Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Reisetagebneh ans dem östreichischen Vberland. 2. Krummstab und Lineal. So dunkel war es. eines Nachmittags in der Schenkstube "zum schineckenden Diesmal schien der Mann Gottes im besten Humor, er hatte eine arme Reisetagebneh ans dem östreichischen Vberland. 2. Krummstab und Lineal. So dunkel war es. eines Nachmittags in der Schenkstube „zum schineckenden Diesmal schien der Mann Gottes im besten Humor, er hatte eine arme <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279765"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Reisetagebneh ans dem östreichischen Vberland.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> 2. Krummstab und Lineal.</head><lb/> <p xml:id="ID_734"> So dunkel war es. eines Nachmittags in der Schenkstube „zum schineckenden<lb/> Wurm," daß ich von zwei Gästen, die mir gegenübersaßen, Nichts deutlich gewahren<lb/> konnte als eine Nase. Sie schimmerte mir traulich entgegen wie ein fernes Licht<lb/> dem Wanderer bei Nacht oder wie ein Streifen Abendroth zwischen Herbstwolken<lb/> in einem engen Felsenthal. Endlich zündete der Kellner eine kleine Gasflamme<lb/> an und siehe da, die lustige rosige Nase gehörte einem hochwürdigen Herrn, den<lb/> ich schon zweimal auf demselben Sitz gefunden, auch einst in der Kirche zum<lb/> Se. Martin predigen gehört hatte. Seinem Aussehen nach war er aus der zahl¬<lb/> reichen Klasse jener Geistlichen, die zu Metternich's Zeiten im Gefühl ihrer<lb/> sichern Stellung gerne lebten und leben ließen, die Jagdflinte flinker handhabten<lb/> als das Brevier und in edler Duldsamkeit an der Tafel des Gutsherrn die gott¬<lb/> losesten Witze über Kaiser, Bischof und Pfarrersköchin lachend mit anhörten. Was<lb/> sage ich? Sie gaben selbst Proben ihrer höchst freigeistigen Aufklärung, sprachen,<lb/> unter Brüdern, von dem „famosen ol. Strauß" und hatten die ausgelassensten<lb/> Wiener Bonmots ans erster Quelle. Erst die Revolution weckte sie ans der süßen<lb/> Gewohnheit des Nichtsthuns und Gehenlassens; die ältern nnter ihnen blieben<lb/> neutral und tolerant, mehrere junge Priester schwuren sogar zur Fahne der Frei¬<lb/> heit und machten slavische oder magyarische Nationaltänze mit; der große Haufe<lb/> der geistlichen Philister jedoch ward, dem Posauueuruf der in Wien uachteudcn<lb/> Prälatenvcrsammluug gehorchend, National- und Mobilgarde der streitende» Kirche.<lb/> Das geistliche Linienmilitär, zu Fuß und zu Pferde, Grobsckützeu und Kosacken<lb/> Muß der Jesuiten- und Lignoriauervrdcu liefern. Die Nationalgarde — und zu<lb/> ihr gehörte mein Stammgast im schmeckenden Wurm — dient in dem heiligen<lb/> Kriege wider den Geist der Zeit als Kanonenfutter. Sie ficht sehr plump<lb/> und regellos, macht mehr Lärm als Beute, und poltert fleißig auf der Kanzel<lb/> und im Beichtstuhl mit deu hohen Himmelscourierstiefeln herum, ohne der Schlange<lb/> grad immer auf deu Kopf oder den Schwanz zu treten.</p><lb/> <p xml:id="ID_735" next="#ID_736"> Diesmal schien der Mann Gottes im besten Humor, er hatte eine arme<lb/> Schreiberseele gefangen, die neben ihm saß, und bestellte zur Feier des Tages be¬<lb/> reits den dritten Humpen Ministerbier. — „Also, das ist brav, Sie kommen zu<lb/> Uns," sagte er; „und werden es »ich! bereuen." Es handelte sich nämlich um<lb/> ^e Aufnahme des Schneiders in einen Club, welcher sich katholischer Berein nennt.<lb/> »Man hat uns oben zu verstehen gegeben, daß wir uns anch während des Be¬<lb/> lagerungszustandes aufthun dürfen, da wir doch der guten Sache nur nützen kön-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0217]
Reisetagebneh ans dem östreichischen Vberland.
2. Krummstab und Lineal.
So dunkel war es. eines Nachmittags in der Schenkstube „zum schineckenden
Wurm," daß ich von zwei Gästen, die mir gegenübersaßen, Nichts deutlich gewahren
konnte als eine Nase. Sie schimmerte mir traulich entgegen wie ein fernes Licht
dem Wanderer bei Nacht oder wie ein Streifen Abendroth zwischen Herbstwolken
in einem engen Felsenthal. Endlich zündete der Kellner eine kleine Gasflamme
an und siehe da, die lustige rosige Nase gehörte einem hochwürdigen Herrn, den
ich schon zweimal auf demselben Sitz gefunden, auch einst in der Kirche zum
Se. Martin predigen gehört hatte. Seinem Aussehen nach war er aus der zahl¬
reichen Klasse jener Geistlichen, die zu Metternich's Zeiten im Gefühl ihrer
sichern Stellung gerne lebten und leben ließen, die Jagdflinte flinker handhabten
als das Brevier und in edler Duldsamkeit an der Tafel des Gutsherrn die gott¬
losesten Witze über Kaiser, Bischof und Pfarrersköchin lachend mit anhörten. Was
sage ich? Sie gaben selbst Proben ihrer höchst freigeistigen Aufklärung, sprachen,
unter Brüdern, von dem „famosen ol. Strauß" und hatten die ausgelassensten
Wiener Bonmots ans erster Quelle. Erst die Revolution weckte sie ans der süßen
Gewohnheit des Nichtsthuns und Gehenlassens; die ältern nnter ihnen blieben
neutral und tolerant, mehrere junge Priester schwuren sogar zur Fahne der Frei¬
heit und machten slavische oder magyarische Nationaltänze mit; der große Haufe
der geistlichen Philister jedoch ward, dem Posauueuruf der in Wien uachteudcn
Prälatenvcrsammluug gehorchend, National- und Mobilgarde der streitende» Kirche.
Das geistliche Linienmilitär, zu Fuß und zu Pferde, Grobsckützeu und Kosacken
Muß der Jesuiten- und Lignoriauervrdcu liefern. Die Nationalgarde — und zu
ihr gehörte mein Stammgast im schmeckenden Wurm — dient in dem heiligen
Kriege wider den Geist der Zeit als Kanonenfutter. Sie ficht sehr plump
und regellos, macht mehr Lärm als Beute, und poltert fleißig auf der Kanzel
und im Beichtstuhl mit deu hohen Himmelscourierstiefeln herum, ohne der Schlange
grad immer auf deu Kopf oder den Schwanz zu treten.
Diesmal schien der Mann Gottes im besten Humor, er hatte eine arme
Schreiberseele gefangen, die neben ihm saß, und bestellte zur Feier des Tages be¬
reits den dritten Humpen Ministerbier. — „Also, das ist brav, Sie kommen zu
Uns," sagte er; „und werden es »ich! bereuen." Es handelte sich nämlich um
^e Aufnahme des Schneiders in einen Club, welcher sich katholischer Berein nennt.
»Man hat uns oben zu verstehen gegeben, daß wir uns anch während des Be¬
lagerungszustandes aufthun dürfen, da wir doch der guten Sache nur nützen kön-
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