Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nen. Wir meinten darauf, daß wir keine Ausnahme für uns wünschen, sonst
heißt's gleich, wir wollen die Freiheit mit Haut und Haaren verschlingen. Sie
kennen ja das Pack. Aber, haben die Herren gemeint, es wäre besser, nicht
so lang zu warten, denn die Revolutionärs sind im Stillen auch nit faul; die
verkappten Radikalen -- jetzt spielen's die Loyalen und kommen fortwährend
mit der Konstitution, als wär' die nur so ein Haderlumpen, gut genug, daß sie
sich damit die Sau- und Blutflecken vom zweiten Charfteitag 1848 *) von die
Judensingcr wischen und wcgamnestiren -- also, die sollen wir nur bellen lassen.
-- Jemiue, die Radikalen! entgegnete der Schneider, gravitätisch den Kopf schüt¬
telnd, und reichte dem Pfarrer eine Prise; mich Haben's anch einmal in's Odeon
verführt, mich und meine Frau. S'waren halt Flausenmacher, für die ich ge-
arbeit' hab. Meine Thres' hat die ganze Nacht nicht schlafen können, mich immer
arg'stoßen wie nicht g'scheidt. Aber, Ferdtl , sagt sie, dein' Gott wirst dir
doch nicht nehmen lassen? -- Ja, darauf sehen's die Radikalen in der ganzen
Welt ab. Auf den Sack schlägt man und -- sie schimpften auf die Minister und
haben den Kaiser gemeint; sie raisonnirten über die hohe und niedere Geistlichkeit
und haben eigentlich gegen unser" Herrgott selber Krieg angefangen ! -- Ich kann
mir nicht helfen, rief der Schneider, über den die Gnade immer dicker herein¬
brach; nein, die Constitution kommt mir manchmal auch ein differt wie so'ne Ra¬
dikale vor. -- Ist nicht so gefährlich, beschwichtigte der hochwürdige Herr; die
Constitution U noch jung und muß erst gezogen werden. Freilich, s'ist Manches
drin, womit keine Ruh und kein Auskommen wär' auf die Länge. Zum Beispiel die
Schulen. So ein neumodischer Schullehrer haut mit seinem Lineal in einer Stund
alle zarten Christbäumchen um, die der Seelsorger das ganze Jahr in die Herzen
feiner Pfarrkinder gepflanzt hat. Das darf nicht sein, der Schullehrer muß unter
der strengsten Aussicht des Geistlichen stehen. Ohne Religion ist einmal Nichts
und dabei bleib ich -- auf den Tisch schlagend, daß die Gläser klirrten. Er sah
mit einem fragenden Blick zu mir herüber. Ich glotzte ihn schweigend an.
Vorigen Sommer, fuhr er fort, seiue Stimme mit Absicht lauter erhebend, ore
der Pillersdorf die Religion abgeschafft hatt', da sah man gleich die saubere Hei-
deuzucht. Hab ich doch die Wirthschaft aus den Barrikaden selber angeschaut!
Er beschrieb nun das frivole Treiben in den berühmten Wiener Maimondnächten,
als Kaiser Ferdinand floh, aber mit einem gewissen Behagen und in so drastischer
Kennersprache, daß meine Feder roth würde, wenn sie es nachschreiben sollte.
Und meinen's, daß sie sich vor mir oder meinem Kleid genirt hätten? Ha, ha!
Gelände haben sie und die Hüte und Schürzen und Tücher mir zugeschwenkt, als
hätten sie den Pater Fühler vor sich. -- Er dentelee sich hier selbst, wahrfchein-




Der ". Ocrober siel auf einen Freitag"
**) Abkürzung von Ferdinand,

nen. Wir meinten darauf, daß wir keine Ausnahme für uns wünschen, sonst
heißt's gleich, wir wollen die Freiheit mit Haut und Haaren verschlingen. Sie
kennen ja das Pack. Aber, haben die Herren gemeint, es wäre besser, nicht
so lang zu warten, denn die Revolutionärs sind im Stillen auch nit faul; die
verkappten Radikalen — jetzt spielen's die Loyalen und kommen fortwährend
mit der Konstitution, als wär' die nur so ein Haderlumpen, gut genug, daß sie
sich damit die Sau- und Blutflecken vom zweiten Charfteitag 1848 *) von die
Judensingcr wischen und wcgamnestiren — also, die sollen wir nur bellen lassen.
— Jemiue, die Radikalen! entgegnete der Schneider, gravitätisch den Kopf schüt¬
telnd, und reichte dem Pfarrer eine Prise; mich Haben's anch einmal in's Odeon
verführt, mich und meine Frau. S'waren halt Flausenmacher, für die ich ge-
arbeit' hab. Meine Thres' hat die ganze Nacht nicht schlafen können, mich immer
arg'stoßen wie nicht g'scheidt. Aber, Ferdtl , sagt sie, dein' Gott wirst dir
doch nicht nehmen lassen? — Ja, darauf sehen's die Radikalen in der ganzen
Welt ab. Auf den Sack schlägt man und — sie schimpften auf die Minister und
haben den Kaiser gemeint; sie raisonnirten über die hohe und niedere Geistlichkeit
und haben eigentlich gegen unser» Herrgott selber Krieg angefangen ! — Ich kann
mir nicht helfen, rief der Schneider, über den die Gnade immer dicker herein¬
brach; nein, die Constitution kommt mir manchmal auch ein differt wie so'ne Ra¬
dikale vor. — Ist nicht so gefährlich, beschwichtigte der hochwürdige Herr; die
Constitution U noch jung und muß erst gezogen werden. Freilich, s'ist Manches
drin, womit keine Ruh und kein Auskommen wär' auf die Länge. Zum Beispiel die
Schulen. So ein neumodischer Schullehrer haut mit seinem Lineal in einer Stund
alle zarten Christbäumchen um, die der Seelsorger das ganze Jahr in die Herzen
feiner Pfarrkinder gepflanzt hat. Das darf nicht sein, der Schullehrer muß unter
der strengsten Aussicht des Geistlichen stehen. Ohne Religion ist einmal Nichts
und dabei bleib ich — auf den Tisch schlagend, daß die Gläser klirrten. Er sah
mit einem fragenden Blick zu mir herüber. Ich glotzte ihn schweigend an.
Vorigen Sommer, fuhr er fort, seiue Stimme mit Absicht lauter erhebend, ore
der Pillersdorf die Religion abgeschafft hatt', da sah man gleich die saubere Hei-
deuzucht. Hab ich doch die Wirthschaft aus den Barrikaden selber angeschaut!
Er beschrieb nun das frivole Treiben in den berühmten Wiener Maimondnächten,
als Kaiser Ferdinand floh, aber mit einem gewissen Behagen und in so drastischer
Kennersprache, daß meine Feder roth würde, wenn sie es nachschreiben sollte.
Und meinen's, daß sie sich vor mir oder meinem Kleid genirt hätten? Ha, ha!
Gelände haben sie und die Hüte und Schürzen und Tücher mir zugeschwenkt, als
hätten sie den Pater Fühler vor sich. — Er dentelee sich hier selbst, wahrfchein-




Der «. Ocrober siel auf einen Freitag»
**) Abkürzung von Ferdinand,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279766"/>
            <p xml:id="ID_736" prev="#ID_735" next="#ID_737"> nen. Wir meinten darauf, daß wir keine Ausnahme für uns wünschen, sonst<lb/>
heißt's gleich, wir wollen die Freiheit mit Haut und Haaren verschlingen. Sie<lb/>
kennen ja das Pack. Aber, haben die Herren gemeint, es wäre besser, nicht<lb/>
so lang zu warten, denn die Revolutionärs sind im Stillen auch nit faul; die<lb/>
verkappten Radikalen &#x2014; jetzt spielen's die Loyalen und kommen fortwährend<lb/>
mit der Konstitution, als wär' die nur so ein Haderlumpen, gut genug, daß sie<lb/>
sich damit die Sau- und Blutflecken vom zweiten Charfteitag 1848 *) von die<lb/>
Judensingcr wischen und wcgamnestiren &#x2014; also, die sollen wir nur bellen lassen.<lb/>
&#x2014; Jemiue, die Radikalen! entgegnete der Schneider, gravitätisch den Kopf schüt¬<lb/>
telnd, und reichte dem Pfarrer eine Prise; mich Haben's anch einmal in's Odeon<lb/>
verführt, mich und meine Frau. S'waren halt Flausenmacher, für die ich ge-<lb/>
arbeit' hab. Meine Thres' hat die ganze Nacht nicht schlafen können, mich immer<lb/>
arg'stoßen wie nicht g'scheidt. Aber, Ferdtl , sagt sie, dein' Gott wirst dir<lb/>
doch nicht nehmen lassen? &#x2014; Ja, darauf sehen's die Radikalen in der ganzen<lb/>
Welt ab. Auf den Sack schlägt man und &#x2014; sie schimpften auf die Minister und<lb/>
haben den Kaiser gemeint; sie raisonnirten über die hohe und niedere Geistlichkeit<lb/>
und haben eigentlich gegen unser» Herrgott selber Krieg angefangen ! &#x2014; Ich kann<lb/>
mir nicht helfen, rief der Schneider, über den die Gnade immer dicker herein¬<lb/>
brach; nein, die Constitution kommt mir manchmal auch ein differt wie so'ne Ra¬<lb/>
dikale vor. &#x2014; Ist nicht so gefährlich, beschwichtigte der hochwürdige Herr; die<lb/>
Constitution U noch jung und muß erst gezogen werden. Freilich, s'ist Manches<lb/>
drin, womit keine Ruh und kein Auskommen wär' auf die Länge. Zum Beispiel die<lb/>
Schulen. So ein neumodischer Schullehrer haut mit seinem Lineal in einer Stund<lb/>
alle zarten Christbäumchen um, die der Seelsorger das ganze Jahr in die Herzen<lb/>
feiner Pfarrkinder gepflanzt hat. Das darf nicht sein, der Schullehrer muß unter<lb/>
der strengsten Aussicht des Geistlichen stehen. Ohne Religion ist einmal Nichts<lb/>
und dabei bleib ich &#x2014; auf den Tisch schlagend, daß die Gläser klirrten. Er sah<lb/>
mit einem fragenden Blick zu mir herüber. Ich glotzte ihn schweigend an.<lb/>
Vorigen Sommer, fuhr er fort, seiue Stimme mit Absicht lauter erhebend, ore<lb/>
der Pillersdorf die Religion abgeschafft hatt', da sah man gleich die saubere Hei-<lb/>
deuzucht. Hab ich doch die Wirthschaft aus den Barrikaden selber angeschaut!<lb/>
Er beschrieb nun das frivole Treiben in den berühmten Wiener Maimondnächten,<lb/>
als Kaiser Ferdinand floh, aber mit einem gewissen Behagen und in so drastischer<lb/>
Kennersprache, daß meine Feder roth würde, wenn sie es nachschreiben sollte.<lb/>
Und meinen's, daß sie sich vor mir oder meinem Kleid genirt hätten? Ha, ha!<lb/>
Gelände haben sie und die Hüte und Schürzen und Tücher mir zugeschwenkt, als<lb/>
hätten sie den Pater Fühler vor sich. &#x2014; Er dentelee sich hier selbst, wahrfchein-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_15" place="foot"> Der «. Ocrober siel auf einen Freitag»</note><lb/>
            <note xml:id="FID_16" place="foot"> **) Abkürzung von Ferdinand,</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] nen. Wir meinten darauf, daß wir keine Ausnahme für uns wünschen, sonst heißt's gleich, wir wollen die Freiheit mit Haut und Haaren verschlingen. Sie kennen ja das Pack. Aber, haben die Herren gemeint, es wäre besser, nicht so lang zu warten, denn die Revolutionärs sind im Stillen auch nit faul; die verkappten Radikalen — jetzt spielen's die Loyalen und kommen fortwährend mit der Konstitution, als wär' die nur so ein Haderlumpen, gut genug, daß sie sich damit die Sau- und Blutflecken vom zweiten Charfteitag 1848 *) von die Judensingcr wischen und wcgamnestiren — also, die sollen wir nur bellen lassen. — Jemiue, die Radikalen! entgegnete der Schneider, gravitätisch den Kopf schüt¬ telnd, und reichte dem Pfarrer eine Prise; mich Haben's anch einmal in's Odeon verführt, mich und meine Frau. S'waren halt Flausenmacher, für die ich ge- arbeit' hab. Meine Thres' hat die ganze Nacht nicht schlafen können, mich immer arg'stoßen wie nicht g'scheidt. Aber, Ferdtl , sagt sie, dein' Gott wirst dir doch nicht nehmen lassen? — Ja, darauf sehen's die Radikalen in der ganzen Welt ab. Auf den Sack schlägt man und — sie schimpften auf die Minister und haben den Kaiser gemeint; sie raisonnirten über die hohe und niedere Geistlichkeit und haben eigentlich gegen unser» Herrgott selber Krieg angefangen ! — Ich kann mir nicht helfen, rief der Schneider, über den die Gnade immer dicker herein¬ brach; nein, die Constitution kommt mir manchmal auch ein differt wie so'ne Ra¬ dikale vor. — Ist nicht so gefährlich, beschwichtigte der hochwürdige Herr; die Constitution U noch jung und muß erst gezogen werden. Freilich, s'ist Manches drin, womit keine Ruh und kein Auskommen wär' auf die Länge. Zum Beispiel die Schulen. So ein neumodischer Schullehrer haut mit seinem Lineal in einer Stund alle zarten Christbäumchen um, die der Seelsorger das ganze Jahr in die Herzen feiner Pfarrkinder gepflanzt hat. Das darf nicht sein, der Schullehrer muß unter der strengsten Aussicht des Geistlichen stehen. Ohne Religion ist einmal Nichts und dabei bleib ich — auf den Tisch schlagend, daß die Gläser klirrten. Er sah mit einem fragenden Blick zu mir herüber. Ich glotzte ihn schweigend an. Vorigen Sommer, fuhr er fort, seiue Stimme mit Absicht lauter erhebend, ore der Pillersdorf die Religion abgeschafft hatt', da sah man gleich die saubere Hei- deuzucht. Hab ich doch die Wirthschaft aus den Barrikaden selber angeschaut! Er beschrieb nun das frivole Treiben in den berühmten Wiener Maimondnächten, als Kaiser Ferdinand floh, aber mit einem gewissen Behagen und in so drastischer Kennersprache, daß meine Feder roth würde, wenn sie es nachschreiben sollte. Und meinen's, daß sie sich vor mir oder meinem Kleid genirt hätten? Ha, ha! Gelände haben sie und die Hüte und Schürzen und Tücher mir zugeschwenkt, als hätten sie den Pater Fühler vor sich. — Er dentelee sich hier selbst, wahrfchein- Der «. Ocrober siel auf einen Freitag» **) Abkürzung von Ferdinand,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/218>, abgerufen am 15.01.2025.