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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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von Damaskus und der seidenen Gewänder, findet er, als er die Mysterien der
menschlichen Natur zu erforschen unternimmt, keinen Inhalt mehr in seiner Seele.
Er kennt sie nicht, die Materie hat seine ganze Kraft in Anspruch genommen.

Der Name soll den Gegensatz zwischen der Ruhe in diesen Bildern und der
fieberhaften Unruhe der Geister ausdrücken. "In den Revolutionen wird alles
verwandelt, nur uicht das menschliche Herz." Der Glaube streitet mit dem Glau¬
ben, das Gewissen gräbt angeblich in sich selbst nach einem Boden, neue Religionen stam¬
meln ihre Formel, alte sehnen sich nach der Wiedergeburt -- in diesem blenden¬
den Wechsel der Perspectiven steht fest die "tansendstinnnige Seele des Dichters,
welche der Gott, den er anbetet, wie ein helltönendes Echo in das Centrum des
Weltalls gestellt hat, ein Cristall, in dem jeder Strahl sich bricht, eine Saite, in
der jeder Hauch uachzittert." Aber die Empfindungen verlaufen entweder in das
körperliche Natnrgebiet, oder sie verrauschen in sentimentalen Phrasen. Dem
Gedanken fehlt die Würde, weil ihm die Tiefe fehlt. Man stelle ein beliebiges
unter den sogenannten didactischen Gedichten von Schiller neben diese gestaltlosen
Einfälle, um sie ganz in ihrer Leerheit zu empfinden. Wenn er z. B. einem wei¬
nenden Mädchen sagt: "Ja weine! denn das Feld wird grüner vom Regen, und
der Himmel läßt frischer in der schonen Sonne sein Azur strahlen, gewaschen von
Thränen," so merkt mau Absicht, und man wird verstimmt. Wie gemacht er¬
scheint es, wenn er empfiehlt, Almosen zu geben, damit man in der letzten Stunde
das Gebet eines Bettlers für sich habe, der im Himmel immer sehr mächtig ist.
Und so unbestimmt und farblos gehalten ist auch der Hauptgegenstand dieser Epi¬
stel, die Sittlichkeit des Familienlebens.

In den Gesängen der Dämmerung (1835) spricht sich eine Entmuti¬
gung aus, von der sich in den früheren Gedichten keine Spur findet. Wir sind
in der Dämmerung und wissen nicht, was wir wollen, das ist der Grundton der
ganzen Sammlung. Die sentimentale Stimmung, in der diese leere Betrachtung
gehalten ist, kann weder über die Trivialität des Gedankens noch über die Kälte
der Empfindung mehr täuschen. Wer spricht z. B. von einem geliebten Kinde in
Ausdrücken wie diese: "Es ist in meinem knieen Herbst eine Blume der Schönheit,
welche die Güte durchduftet, die geheimnißvolle Vermählung einer doppelten Na-
tur, die Blume ist von der Erde, der Duft von den Himmeln!" Ueberall be¬
wundert man die Sicherheit des Verses, den Reichthum von Variationen einer
und der nämlichen Idee, die eine vollkommene Kenntniß des Wörterbuchs verräth.
Aber es ist so viel Coquetterie und Laune in seinen Bildern, daß mau nie er¬
griffen wird, man empfindet nie den Ausdruck eines wirklichen Schmerzes, von
dem er befreien will; nie den freien Erguß des Gemüths, man erkennt in dem
Gegenstand nur den Vorwand, eine Reihe von Rhythmen aneinanderzufügen.

Die Innern Stimmen (1837) sind eine fortgesetzte Selbstanbctnng, eine
fortgesetzte Polemik gegen den Unverstand des Zeitalters, das den Dichter nicht so


von Damaskus und der seidenen Gewänder, findet er, als er die Mysterien der
menschlichen Natur zu erforschen unternimmt, keinen Inhalt mehr in seiner Seele.
Er kennt sie nicht, die Materie hat seine ganze Kraft in Anspruch genommen.

Der Name soll den Gegensatz zwischen der Ruhe in diesen Bildern und der
fieberhaften Unruhe der Geister ausdrücken. „In den Revolutionen wird alles
verwandelt, nur uicht das menschliche Herz." Der Glaube streitet mit dem Glau¬
ben, das Gewissen gräbt angeblich in sich selbst nach einem Boden, neue Religionen stam¬
meln ihre Formel, alte sehnen sich nach der Wiedergeburt — in diesem blenden¬
den Wechsel der Perspectiven steht fest die „tansendstinnnige Seele des Dichters,
welche der Gott, den er anbetet, wie ein helltönendes Echo in das Centrum des
Weltalls gestellt hat, ein Cristall, in dem jeder Strahl sich bricht, eine Saite, in
der jeder Hauch uachzittert." Aber die Empfindungen verlaufen entweder in das
körperliche Natnrgebiet, oder sie verrauschen in sentimentalen Phrasen. Dem
Gedanken fehlt die Würde, weil ihm die Tiefe fehlt. Man stelle ein beliebiges
unter den sogenannten didactischen Gedichten von Schiller neben diese gestaltlosen
Einfälle, um sie ganz in ihrer Leerheit zu empfinden. Wenn er z. B. einem wei¬
nenden Mädchen sagt: „Ja weine! denn das Feld wird grüner vom Regen, und
der Himmel läßt frischer in der schonen Sonne sein Azur strahlen, gewaschen von
Thränen," so merkt mau Absicht, und man wird verstimmt. Wie gemacht er¬
scheint es, wenn er empfiehlt, Almosen zu geben, damit man in der letzten Stunde
das Gebet eines Bettlers für sich habe, der im Himmel immer sehr mächtig ist.
Und so unbestimmt und farblos gehalten ist auch der Hauptgegenstand dieser Epi¬
stel, die Sittlichkeit des Familienlebens.

In den Gesängen der Dämmerung (1835) spricht sich eine Entmuti¬
gung aus, von der sich in den früheren Gedichten keine Spur findet. Wir sind
in der Dämmerung und wissen nicht, was wir wollen, das ist der Grundton der
ganzen Sammlung. Die sentimentale Stimmung, in der diese leere Betrachtung
gehalten ist, kann weder über die Trivialität des Gedankens noch über die Kälte
der Empfindung mehr täuschen. Wer spricht z. B. von einem geliebten Kinde in
Ausdrücken wie diese: „Es ist in meinem knieen Herbst eine Blume der Schönheit,
welche die Güte durchduftet, die geheimnißvolle Vermählung einer doppelten Na-
tur, die Blume ist von der Erde, der Duft von den Himmeln!" Ueberall be¬
wundert man die Sicherheit des Verses, den Reichthum von Variationen einer
und der nämlichen Idee, die eine vollkommene Kenntniß des Wörterbuchs verräth.
Aber es ist so viel Coquetterie und Laune in seinen Bildern, daß mau nie er¬
griffen wird, man empfindet nie den Ausdruck eines wirklichen Schmerzes, von
dem er befreien will; nie den freien Erguß des Gemüths, man erkennt in dem
Gegenstand nur den Vorwand, eine Reihe von Rhythmen aneinanderzufügen.

Die Innern Stimmen (1837) sind eine fortgesetzte Selbstanbctnng, eine
fortgesetzte Polemik gegen den Unverstand des Zeitalters, das den Dichter nicht so


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[0427] von Damaskus und der seidenen Gewänder, findet er, als er die Mysterien der menschlichen Natur zu erforschen unternimmt, keinen Inhalt mehr in seiner Seele. Er kennt sie nicht, die Materie hat seine ganze Kraft in Anspruch genommen. Der Name soll den Gegensatz zwischen der Ruhe in diesen Bildern und der fieberhaften Unruhe der Geister ausdrücken. „In den Revolutionen wird alles verwandelt, nur uicht das menschliche Herz." Der Glaube streitet mit dem Glau¬ ben, das Gewissen gräbt angeblich in sich selbst nach einem Boden, neue Religionen stam¬ meln ihre Formel, alte sehnen sich nach der Wiedergeburt — in diesem blenden¬ den Wechsel der Perspectiven steht fest die „tansendstinnnige Seele des Dichters, welche der Gott, den er anbetet, wie ein helltönendes Echo in das Centrum des Weltalls gestellt hat, ein Cristall, in dem jeder Strahl sich bricht, eine Saite, in der jeder Hauch uachzittert." Aber die Empfindungen verlaufen entweder in das körperliche Natnrgebiet, oder sie verrauschen in sentimentalen Phrasen. Dem Gedanken fehlt die Würde, weil ihm die Tiefe fehlt. Man stelle ein beliebiges unter den sogenannten didactischen Gedichten von Schiller neben diese gestaltlosen Einfälle, um sie ganz in ihrer Leerheit zu empfinden. Wenn er z. B. einem wei¬ nenden Mädchen sagt: „Ja weine! denn das Feld wird grüner vom Regen, und der Himmel läßt frischer in der schonen Sonne sein Azur strahlen, gewaschen von Thränen," so merkt mau Absicht, und man wird verstimmt. Wie gemacht er¬ scheint es, wenn er empfiehlt, Almosen zu geben, damit man in der letzten Stunde das Gebet eines Bettlers für sich habe, der im Himmel immer sehr mächtig ist. Und so unbestimmt und farblos gehalten ist auch der Hauptgegenstand dieser Epi¬ stel, die Sittlichkeit des Familienlebens. In den Gesängen der Dämmerung (1835) spricht sich eine Entmuti¬ gung aus, von der sich in den früheren Gedichten keine Spur findet. Wir sind in der Dämmerung und wissen nicht, was wir wollen, das ist der Grundton der ganzen Sammlung. Die sentimentale Stimmung, in der diese leere Betrachtung gehalten ist, kann weder über die Trivialität des Gedankens noch über die Kälte der Empfindung mehr täuschen. Wer spricht z. B. von einem geliebten Kinde in Ausdrücken wie diese: „Es ist in meinem knieen Herbst eine Blume der Schönheit, welche die Güte durchduftet, die geheimnißvolle Vermählung einer doppelten Na- tur, die Blume ist von der Erde, der Duft von den Himmeln!" Ueberall be¬ wundert man die Sicherheit des Verses, den Reichthum von Variationen einer und der nämlichen Idee, die eine vollkommene Kenntniß des Wörterbuchs verräth. Aber es ist so viel Coquetterie und Laune in seinen Bildern, daß mau nie er¬ griffen wird, man empfindet nie den Ausdruck eines wirklichen Schmerzes, von dem er befreien will; nie den freien Erguß des Gemüths, man erkennt in dem Gegenstand nur den Vorwand, eine Reihe von Rhythmen aneinanderzufügen. Die Innern Stimmen (1837) sind eine fortgesetzte Selbstanbctnng, eine fortgesetzte Polemik gegen den Unverstand des Zeitalters, das den Dichter nicht so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/427>, abgerufen am 15.01.2025.