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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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des Fremden so angenehm erscheinen läßt, daß man sich hier überall selbst eine
Brücke der Verständigung schlagen kann und in jedem Namen, in jedem Platze,
in jedem Denkmale, in jedem merkwürdigen Gebäude einen alten Bekannten wie¬
derzufinden glaubt.

Dazu kommt die Bequemlichkeit der Einrichtungen, die Leichtigkeit und Frei¬
heit des Verkehrs. Man unterhält sich, wo, wann und mit wem man will, und
findet immer eine freundliche Antwort auf eine freundliche Frage.

Die Annehmlichkeiten des häuslichen Comforts der Nordländer und des
öffentlichen Lebens der Südländer sind hier aus eine glückliche Weise vermittelt.
Es herrscht ein gewisser geselliger Zusammenhang zwischen Hans und Straße, wie
ich es sonst nirgends gefunden. Man lebt gleichsam auch innerhalb der vier
Wände eines Gasthauses oder Casü'S, das Leben draußen mit. Die großen,
schönen, tiesherabreichenden Fenster laden zur Aussicht ein, vom Suppenteller hin¬
weg blickst du aus die Straße, und wohin dein Auge schweift, findet es Abwechs¬
lung im Genuß, und Genuß in der Abwechslung der vorüberschwcbendeu Bilder.
Mit Wohlbehagen folgen deine Blicke dem leichten Gange der immer Schmuck und
zierlich gekleideten Frauen und Mädchen; mag auch, nach allgemeinem Dafürhalten,
Schönheit des Gesichts unter ihnen so selten sein wie das, was man Tugend
nennt, so bieten für den momentanen Genuß des Reisenden die fast durchgehends
zierlichen Händchen und Füßchen doch ganz erfreuliche Anhaltpunkte.

An der Mannigfaltigkeit der Kleidungssormen bei Männern und Frauen
bemerkst dn bald, daß jener Zwang, den man Pariser Mode nennt, nirgends we¬
niger herrisch ist als in Paris.

Und trotz der weitausposaunten Sittenverderbniß der weiblichen Welt von
Paris, begegnest du hier nie jenen herausfordernden frechen Gesichtern, die in
andern Städten so oft dein Ange beleidigen. Nur bei den abendlichen Belusti¬
gungen im ('diiioÄu rougo sieht man die Kleider der gelenkigen Tänzerinnen oft
höher fliegen als nöthig ist.

Trinkst dn nach Tisch deinen Kaffee im Freien vor einem der Caso S der
Boulevards, so klopft dir auch wohl eine hübsche Blumenhändlerin freundlich auf
die Schulter, um dich zu erinnern, daß sie im Begriffe ist, dir ein Sträußchen
in'S Knopfloch zu stecken und einen Silberling aus deiner Tasche zu locken.

Aber alles das geschieht mit einer Grazie, daß dn bei sehr übler Säure sein
mußt, um böse darüber zu werden. Und bist dir wirtlich bei übler Laune, so
kannst dn das Lacheir kaum unterdrücken, weiln dn siehst, wie die schmücke Blu¬
menhändlerin mit einem neben dir sitzenden, alten, ehrwürdigen Quäker noch
neckischer umgeht als mit dir; wie sie ihm fällst die faltigen Wangen streichelt,
trotz seiner abwehrenden Gesten; wie sie ihm zutraulich ans den Rücken klopft,
trotz des Gefühl" der Entrüstung, das aus seinen Augen blickt -- kurz, wie sie
so lange mit ihm schäkert und scherzt, bis er endlich selbst zu lachen anfängt, oder


GmiMc". II. I85.0. I3

des Fremden so angenehm erscheinen läßt, daß man sich hier überall selbst eine
Brücke der Verständigung schlagen kann und in jedem Namen, in jedem Platze,
in jedem Denkmale, in jedem merkwürdigen Gebäude einen alten Bekannten wie¬
derzufinden glaubt.

Dazu kommt die Bequemlichkeit der Einrichtungen, die Leichtigkeit und Frei¬
heit des Verkehrs. Man unterhält sich, wo, wann und mit wem man will, und
findet immer eine freundliche Antwort auf eine freundliche Frage.

Die Annehmlichkeiten des häuslichen Comforts der Nordländer und des
öffentlichen Lebens der Südländer sind hier aus eine glückliche Weise vermittelt.
Es herrscht ein gewisser geselliger Zusammenhang zwischen Hans und Straße, wie
ich es sonst nirgends gefunden. Man lebt gleichsam auch innerhalb der vier
Wände eines Gasthauses oder Casü'S, das Leben draußen mit. Die großen,
schönen, tiesherabreichenden Fenster laden zur Aussicht ein, vom Suppenteller hin¬
weg blickst du aus die Straße, und wohin dein Auge schweift, findet es Abwechs¬
lung im Genuß, und Genuß in der Abwechslung der vorüberschwcbendeu Bilder.
Mit Wohlbehagen folgen deine Blicke dem leichten Gange der immer Schmuck und
zierlich gekleideten Frauen und Mädchen; mag auch, nach allgemeinem Dafürhalten,
Schönheit des Gesichts unter ihnen so selten sein wie das, was man Tugend
nennt, so bieten für den momentanen Genuß des Reisenden die fast durchgehends
zierlichen Händchen und Füßchen doch ganz erfreuliche Anhaltpunkte.

An der Mannigfaltigkeit der Kleidungssormen bei Männern und Frauen
bemerkst dn bald, daß jener Zwang, den man Pariser Mode nennt, nirgends we¬
niger herrisch ist als in Paris.

Und trotz der weitausposaunten Sittenverderbniß der weiblichen Welt von
Paris, begegnest du hier nie jenen herausfordernden frechen Gesichtern, die in
andern Städten so oft dein Ange beleidigen. Nur bei den abendlichen Belusti¬
gungen im ('diiioÄu rougo sieht man die Kleider der gelenkigen Tänzerinnen oft
höher fliegen als nöthig ist.

Trinkst dn nach Tisch deinen Kaffee im Freien vor einem der Caso S der
Boulevards, so klopft dir auch wohl eine hübsche Blumenhändlerin freundlich auf
die Schulter, um dich zu erinnern, daß sie im Begriffe ist, dir ein Sträußchen
in'S Knopfloch zu stecken und einen Silberling aus deiner Tasche zu locken.

Aber alles das geschieht mit einer Grazie, daß dn bei sehr übler Säure sein
mußt, um böse darüber zu werden. Und bist dir wirtlich bei übler Laune, so
kannst dn das Lacheir kaum unterdrücken, weiln dn siehst, wie die schmücke Blu¬
menhändlerin mit einem neben dir sitzenden, alten, ehrwürdigen Quäker noch
neckischer umgeht als mit dir; wie sie ihm fällst die faltigen Wangen streichelt,
trotz seiner abwehrenden Gesten; wie sie ihm zutraulich ans den Rücken klopft,
trotz des Gefühl» der Entrüstung, das aus seinen Augen blickt — kurz, wie sie
so lange mit ihm schäkert und scherzt, bis er endlich selbst zu lachen anfängt, oder


GmiMc». II. I85.0. I3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/185>, abgerufen am 01.07.2024.