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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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gefeiert hat, wie er es verdient. Er vergleicht diese Lieder mit den verborgenen
Thautropfe", die "Orientalen" mit der aufgeblühten Rose. In diesen Redensar¬
ten geht es weiter. Der Gedanke ist vollständig im Schwulst erstickt, und der
Mangel einer innern Nothwendigkeit, den wir schon in seinen frühern Gedichten
überall wahrgenommen haben, trägt hier geradezu deu Charakter der Caprice, ja
der Lüge. Wenn er z. B. von dem Jahrhundert sagt: "Ein edler Jnstinct leitet
es; die Idee geht überall in Mission. Stein für Stein führen die Denker diese
beiden Säulen, welche die wankende Gesellschaft stützen, wieder ans--so erwar¬
tet man jedenfalls zwei andere Säulen zu sehn, als: "der Respect vor den Grei¬
sen und die Liebe zu den Kindern!" Und wenn er dann hinzusetzt: "Aber unter
diesen Fortschritten, o Jesus, betrübt mich eines: daß der Widerhall deiner
Stimme sich mehr und me'hr verliert," so kann man sich eines ernsten Widerwil¬
lens nicht erwehren, der dadurch keineswegs vermindert wird, daß er sich tröstet:
"Mag aber auch die Welt diesen gestorbenen Gott mit seinen Wunden im Staub her-
umschleisen, so wird doch aus seinen Wunden nichts fließen, als unversiegliche
Vergebung."

Das war selbst den Franzosen zu stark. Die "Inneren Stimmen" war der
erste lyrische Versuch Victor Hugo's, der scheiterte. Alle frühern waren mit
einer Theilnahme ausgenommen, wie sie außer B"-ranger nur noch Lamartine's
Mvditations (l820) und allenfalls Delavigue's Messcniennes (1824) gefunden haben.
Die "Schatten und Strahlen" (1840) blieben ganz unbeachtet, die Zeit des
Dichters war vorüber.

(Fortsetzung in einem der nächsten Hefte.)




Oeftreichifche Tröstungen.



Es gibt in der wahren Politik keine Geheimnisse, deren Ausplaudern schäd¬
lich werden könnte. Die Sätze, die Man so nennen mag, weil sie den Schlüssel
einer Situation enthalten, nützen von allen Parteien nur der, in deren System
sie organisch passen; von den andern Parteien gilt, was geschrieben steht: sie haben
Ohren, aber hören nicht, Augen, aber sehen nicht. Und so sei es vergönnt, auch
in den östreichischen Zuständen die Spuren von dem aufzusuchen, was die Auf¬
schrift verspricht. Die Grenzboten haben in so manchem ihrer Blätter treu den
Schlamm- und Eiswust abgeschildert, mit dem die reaktionäre Lawine Oestreich be¬
deckt hat. Es ist ein Trost, schon jetzt aus die festen Stellen hinzuweisen, die
daS Thauwetter einst znerst bloslegen wird. Man mißverstehe das nicht, nicht,
als ob wir diese Tröstungen da suchten, wo sie die bezahlte Lüge in den ofsiziel-


Grenzboten. >v. ig-zy. 54

gefeiert hat, wie er es verdient. Er vergleicht diese Lieder mit den verborgenen
Thautropfe», die „Orientalen" mit der aufgeblühten Rose. In diesen Redensar¬
ten geht es weiter. Der Gedanke ist vollständig im Schwulst erstickt, und der
Mangel einer innern Nothwendigkeit, den wir schon in seinen frühern Gedichten
überall wahrgenommen haben, trägt hier geradezu deu Charakter der Caprice, ja
der Lüge. Wenn er z. B. von dem Jahrhundert sagt: „Ein edler Jnstinct leitet
es; die Idee geht überall in Mission. Stein für Stein führen die Denker diese
beiden Säulen, welche die wankende Gesellschaft stützen, wieder ans—so erwar¬
tet man jedenfalls zwei andere Säulen zu sehn, als: „der Respect vor den Grei¬
sen und die Liebe zu den Kindern!" Und wenn er dann hinzusetzt: „Aber unter
diesen Fortschritten, o Jesus, betrübt mich eines: daß der Widerhall deiner
Stimme sich mehr und me'hr verliert," so kann man sich eines ernsten Widerwil¬
lens nicht erwehren, der dadurch keineswegs vermindert wird, daß er sich tröstet:
„Mag aber auch die Welt diesen gestorbenen Gott mit seinen Wunden im Staub her-
umschleisen, so wird doch aus seinen Wunden nichts fließen, als unversiegliche
Vergebung."

Das war selbst den Franzosen zu stark. Die „Inneren Stimmen" war der
erste lyrische Versuch Victor Hugo's, der scheiterte. Alle frühern waren mit
einer Theilnahme ausgenommen, wie sie außer B«-ranger nur noch Lamartine's
Mvditations (l820) und allenfalls Delavigue's Messcniennes (1824) gefunden haben.
Die „Schatten und Strahlen" (1840) blieben ganz unbeachtet, die Zeit des
Dichters war vorüber.

(Fortsetzung in einem der nächsten Hefte.)




Oeftreichifche Tröstungen.



Es gibt in der wahren Politik keine Geheimnisse, deren Ausplaudern schäd¬
lich werden könnte. Die Sätze, die Man so nennen mag, weil sie den Schlüssel
einer Situation enthalten, nützen von allen Parteien nur der, in deren System
sie organisch passen; von den andern Parteien gilt, was geschrieben steht: sie haben
Ohren, aber hören nicht, Augen, aber sehen nicht. Und so sei es vergönnt, auch
in den östreichischen Zuständen die Spuren von dem aufzusuchen, was die Auf¬
schrift verspricht. Die Grenzboten haben in so manchem ihrer Blätter treu den
Schlamm- und Eiswust abgeschildert, mit dem die reaktionäre Lawine Oestreich be¬
deckt hat. Es ist ein Trost, schon jetzt aus die festen Stellen hinzuweisen, die
daS Thauwetter einst znerst bloslegen wird. Man mißverstehe das nicht, nicht,
als ob wir diese Tröstungen da suchten, wo sie die bezahlte Lüge in den ofsiziel-


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[0428] gefeiert hat, wie er es verdient. Er vergleicht diese Lieder mit den verborgenen Thautropfe», die „Orientalen" mit der aufgeblühten Rose. In diesen Redensar¬ ten geht es weiter. Der Gedanke ist vollständig im Schwulst erstickt, und der Mangel einer innern Nothwendigkeit, den wir schon in seinen frühern Gedichten überall wahrgenommen haben, trägt hier geradezu deu Charakter der Caprice, ja der Lüge. Wenn er z. B. von dem Jahrhundert sagt: „Ein edler Jnstinct leitet es; die Idee geht überall in Mission. Stein für Stein führen die Denker diese beiden Säulen, welche die wankende Gesellschaft stützen, wieder ans—so erwar¬ tet man jedenfalls zwei andere Säulen zu sehn, als: „der Respect vor den Grei¬ sen und die Liebe zu den Kindern!" Und wenn er dann hinzusetzt: „Aber unter diesen Fortschritten, o Jesus, betrübt mich eines: daß der Widerhall deiner Stimme sich mehr und me'hr verliert," so kann man sich eines ernsten Widerwil¬ lens nicht erwehren, der dadurch keineswegs vermindert wird, daß er sich tröstet: „Mag aber auch die Welt diesen gestorbenen Gott mit seinen Wunden im Staub her- umschleisen, so wird doch aus seinen Wunden nichts fließen, als unversiegliche Vergebung." Das war selbst den Franzosen zu stark. Die „Inneren Stimmen" war der erste lyrische Versuch Victor Hugo's, der scheiterte. Alle frühern waren mit einer Theilnahme ausgenommen, wie sie außer B«-ranger nur noch Lamartine's Mvditations (l820) und allenfalls Delavigue's Messcniennes (1824) gefunden haben. Die „Schatten und Strahlen" (1840) blieben ganz unbeachtet, die Zeit des Dichters war vorüber. (Fortsetzung in einem der nächsten Hefte.) Oeftreichifche Tröstungen. Es gibt in der wahren Politik keine Geheimnisse, deren Ausplaudern schäd¬ lich werden könnte. Die Sätze, die Man so nennen mag, weil sie den Schlüssel einer Situation enthalten, nützen von allen Parteien nur der, in deren System sie organisch passen; von den andern Parteien gilt, was geschrieben steht: sie haben Ohren, aber hören nicht, Augen, aber sehen nicht. Und so sei es vergönnt, auch in den östreichischen Zuständen die Spuren von dem aufzusuchen, was die Auf¬ schrift verspricht. Die Grenzboten haben in so manchem ihrer Blätter treu den Schlamm- und Eiswust abgeschildert, mit dem die reaktionäre Lawine Oestreich be¬ deckt hat. Es ist ein Trost, schon jetzt aus die festen Stellen hinzuweisen, die daS Thauwetter einst znerst bloslegen wird. Man mißverstehe das nicht, nicht, als ob wir diese Tröstungen da suchten, wo sie die bezahlte Lüge in den ofsiziel- Grenzboten. >v. ig-zy. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/428>, abgerufen am 15.01.2025.