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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Paris unter Louis Napoleon.
1.

Ich kam nach Paris zum ersten Mal im August vorigen Jahres. Ich kann
deshalb, da ich nur persönliche Eindrücke schildern "nit, keinen Vergleich anstellen
zwischen der Vergangenheit und Gegenwart dieser vielbewegten Stadt.

Uebrigens brauchte man Paris nnr ans den Zeitungen zu keimen, um ans
den ersten Blick zu sehen, daß in den letzten Monaten ein gewaltiger Umschwung
stattgefunden habe" mußte. Ueberall, wohin ich kam, sand ich eine solche Theil-
nahmlosigkeit an Allem, was innerhalb und außerhalb Frankreichs vorging, daß
mir das politische Treiben in Berlin noch frisch und lebendig dagegen erschien,
obgleich sich über die Berliner Zustande ebenfalls wenig Erbauliches sagen ließ.

In Berlin hatte ich doch noch Ansichten gehört, wenn anch oft schiefe -
ich hatte noch Leute gefunden, die sich schönen Hoffnungen hingaben, wenn ich
auch diese Hoffnungen nicht theilen konnte; in Paris hingegen hörte ich weder
Ansichten noch Hoffnungen äußern; in Allem und überall offenbarte sich die voll¬
ständigste Indifferenz.

Nur Eines vermochte die Leute uoch aufzuregen und zu fesseln: die Nach¬
richten vom ungarischen Kriegsschauplatze. Aber auch dieses belebende Element
wurde verscheucht durch die Schreckenskunde von Villagos, die alle Gemüther mit
Wehmuth und Trauer erfüllte.

Und so fand ich Paris in einer Stimmung, die mir unwillkürlich den Ein¬
druck machte: diese Stimmung ist eine krankhafte, unnatürliche, und kaun uicht
vou Dauer sein.

Es schien deu Franzosen, mit welchen ich in persönliche Berührung kam, fast
peinlich zu sein, daß ich ihre Stadt nicht früher gesehe" und mein Urtheil uach
den Zuständen der Gegenwart bilden müßte.

Es ergötzte mich höchlich, bei jedem Besuche gleichsam eine Entschuldigung
hören zu müssen für die abnorme Stimmung der Hauptstadt; etwa wie im deut¬
sche" .Kleinstädterleben eine Hausfrau sich entschuldigt beim unerwarteten Besuch
eines Fremden, über die im Zimmer herrschende Unordnung. So stolz ist der
Franzose auf sein geliebtes Paris, daß er es fremde" Augen immer nnr im gün¬
stigsten Lichte zeigen möchte.

Aber obgleich ich täglich ein paar Mal die Worte hören mußte: "Was Sie
jetzt sehen, ist nicht Paris!" so gefiel mir doch was ich sah, sehr gut, und ich
fühlte mich gleich am ersten Tage so heimisch und bekannt in der Stadt, als hätte
ich schon Jahre lang dort gelebt. Nichts aber muthet den Reisende" erquicklicher
an, als ein schnelles Zurechtfinden, eine selbstständige Sicherheit in der ihn um-'
gebenden fremde" Welt, und das ist's wohl hauptsächlich, was Paris dem Ange


Paris unter Louis Napoleon.
1.

Ich kam nach Paris zum ersten Mal im August vorigen Jahres. Ich kann
deshalb, da ich nur persönliche Eindrücke schildern »nit, keinen Vergleich anstellen
zwischen der Vergangenheit und Gegenwart dieser vielbewegten Stadt.

Uebrigens brauchte man Paris nnr ans den Zeitungen zu keimen, um ans
den ersten Blick zu sehen, daß in den letzten Monaten ein gewaltiger Umschwung
stattgefunden habe» mußte. Ueberall, wohin ich kam, sand ich eine solche Theil-
nahmlosigkeit an Allem, was innerhalb und außerhalb Frankreichs vorging, daß
mir das politische Treiben in Berlin noch frisch und lebendig dagegen erschien,
obgleich sich über die Berliner Zustande ebenfalls wenig Erbauliches sagen ließ.

In Berlin hatte ich doch noch Ansichten gehört, wenn anch oft schiefe -
ich hatte noch Leute gefunden, die sich schönen Hoffnungen hingaben, wenn ich
auch diese Hoffnungen nicht theilen konnte; in Paris hingegen hörte ich weder
Ansichten noch Hoffnungen äußern; in Allem und überall offenbarte sich die voll¬
ständigste Indifferenz.

Nur Eines vermochte die Leute uoch aufzuregen und zu fesseln: die Nach¬
richten vom ungarischen Kriegsschauplatze. Aber auch dieses belebende Element
wurde verscheucht durch die Schreckenskunde von Villagos, die alle Gemüther mit
Wehmuth und Trauer erfüllte.

Und so fand ich Paris in einer Stimmung, die mir unwillkürlich den Ein¬
druck machte: diese Stimmung ist eine krankhafte, unnatürliche, und kaun uicht
vou Dauer sein.

Es schien deu Franzosen, mit welchen ich in persönliche Berührung kam, fast
peinlich zu sein, daß ich ihre Stadt nicht früher gesehe» und mein Urtheil uach
den Zuständen der Gegenwart bilden müßte.

Es ergötzte mich höchlich, bei jedem Besuche gleichsam eine Entschuldigung
hören zu müssen für die abnorme Stimmung der Hauptstadt; etwa wie im deut¬
sche» .Kleinstädterleben eine Hausfrau sich entschuldigt beim unerwarteten Besuch
eines Fremden, über die im Zimmer herrschende Unordnung. So stolz ist der
Franzose auf sein geliebtes Paris, daß er es fremde» Augen immer nnr im gün¬
stigsten Lichte zeigen möchte.

Aber obgleich ich täglich ein paar Mal die Worte hören mußte: „Was Sie
jetzt sehen, ist nicht Paris!" so gefiel mir doch was ich sah, sehr gut, und ich
fühlte mich gleich am ersten Tage so heimisch und bekannt in der Stadt, als hätte
ich schon Jahre lang dort gelebt. Nichts aber muthet den Reisende» erquicklicher
an, als ein schnelles Zurechtfinden, eine selbstständige Sicherheit in der ihn um-'
gebenden fremde» Welt, und das ist's wohl hauptsächlich, was Paris dem Ange


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[0184] Paris unter Louis Napoleon. 1. Ich kam nach Paris zum ersten Mal im August vorigen Jahres. Ich kann deshalb, da ich nur persönliche Eindrücke schildern »nit, keinen Vergleich anstellen zwischen der Vergangenheit und Gegenwart dieser vielbewegten Stadt. Uebrigens brauchte man Paris nnr ans den Zeitungen zu keimen, um ans den ersten Blick zu sehen, daß in den letzten Monaten ein gewaltiger Umschwung stattgefunden habe» mußte. Ueberall, wohin ich kam, sand ich eine solche Theil- nahmlosigkeit an Allem, was innerhalb und außerhalb Frankreichs vorging, daß mir das politische Treiben in Berlin noch frisch und lebendig dagegen erschien, obgleich sich über die Berliner Zustande ebenfalls wenig Erbauliches sagen ließ. In Berlin hatte ich doch noch Ansichten gehört, wenn anch oft schiefe - ich hatte noch Leute gefunden, die sich schönen Hoffnungen hingaben, wenn ich auch diese Hoffnungen nicht theilen konnte; in Paris hingegen hörte ich weder Ansichten noch Hoffnungen äußern; in Allem und überall offenbarte sich die voll¬ ständigste Indifferenz. Nur Eines vermochte die Leute uoch aufzuregen und zu fesseln: die Nach¬ richten vom ungarischen Kriegsschauplatze. Aber auch dieses belebende Element wurde verscheucht durch die Schreckenskunde von Villagos, die alle Gemüther mit Wehmuth und Trauer erfüllte. Und so fand ich Paris in einer Stimmung, die mir unwillkürlich den Ein¬ druck machte: diese Stimmung ist eine krankhafte, unnatürliche, und kaun uicht vou Dauer sein. Es schien deu Franzosen, mit welchen ich in persönliche Berührung kam, fast peinlich zu sein, daß ich ihre Stadt nicht früher gesehe» und mein Urtheil uach den Zuständen der Gegenwart bilden müßte. Es ergötzte mich höchlich, bei jedem Besuche gleichsam eine Entschuldigung hören zu müssen für die abnorme Stimmung der Hauptstadt; etwa wie im deut¬ sche» .Kleinstädterleben eine Hausfrau sich entschuldigt beim unerwarteten Besuch eines Fremden, über die im Zimmer herrschende Unordnung. So stolz ist der Franzose auf sein geliebtes Paris, daß er es fremde» Augen immer nnr im gün¬ stigsten Lichte zeigen möchte. Aber obgleich ich täglich ein paar Mal die Worte hören mußte: „Was Sie jetzt sehen, ist nicht Paris!" so gefiel mir doch was ich sah, sehr gut, und ich fühlte mich gleich am ersten Tage so heimisch und bekannt in der Stadt, als hätte ich schon Jahre lang dort gelebt. Nichts aber muthet den Reisende» erquicklicher an, als ein schnelles Zurechtfinden, eine selbstständige Sicherheit in der ihn um-' gebenden fremde» Welt, und das ist's wohl hauptsächlich, was Paris dem Ange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/184>, abgerufen am 29.06.2024.