumann.

Auch hier wurde die konstitutionelle Form streng eingehalten, der neue lustige Rath
dient nicht sowohl der Krone, als vielmehr dem verantwortlichen Premier, stammt aus
dem Reichstage, war Mitglied der ezechischen Rechten, war Oberheitzer des Reichstag,s-
saals, Speisewirth der Minister und Generalquartiermcister der Deputirten zu Kremsicr
und ist heute wohlbestellter Archivarius zu Wie». Er heißt Aloys Jelen, ehedem Guit-
tarrenspielcr und Sänger, wie sein Vorgänger Baumann, später Kanzcllist in einem von
Motten zerbissenen Archive zu Prag, dann zur Schmach der böhmischen Partei und
seines Fürsprechers Brauner, siegreicher Kandidat in einem Wahlbezirke Böhmens.!!

Gleich Baumann wurde auch Herr Jelen mit einer Sinecurc bedacht, mit der Direc-
tion des Rcichstagsarchives nämlich, welche ihm sehr wenig Mühe macht, und noch we¬
niger machen wird, da ein östreichischer Reichstag hinfort wohl unter die Mährchen zu
zählen sein dürste.

Dafür aber hat Herr Jelen als Repräsentant, und einziger Ueberrest der für servil
gehaltenen Czechenpartci, gleichsam als letzter Mohikaner, Zutritt in hohen und aller
höchsten Kreisen, ist der Vertraute des glückliche» Fürsten, verleumdet bei diesem alle
Welt, am liebsten aber seine ein ma-zse in die Opposition getretenen Landsleute, übet ge¬
wichtige Protektion, gibt Audienzen und vertheilt Aemter und Würden an seine
getreuen Vasallen.

Wer denkt nicht an Gil Blas bei der Geschichte. Gil Blas war wenigstens
pfiffig und gewandt, doch das ist H. Jelen kaum, und dennoch ist er von bedeutendem


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[0205] Herr Jelen. Gar irrig ist die Ansicht, die Geschichte begehe keine Plagiate an sich selber, sie wiederhole sich nicht, in, Gegentheile, unsere Geschichte ist eine Reihe von Plagiaten, im neuesten spiegelt sich innrer wieder das Alte ab; in dem frischgemähten bunten Kleid steckt der alte Hanswurst, und unsere Politik wird zuletzt: Alles schon dagewesen. In jener alten Zeit, als Oestreich noch keine Verfassung hatte und statt unserer jetzigen Freiheit noch ein gewisses väterliches HauSrcgiment bestand, das wir armen, un¬ erfahrenen Erdcnwürmer damals „Metternichs Despotismus" schimpften, damals existirte hier in Wien ein Individuum Namens Baumann, ein Zitterspielcr, Spaßmacher und launiger Gesell, welcher in den höchsten Salons Zutritt gewonnen, welchem man pro Forma ein Amt, ich glaube das eines Staatsraths, zutheilte, obwohl er blos als lustiger Nath fungirte und als solcher Bauernfeld's Como'die „Großjährig," die vielbesprochene, ans die Bretter zu schmuggeln verstand. Heute ist dieser Baumann zwar verschollen, aber ein anderer lustiger Nath ist an seine Stelle getreten, minder spaßhafter Gattung zwar, aber einflußreicher, obwohl weit weniger harmlos als Baumann. Auch hier wurde die konstitutionelle Form streng eingehalten, der neue lustige Rath dient nicht sowohl der Krone, als vielmehr dem verantwortlichen Premier, stammt aus dem Reichstage, war Mitglied der ezechischen Rechten, war Oberheitzer des Reichstag,s- saals, Speisewirth der Minister und Generalquartiermcister der Deputirten zu Kremsicr und ist heute wohlbestellter Archivarius zu Wie». Er heißt Aloys Jelen, ehedem Guit- tarrenspielcr und Sänger, wie sein Vorgänger Baumann, später Kanzcllist in einem von Motten zerbissenen Archive zu Prag, dann zur Schmach der böhmischen Partei und seines Fürsprechers Brauner, siegreicher Kandidat in einem Wahlbezirke Böhmens.!! Gleich Baumann wurde auch Herr Jelen mit einer Sinecurc bedacht, mit der Direc- tion des Rcichstagsarchives nämlich, welche ihm sehr wenig Mühe macht, und noch we¬ niger machen wird, da ein östreichischer Reichstag hinfort wohl unter die Mährchen zu zählen sein dürste. Dafür aber hat Herr Jelen als Repräsentant, und einziger Ueberrest der für servil gehaltenen Czechenpartci, gleichsam als letzter Mohikaner, Zutritt in hohen und aller höchsten Kreisen, ist der Vertraute des glückliche» Fürsten, verleumdet bei diesem alle Welt, am liebsten aber seine ein ma-zse in die Opposition getretenen Landsleute, übet ge¬ wichtige Protektion, gibt Audienzen und vertheilt Aemter und Würden an seine getreuen Vasallen. Wer denkt nicht an Gil Blas bei der Geschichte. Gil Blas war wenigstens pfiffig und gewandt, doch das ist H. Jelen kaum, und dennoch ist er von bedeutendem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/205>, abgerufen am 29.06.2024.